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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Drittes Buch
[Spaltenumbruch] Reimen erinnere/ die in dem Delfischen Tem-
pel unter dem Bilde des seine Kinder fressen-
den/ und dardurch die Zeit fürbildenden Sa-
turnus ein geetzt sind; Worauf Faunus/ der da-
selbst für Zeiten im Nahmen des Saturnus der
Helden Glücksfälle geweissagt haben soll/ mit
dem Finger zeigte:

Den Menschen ist zwar iede Morgenröthe
Ein Sterbelicht; die Sonn' ein Todt-Comete;
Denn ie der Augenblick eilt mit ihm in das Grab/
Als wie die Ström' ins Meer' und Pfeile zu dem Zwecke.
Allein/ wie nichts verdirbt/ das nicht was neues hecke;
So seil'n sich zwar die Stunden ab;
Doch wird ein Tag daraus. Der Monat wird zum Jahre/
Wenn er zwölf mahl sich leget auf die Bahre.
Und so ist der Verlust ein Wachsthum selbst der Zeit.
Wenn auch nun gleich sich Tugend äschert ein/
So scheint doch ihre Grufft ein Fenix-Nest zu seyn.
Denn's Lebens-Todt gebier't des Nachruhms Ewigkeit.

Hingegen kan man freylich wol durch keine
gegenwärtige Käyser-Gewalt weder des bösen
noch guten Gedächtniß vertilgen. Wiewohl
sich nun die nach solchem Andencken strebende
Boßheit mit ihrer eigenen Schande/ wie der
Geyer an stinckenden Aessern sättigt; so ist doch
diß eine mehr als gifftige Nahrung/ welche
macht/ daß man für beyden Grauen und Ab-
scheu hat. Daher haben die Lasterhafften sich
so sehr für der Feder eines Geschichtschreibers/
als die häßlichen für dem Pinsel des Mahlers
zu für chten. Salonine setzte bey: Aber noch
vielmehr für dem unaufhörlich nagenden Wur-
me des Gewissens und der göttlichen Rache.
Jenes führet wider den Schuldigen täglich
tausend Zeugen/ es stellet ihm für einen Richter/
der ihn alle Augenblicke zu Schwerd/ Pfal und
Schweffel verdammet; es über giebt ihn einem
Hencker/ der ihn stündlich mit Ruthen streicht.
Weder Leibwache/ noch Festungen können ihn
hierwider schützen. Denn weil wir von Na-
tur für Lastern eine Abscheu haben/ ist das Zit-
tern der boßhafften Eigenschafft/ die Furcht
bleibt auch in der grösten Sicherheit nicht aus-
sen/ und sie glauben weder ihren selbst eigenen
[Spaltenumbruch] Schadloß-Bürgen/ noch denen/ die durch
heuchlerische Lobsprüche dem Laster eine schöne
Farbe anstreichen. Der Schlaff kan sie nicht
beruhigen/ das Schrecken schleichet mit dem
Schatten ihrer Träume in ihre innerste Ge-
mächer; so oft man von frembden Verbrechen
redet/ so oft verurtheilt sie das ihrige. Diese
Angst bleibt niemahls aussen/ wo gleich die Ra-
che der Götter verweilet. Jedoch folget diese
doch endlich/ und wenn sie mit einem langsamen
Bley-Fusse einen Ubelthäter einholet/ so tritt sie
ihm desto schwerer auf den Hals. Beydes er-
fuhr der Bruder-Mörder Artabazes/ welchen
von der Zeit so grausamer That niemand mehr
lachen gesehen. Er wolte selbte zwar verdrü-
cken/ und daß Artaxias durch einen Zufall um-
kommen wäre/ die Armenier bereden; alleine
die Ubelthäter haben meist ihr eignes Antlitz/ o-
der wol gar die stummen Spinnen zum Verrä-
ther/ in dem die Mörder in ihren Geweben
wol mehrmals ihre Ubelthaten zu lesen vermei-
nen/ und einen Fischkopf für das Haupt eines
unschuldigen Todten ansehen. Ja Artabazens
eigene Rathgeber behertzigten allererst nach
vollbrachter That die Grösse des Lasters/ und
nach dem der nur/ den sie hasten/ erblichen war/
verwandelte sich ihre vorige Mißgunst in Mit-
leiden/ und welche vorhin zu solcher Entschlüs-
sung ein Auge zugedrückt/ zohen den Kopf aus
der Schlinge/ und verriethen das abscheuliche
Beginnen ihres Fürsten. Wie nun Artaba-
zes seinen Mord entdeckt sahe/ muste er seinem
offenbaren Laster mit Kühnheit zu hülffe kom-
men. Dahero ruffte er den Tiberius zu Hülf-
fe/ welcher alsofort mit sechs Römischen Legio-
nen in Armenien einbrach. Die Reichsstän-
de geriethen bey solcher Bestürtz- und Entfal-
lung ihres Hauptes/ wie auch in Mangel eines
erwachsenen Nachfolgers in höchste Verwir-
rung; Einer wolte mit seinem Rathschlage dar/
der andere dort hinaus/ und also hinderten auch
die/ welche es gleich mit dem Vaterlande und

des

Drittes Buch
[Spaltenumbruch] Reimen erinnere/ die in dem Delfiſchen Tem-
pel unter dem Bilde des ſeine Kinder freſſen-
den/ und dardurch die Zeit fuͤrbildenden Sa-
turnus ein geetzt ſind; Worauf Faunus/ der da-
ſelbſt fuͤr Zeiten im Nahmen des Saturnus der
Helden Gluͤcksfaͤlle geweiſſagt haben ſoll/ mit
dem Finger zeigte:

Den Menſchen iſt zwar iede Morgenroͤthe
Ein Sterbelicht; die Sonn’ ein Todt-Comete;
Denn ie der Augenblick eilt mit ihm in das Grab/
Als wie die Stroͤm’ ins Meer’ und Pfeile zu dem Zwecke.
Allein/ wie nichts verdirbt/ das nicht was neues hecke;
So ſeil’n ſich zwar die Stunden ab;
Doch wird ein Tag daraus. Der Monat wird zum Jahre/
Wenn er zwoͤlf mahl ſich leget auf die Bahre.
Und ſo iſt der Verluſt ein Wachsthum ſelbſt der Zeit.
Wenn auch nun gleich ſich Tugend aͤſchert ein/
So ſcheint doch ihre Grufft ein Fenix-Neſt zu ſeyn.
Denn’s Lebens-Todt gebier’t des Nachruhms Ewigkeit.

Hingegen kan man freylich wol durch keine
gegenwaͤrtige Kaͤyſer-Gewalt weder des boͤſen
noch guten Gedaͤchtniß vertilgen. Wiewohl
ſich nun die nach ſolchem Andencken ſtrebende
Boßheit mit ihrer eigenen Schande/ wie der
Geyer an ſtinckenden Aeſſern ſaͤttigt; ſo iſt doch
diß eine mehr als gifftige Nahrung/ welche
macht/ daß man fuͤr beyden Grauen und Ab-
ſcheu hat. Daher haben die Laſterhafften ſich
ſo ſehr fuͤr der Feder eines Geſchichtſchreibers/
als die haͤßlichen fuͤr dem Pinſel des Mahlers
zu fuͤr chten. Salonine ſetzte bey: Aber noch
vielmehr fuͤr dem unaufhoͤrlich nagenden Wur-
me des Gewiſſens und der goͤttlichen Rache.
Jenes fuͤhret wider den Schuldigen taͤglich
tauſend Zeugen/ es ſtellet ihm fuͤr einen Richter/
der ihn alle Augenblicke zu Schwerd/ Pfal und
Schweffel verdammet; es uͤber giebt ihn einem
Hencker/ der ihn ſtuͤndlich mit Ruthen ſtreicht.
Weder Leibwache/ noch Feſtungen koͤnnen ihn
hierwider ſchuͤtzen. Denn weil wir von Na-
tur fuͤr Laſtern eine Abſcheu haben/ iſt das Zit-
tern der boßhafften Eigenſchafft/ die Furcht
bleibt auch in der groͤſten Sicherheit nicht auſ-
ſen/ und ſie glauben weder ihren ſelbſt eigenen
[Spaltenumbruch] Schadloß-Buͤrgen/ noch denen/ die durch
heuchleriſche Lobſpruͤche dem Laſter eine ſchoͤne
Farbe anſtreichen. Der Schlaff kan ſie nicht
beruhigen/ das Schrecken ſchleichet mit dem
Schatten ihrer Traͤume in ihre innerſte Ge-
maͤcher; ſo oft man von frembden Verbrechen
redet/ ſo oft verurtheilt ſie das ihrige. Dieſe
Angſt bleibt niemahls auſſen/ wo gleich die Ra-
che der Goͤtter verweilet. Jedoch folget dieſe
doch endlich/ und wenn ſie mit einem langſamen
Bley-Fuſſe einen Ubelthaͤter einholet/ ſo tritt ſie
ihm deſto ſchwerer auf den Hals. Beydes er-
fuhr der Bruder-Moͤrder Artabazes/ welchen
von der Zeit ſo grauſamer That niemand mehr
lachen geſehen. Er wolte ſelbte zwar verdruͤ-
cken/ und daß Artaxias durch einen Zufall um-
kommen waͤre/ die Armenier bereden; alleine
die Ubelthaͤter haben meiſt ihr eignes Antlitz/ o-
der wol gar die ſtummen Spinnen zum Verraͤ-
ther/ in dem die Moͤrder in ihren Geweben
wol mehrmals ihre Ubelthaten zu leſen vermei-
nen/ und einen Fiſchkopf fuͤr das Haupt eines
unſchuldigen Todten anſehen. Ja Artabazens
eigene Rathgeber behertzigten allererſt nach
vollbrachter That die Groͤſſe des Laſters/ und
nach dem der nur/ den ſie haſten/ erblichen war/
verwandelte ſich ihre vorige Mißgunſt in Mit-
leiden/ und welche vorhin zu ſolcher Entſchluͤſ-
ſung ein Auge zugedruͤckt/ zohen den Kopf aus
der Schlinge/ und verriethen das abſcheuliche
Beginnen ihres Fuͤrſten. Wie nun Artaba-
zes ſeinen Mord entdeckt ſahe/ muſte er ſeinem
offenbaren Laſter mit Kuͤhnheit zu huͤlffe kom-
men. Dahero ruffte er den Tiberius zu Huͤlf-
fe/ welcher alſofort mit ſechs Roͤmiſchen Legio-
nen in Armenien einbrach. Die Reichsſtaͤn-
de geriethen bey ſolcher Beſtuͤrtz- und Entfal-
lung ihres Hauptes/ wie auch in Mangel eines
erwachſenen Nachfolgers in hoͤchſte Verwir-
rung; Einer wolte mit ſeinem Rathſchlage dar/
der andere dort hinaus/ und alſo hinderten auch
die/ welche es gleich mit dem Vaterlande und

des
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[234/0286] Drittes Buch Reimen erinnere/ die in dem Delfiſchen Tem- pel unter dem Bilde des ſeine Kinder freſſen- den/ und dardurch die Zeit fuͤrbildenden Sa- turnus ein geetzt ſind; Worauf Faunus/ der da- ſelbſt fuͤr Zeiten im Nahmen des Saturnus der Helden Gluͤcksfaͤlle geweiſſagt haben ſoll/ mit dem Finger zeigte: Den Menſchen iſt zwar iede Morgenroͤthe Ein Sterbelicht; die Sonn’ ein Todt-Comete; Denn ie der Augenblick eilt mit ihm in das Grab/ Als wie die Stroͤm’ ins Meer’ und Pfeile zu dem Zwecke. Allein/ wie nichts verdirbt/ das nicht was neues hecke; So ſeil’n ſich zwar die Stunden ab; Doch wird ein Tag daraus. Der Monat wird zum Jahre/ Wenn er zwoͤlf mahl ſich leget auf die Bahre. Und ſo iſt der Verluſt ein Wachsthum ſelbſt der Zeit. Wenn auch nun gleich ſich Tugend aͤſchert ein/ So ſcheint doch ihre Grufft ein Fenix-Neſt zu ſeyn. Denn’s Lebens-Todt gebier’t des Nachruhms Ewigkeit. Hingegen kan man freylich wol durch keine gegenwaͤrtige Kaͤyſer-Gewalt weder des boͤſen noch guten Gedaͤchtniß vertilgen. Wiewohl ſich nun die nach ſolchem Andencken ſtrebende Boßheit mit ihrer eigenen Schande/ wie der Geyer an ſtinckenden Aeſſern ſaͤttigt; ſo iſt doch diß eine mehr als gifftige Nahrung/ welche macht/ daß man fuͤr beyden Grauen und Ab- ſcheu hat. Daher haben die Laſterhafften ſich ſo ſehr fuͤr der Feder eines Geſchichtſchreibers/ als die haͤßlichen fuͤr dem Pinſel des Mahlers zu fuͤr chten. Salonine ſetzte bey: Aber noch vielmehr fuͤr dem unaufhoͤrlich nagenden Wur- me des Gewiſſens und der goͤttlichen Rache. Jenes fuͤhret wider den Schuldigen taͤglich tauſend Zeugen/ es ſtellet ihm fuͤr einen Richter/ der ihn alle Augenblicke zu Schwerd/ Pfal und Schweffel verdammet; es uͤber giebt ihn einem Hencker/ der ihn ſtuͤndlich mit Ruthen ſtreicht. Weder Leibwache/ noch Feſtungen koͤnnen ihn hierwider ſchuͤtzen. Denn weil wir von Na- tur fuͤr Laſtern eine Abſcheu haben/ iſt das Zit- tern der boßhafften Eigenſchafft/ die Furcht bleibt auch in der groͤſten Sicherheit nicht auſ- ſen/ und ſie glauben weder ihren ſelbſt eigenen Schadloß-Buͤrgen/ noch denen/ die durch heuchleriſche Lobſpruͤche dem Laſter eine ſchoͤne Farbe anſtreichen. Der Schlaff kan ſie nicht beruhigen/ das Schrecken ſchleichet mit dem Schatten ihrer Traͤume in ihre innerſte Ge- maͤcher; ſo oft man von frembden Verbrechen redet/ ſo oft verurtheilt ſie das ihrige. Dieſe Angſt bleibt niemahls auſſen/ wo gleich die Ra- che der Goͤtter verweilet. Jedoch folget dieſe doch endlich/ und wenn ſie mit einem langſamen Bley-Fuſſe einen Ubelthaͤter einholet/ ſo tritt ſie ihm deſto ſchwerer auf den Hals. Beydes er- fuhr der Bruder-Moͤrder Artabazes/ welchen von der Zeit ſo grauſamer That niemand mehr lachen geſehen. Er wolte ſelbte zwar verdruͤ- cken/ und daß Artaxias durch einen Zufall um- kommen waͤre/ die Armenier bereden; alleine die Ubelthaͤter haben meiſt ihr eignes Antlitz/ o- der wol gar die ſtummen Spinnen zum Verraͤ- ther/ in dem die Moͤrder in ihren Geweben wol mehrmals ihre Ubelthaten zu leſen vermei- nen/ und einen Fiſchkopf fuͤr das Haupt eines unſchuldigen Todten anſehen. Ja Artabazens eigene Rathgeber behertzigten allererſt nach vollbrachter That die Groͤſſe des Laſters/ und nach dem der nur/ den ſie haſten/ erblichen war/ verwandelte ſich ihre vorige Mißgunſt in Mit- leiden/ und welche vorhin zu ſolcher Entſchluͤſ- ſung ein Auge zugedruͤckt/ zohen den Kopf aus der Schlinge/ und verriethen das abſcheuliche Beginnen ihres Fuͤrſten. Wie nun Artaba- zes ſeinen Mord entdeckt ſahe/ muſte er ſeinem offenbaren Laſter mit Kuͤhnheit zu huͤlffe kom- men. Dahero ruffte er den Tiberius zu Huͤlf- fe/ welcher alſofort mit ſechs Roͤmiſchen Legio- nen in Armenien einbrach. Die Reichsſtaͤn- de geriethen bey ſolcher Beſtuͤrtz- und Entfal- lung ihres Hauptes/ wie auch in Mangel eines erwachſenen Nachfolgers in hoͤchſte Verwir- rung; Einer wolte mit ſeinem Rathſchlage dar/ der andere dort hinaus/ und alſo hinderten auch die/ welche es gleich mit dem Vaterlande und des

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/286>, abgerufen am 22.11.2024.