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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Drittes Buch
[Spaltenumbruch] hätten/ in dem sie auf der Wahlstatt/ wo der Kai-
ser und Antonius mit dem Brutus und Cassius
geschlagen/ ein erbärmliches Heulen und Feld-
Geschrey gehöret/ auch aus dem Altare/ welches
Antonius in seinem Läger aufgerichtet/ eine
helle Flamme hätten gesehen empor klimmen.
Nach weniger Zeit kamen sie beyde mit grosser/
wiewohl nach Artabazens Tode/ und da nir-
gends kein Feind war/ mit vergeblicher Macht
an/ und setzte Tiberius dem Tigranes selbst die
Krone auf; ja/ wormit er sein Haus so vielmehr
bey dem Reiche befestigte/ nahm er seinen Sohn
Artavasdes zum Reichs-Geferten an/ und weil
seine Tochter Laodice von grossem Verstande/
aber Herrschenssüchtigem Geiste war/ vermähl-
te er diese beyde Kinder/ welche er mit Mallien
einer Baase der schönen Terentia gezeugt
hatte. Diese Mallia war im Verdacht/ daß
Augustus mit ihr zugehalten/ Tigranes aber
sie aus blossen Staats - Ursachen geheyrathet
hatte. Es war aber nach des Tiberius Rück-
kehr/ welcher von seinem Zuge groß Wesen
machte/ auch deswegen zu Rom absondere
Opfer hielt/ Tigranes wenige Zeit in Armeni-
en: da die Armenier/ welche mehr gewohnt
waren Könige von Rom zu bitten/ als zu be-
halten/ ihm und seinem gantzen Hause/ als
Frembdlingen abgeneigt/ und endlich als Wol-
lüstigen/ feind zu werden anfingen. Es miß-
fiel ihnen am Könige/ daß er ieden alsbald für
sich ließ/ und sich mit den niedrigern zu gemein
machte/ daß er selten ritt und jagte/ selten
Gastmahle hielt/ und sich meist auf der Sänfte
tragen ließ; die geringsten Dinge ohne Ver-
siegelung niemanden traute; sonst aber in der
Herrschafft allzu wenigen Ernst spüren ließ.
Welches alles zwar zu Rom/ aber den Ar-
meniern unbekandte Tugenden waren/ und
deswegen frembde Laster hiessen. Denn Völ-
ckern/ welche der Dienstbarkeit gewohnt/ ist
die edelste Freyheit verdrüßlicher/ als Freyen
die Dienstbarkeit. Jnsonderheit war ihnen
[Spaltenumbruch] Mallia/ der junge Artavasdes und Laodice ein
Greuel in Augen/ und die Vermessenheit kam
so weit/ daß sie von Mallien/ als des Augustus
Kebsweibe Lieder machten/ ja einsmals des
Nachts an die Pforte der Königlichen Vurg
schrieben:

Nicht ärgert euch daß zwey Geschwister ehlich sind.
Er ist nur's Königs Sohn/ sie ist des Kaisers Kind.

Denn obwohl Königliche Höfe entweder nur
die/ welche zu gehorsamen wissen/ einlassen/ oder
sie darzu machen; insonderheit aber die Mor-
gen-Länder der Knechtschafft gewohnet/ an ih-
ren Fürsten alles zu billigen/ und es nachzu-
thun beflissen sind/ und die Heucheley nichts
minder/ als die Treue für eine den Königen
schuldige Schatzung halten; so können doch
auch diese dienstbare Völcker nicht die Aufhe-
bung der väterlichen Sitten/ ja auch ihre Ver-
besserung nicht vertragen; am wenigsten aber
den zum Herrn leiden/ der durch Entschlagung
der Reichs-Sorgen sie gleichsam ihr Herr zu
seyn nicht würdiget. Hierinnen aber verstieß
Tigranes am ärgsten/ indem er zweyen üppi-
gen Weibern/ nemlich der Mallia und Laodicen
das Heft in Händen ließ. Diesen zu Liebe
führte er den in Lydien anfangs aufgekommo-
nen/ und bey den Persen/ Meden und Arme-
niern eingerissenen/ hernach aber vom vorigen
Tigranes abgeschafften Mißbrauch wieder ein/
da die edlesten ihre Töchter der Göttin Anaitis
wiedmeten/ welche unter dem Scheine eines
Gottes-Dienstes gemeine Unzucht trieben/ und
so denn allererst als für andern heilige Frauen
begierig geheyrathet wurden. Wie schläfrig nun
Tigranes im herrschen war; so viel eifriger be-
zeugten sich Mallia und Laodice. Denn sie
vergaben die hohen Aempter/ besichtigten die
Gräntzen und Festungen/ musterten das Kriegs-
Volck/ machten Reichs-Satzungen/ versammle-
ten die Stände/ schrieben Steuern aus; Wenn
Tigranes etwan auf einem Lust-Hause sich mit
einem geilen Weibe belustigte. Unter diesen

war

Drittes Buch
[Spaltenumbruch] haͤtten/ in dem ſie auf der Wahlſtatt/ wo der Kai-
ſer und Antonius mit dem Brutus und Caſſius
geſchlagen/ ein erbaͤrmliches Heulen und Feld-
Geſchrey gehoͤret/ auch aus dem Altare/ welches
Antonius in ſeinem Laͤger aufgerichtet/ eine
helle Flamme haͤtten geſehen empor klimmen.
Nach weniger Zeit kamen ſie beyde mit groſſer/
wiewohl nach Artabazens Tode/ und da nir-
gends kein Feind war/ mit vergeblicher Macht
an/ und ſetzte Tiberius dem Tigranes ſelbſt die
Krone auf; ja/ wormit er ſein Haus ſo vielmehr
bey dem Reiche befeſtigte/ nahm er ſeinen Sohn
Artavasdes zum Reichs-Geferten an/ und weil
ſeine Tochter Laodice von groſſem Verſtande/
aber Herrſchensſuͤchtigem Geiſte war/ vermaͤhl-
te er dieſe beyde Kinder/ welche er mit Mallien
einer Baaſe der ſchoͤnen Terentia gezeugt
hatte. Dieſe Mallia war im Verdacht/ daß
Auguſtus mit ihr zugehalten/ Tigranes aber
ſie aus bloſſen Staats - Urſachen geheyrathet
hatte. Es war aber nach des Tiberius Ruͤck-
kehr/ welcher von ſeinem Zuge groß Weſen
machte/ auch deswegen zu Rom abſondere
Opfer hielt/ Tigranes wenige Zeit in Armeni-
en: da die Armenier/ welche mehr gewohnt
waren Koͤnige von Rom zu bitten/ als zu be-
halten/ ihm und ſeinem gantzen Hauſe/ als
Frembdlingen abgeneigt/ und endlich als Wol-
luͤſtigen/ feind zu werden anfingen. Es miß-
fiel ihnen am Koͤnige/ daß er ieden alsbald fuͤr
ſich ließ/ und ſich mit den niedrigern zu gemein
machte/ daß er ſelten ritt und jagte/ ſelten
Gaſtmahle hielt/ und ſich meiſt auf der Saͤnfte
tragen ließ; die geringſten Dinge ohne Ver-
ſiegelung niemanden traute; ſonſt aber in der
Herrſchafft allzu wenigen Ernſt ſpuͤren ließ.
Welches alles zwar zu Rom/ aber den Ar-
meniern unbekandte Tugenden waren/ und
deswegen frembde Laſter hieſſen. Denn Voͤl-
ckern/ welche der Dienſtbarkeit gewohnt/ iſt
die edelſte Freyheit verdruͤßlicher/ als Freyen
die Dienſtbarkeit. Jnſonderheit war ihnen
[Spaltenumbruch] Mallia/ der junge Artavasdes und Laodice ein
Greuel in Augen/ und die Vermeſſenheit kam
ſo weit/ daß ſie von Mallien/ als des Auguſtus
Kebsweibe Lieder machten/ ja einsmals des
Nachts an die Pforte der Koͤniglichen Vurg
ſchrieben:

Nicht aͤrgert euch daß zwey Geſchwiſter ehlich ſind.
Er iſt nur’s Koͤnigs Sohn/ ſie iſt des Kaiſers Kind.

Denn obwohl Koͤnigliche Hoͤfe entweder nur
die/ welche zu gehorſamen wiſſen/ einlaſſen/ oder
ſie darzu machen; inſonderheit aber die Mor-
gen-Laͤnder der Knechtſchafft gewohnet/ an ih-
ren Fuͤrſten alles zu billigen/ und es nachzu-
thun befliſſen ſind/ und die Heucheley nichts
minder/ als die Treue fuͤr eine den Koͤnigen
ſchuldige Schatzung halten; ſo koͤnnen doch
auch dieſe dienſtbare Voͤlcker nicht die Aufhe-
bung der vaͤterlichen Sitten/ ja auch ihre Ver-
beſſerung nicht vertragen; am wenigſten aber
den zum Herrn leiden/ der durch Entſchlagung
der Reichs-Sorgen ſie gleichſam ihr Herr zu
ſeyn nicht wuͤrdiget. Hierinnen aber verſtieß
Tigranes am aͤrgſten/ indem er zweyen uͤppi-
gen Weibern/ nemlich der Mallia und Laodicen
das Heft in Haͤnden ließ. Dieſen zu Liebe
fuͤhrte er den in Lydien anfangs aufgekommo-
nen/ und bey den Perſen/ Meden und Arme-
niern eingeriſſenen/ hernach aber vom vorigen
Tigranes abgeſchafften Mißbrauch wieder ein/
da die edleſten ihre Toͤchter der Goͤttin Anaitis
wiedmeten/ welche unter dem Scheine eines
Gottes-Dienſtes gemeine Unzucht trieben/ und
ſo denn allererſt als fuͤr andern heilige Frauen
begierig geheyrathet wurden. Wie ſchlaͤfrig nun
Tigranes im herrſchen war; ſo viel eifriger be-
zeugten ſich Mallia und Laodice. Denn ſie
vergaben die hohen Aempter/ beſichtigten die
Graͤntzen und Feſtungen/ muſterten das Kriegs-
Volck/ machten Reichs-Satzungen/ verſam̃le-
ten die Staͤnde/ ſchrieben Steuern aus; Wenn
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[244/0296] Drittes Buch haͤtten/ in dem ſie auf der Wahlſtatt/ wo der Kai- ſer und Antonius mit dem Brutus und Caſſius geſchlagen/ ein erbaͤrmliches Heulen und Feld- Geſchrey gehoͤret/ auch aus dem Altare/ welches Antonius in ſeinem Laͤger aufgerichtet/ eine helle Flamme haͤtten geſehen empor klimmen. Nach weniger Zeit kamen ſie beyde mit groſſer/ wiewohl nach Artabazens Tode/ und da nir- gends kein Feind war/ mit vergeblicher Macht an/ und ſetzte Tiberius dem Tigranes ſelbſt die Krone auf; ja/ wormit er ſein Haus ſo vielmehr bey dem Reiche befeſtigte/ nahm er ſeinen Sohn Artavasdes zum Reichs-Geferten an/ und weil ſeine Tochter Laodice von groſſem Verſtande/ aber Herrſchensſuͤchtigem Geiſte war/ vermaͤhl- te er dieſe beyde Kinder/ welche er mit Mallien einer Baaſe der ſchoͤnen Terentia gezeugt hatte. Dieſe Mallia war im Verdacht/ daß Auguſtus mit ihr zugehalten/ Tigranes aber ſie aus bloſſen Staats - Urſachen geheyrathet hatte. Es war aber nach des Tiberius Ruͤck- kehr/ welcher von ſeinem Zuge groß Weſen machte/ auch deswegen zu Rom abſondere Opfer hielt/ Tigranes wenige Zeit in Armeni- en: da die Armenier/ welche mehr gewohnt waren Koͤnige von Rom zu bitten/ als zu be- halten/ ihm und ſeinem gantzen Hauſe/ als Frembdlingen abgeneigt/ und endlich als Wol- luͤſtigen/ feind zu werden anfingen. Es miß- fiel ihnen am Koͤnige/ daß er ieden alsbald fuͤr ſich ließ/ und ſich mit den niedrigern zu gemein machte/ daß er ſelten ritt und jagte/ ſelten Gaſtmahle hielt/ und ſich meiſt auf der Saͤnfte tragen ließ; die geringſten Dinge ohne Ver- ſiegelung niemanden traute; ſonſt aber in der Herrſchafft allzu wenigen Ernſt ſpuͤren ließ. Welches alles zwar zu Rom/ aber den Ar- meniern unbekandte Tugenden waren/ und deswegen frembde Laſter hieſſen. Denn Voͤl- ckern/ welche der Dienſtbarkeit gewohnt/ iſt die edelſte Freyheit verdruͤßlicher/ als Freyen die Dienſtbarkeit. Jnſonderheit war ihnen Mallia/ der junge Artavasdes und Laodice ein Greuel in Augen/ und die Vermeſſenheit kam ſo weit/ daß ſie von Mallien/ als des Auguſtus Kebsweibe Lieder machten/ ja einsmals des Nachts an die Pforte der Koͤniglichen Vurg ſchrieben: Nicht aͤrgert euch daß zwey Geſchwiſter ehlich ſind. Er iſt nur’s Koͤnigs Sohn/ ſie iſt des Kaiſers Kind. Denn obwohl Koͤnigliche Hoͤfe entweder nur die/ welche zu gehorſamen wiſſen/ einlaſſen/ oder ſie darzu machen; inſonderheit aber die Mor- gen-Laͤnder der Knechtſchafft gewohnet/ an ih- ren Fuͤrſten alles zu billigen/ und es nachzu- thun befliſſen ſind/ und die Heucheley nichts minder/ als die Treue fuͤr eine den Koͤnigen ſchuldige Schatzung halten; ſo koͤnnen doch auch dieſe dienſtbare Voͤlcker nicht die Aufhe- bung der vaͤterlichen Sitten/ ja auch ihre Ver- beſſerung nicht vertragen; am wenigſten aber den zum Herrn leiden/ der durch Entſchlagung der Reichs-Sorgen ſie gleichſam ihr Herr zu ſeyn nicht wuͤrdiget. Hierinnen aber verſtieß Tigranes am aͤrgſten/ indem er zweyen uͤppi- gen Weibern/ nemlich der Mallia und Laodicen das Heft in Haͤnden ließ. Dieſen zu Liebe fuͤhrte er den in Lydien anfangs aufgekommo- nen/ und bey den Perſen/ Meden und Arme- niern eingeriſſenen/ hernach aber vom vorigen Tigranes abgeſchafften Mißbrauch wieder ein/ da die edleſten ihre Toͤchter der Goͤttin Anaitis wiedmeten/ welche unter dem Scheine eines Gottes-Dienſtes gemeine Unzucht trieben/ und ſo denn allererſt als fuͤr andern heilige Frauen begierig geheyrathet wurden. Wie ſchlaͤfrig nun Tigranes im herrſchen war; ſo viel eifriger be- zeugten ſich Mallia und Laodice. Denn ſie vergaben die hohen Aempter/ beſichtigten die Graͤntzen und Feſtungen/ muſterten das Kriegs- Volck/ machten Reichs-Satzungen/ verſam̃le- ten die Staͤnde/ ſchrieben Steuern aus; Wenn Tigranes etwan auf einem Luſt-Hauſe ſich mit einem geilen Weibe beluſtigte. Unter dieſen war

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/296>, abgerufen am 22.11.2024.