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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Drittes Buch
[Spaltenumbruch] Gedieg/ und bey Ausländern wären die schätz-
barsten Sachen gantz unschätzbar. Allein wenn
er gleich für sich gerne nachgeben wolle/ daß we-
der Furcht noch Unlust uns von der Sorge für
das gemeine Heil zurück halten solte/ daß kein
schönerer Tod sey als fürs Vaterland sterben;
daß Orismanes ihm nichts mehr wüntschen kön-
te/ als den Ruhm sein Leben zu Beschirm-seinen
Tod zu Behaltung Armeniens anzugewehren;
wer würde ihm Bürge seyn/ welche Un-
schuld könte ihn vertheidigen/ daß Orismanes
nicht entweder als ein Heuchler die Laster des
Hofes verhangen/ oder als ein Uhrheber
selbte gestiftet hätte? Sintemal der Pöfel die
schlimme Herrschafft nicht dem Fürsten/ sondern
den Staats-Dienern zumißt; die Fürsten aber
ihre eigene Verbrechen ihren Räthen aufhalse-
ten/ und umb sich zu erhalten/ selbte dem Volcke
zu einem Schlacht-Opfer auslieferten; wie der
in Hibernien enthauptete Forstard/ und der in
Jberien zerfleischte Condelar ihm ein trauriges
Vorbild abgäben. Tissafernes begegnete ihm:
Ein Reichs-Rath solte sich seiner selbst gantz ent-
äusern/ und ohne Auszug sein gantzes Wesen
dem Reiche wiedmen. Dahero müste er nicht
allein seinen Eigen-Nutz/ und sein Leben/ son-
dern auch den Schatz seiner eigenen Ehre ausser
Augen setzen. Die Tugend wäre ihr selbstei-
gener Lohn/ und ihrer Güte würde weder durch
Verläumbdung noch durch Beschimpfung was
entzogen. Die Unschuld würde im Ochsen
des Phalaris nicht schwartz. Socraten hinge
weder sein Gifft-Glas/ noch die ihm zugemässe-
ne Abgötterey einigen Fleck an. Und
die Tugend/ wenn sie schon ans Creutz geschla-
gen würde/ findete noch eine Olympia/ welche
sie wie den Pausanias mit einer güldenen Kro-
ne verehrete. Es wäre nichts ungemeines in
der Welt/ daß der/ welcher hier als ein Verrä-
ther an Galgen gehenckt/ anderwerts für einen
Vater des Vaterlandes und für einen Märty-
rer des Staats gepriesen würde. Des Bru-
[Spaltenumbruch] tus und Cassius Käyser - Mord hiesse einem
ein Schelm - Stück/ andern das heilsamste
Beginnen. Denn weil in der Welt so viel
Bösen als Guten/ so wohl der Unvernunft
a[l]s der Klugheit die Richter - Stüle eröfnet
wären; könte unmöglich ein gleichstimmiges
Urtheil erfolgen. Sie hätten gesehen Köpfe
in güldene Todten - Töpfe vergraben/ und
mit marmelnen Leich - Steinen bedecken/
diegestern zum Scheusale auf einen Thurme
aufgesteckt gewest/ von der Sonne ausgedör-
rt/ von den Wolcken befeuchtet worden. Andere
die gestern in Alabaster gelegen/ würden heute auf
den Scheiter-Hauffen geworffen. Also gebe oder
nehme frembdes Urthel weder den Lastern noch
den Tugenden einige Schätzbarkeit. Jnsonder-
heit aber wäre Armenien ja nicht in so verzweifel-
tem Zustande/ daß die Tugend wider die Ge-
walt der Herrschafft sich keines Beystandes zu
getrösten hätte. Orismanes hätte auf seiner
Seite die Reichs-Stände/ diese aber die alten
Gesetze des Vaterlandes/ welche mächtiger wä-
ren/ als die Herrschafft der Menschen und sterb-
licher Könige. Es ist wahr/ sagte Orismanes/
daß/ so lange die Gesetze feste stehen/ kein Reich
wancken/ die Freyheit nicht zu Grunde gehen
können. Denn die Seele und Krafft eines
Reiches stecket in den Gesetzen; sie sind ein
Schild wider äuserliche Feinde/ und ein Schirm
wider die aus unserer eigenen Gemeinschaft uns
zu Kopfe wachsende Wüteriche. Aber Erato
hat die Taffeln unserer Gesetze/ und zwar die
unversehrlichsten/ welche nemlich den Gottes-
Dienst angehen/ schon zu Bodem geworffen/ und
mit Füssen getreten; wir aber hier zu unter dem
Scheine einer andächtigen Keuschheit ein Auge
zugedrückt. Wenn aber die Gesetze schon einmahl
entkräfftet/ oder verwirret/ ja nur ein wenig
gebeugt werden/ ist ihre gäntzliche Zernichtung
für der Thüre/ und die Herrschsucht hebet sie un-
schwer mit einem einigen Ansatze vollends
gantz aus den Angeln. Ein Kluger darff nicht

so

Drittes Buch
[Spaltenumbruch] Gedieg/ und bey Auslaͤndern waͤren die ſchaͤtz-
barſten Sachen gantz unſchaͤtzbar. Allein wenn
er gleich fuͤr ſich gerne nachgeben wolle/ daß we-
der Furcht noch Unluſt uns von der Sorge fuͤr
das gemeine Heil zuruͤck halten ſolte/ daß kein
ſchoͤnerer Tod ſey als fuͤrs Vaterland ſterben;
daß Oriſmanes ihm nichts mehr wuͤntſchen koͤn-
te/ als den Ruhm ſein Leben zu Beſchirm-ſeinen
Tod zu Behaltung Armeniens anzugewehren;
wer wuͤrde ihm Buͤrge ſeyn/ welche Un-
ſchuld koͤnte ihn vertheidigen/ daß Oriſmanes
nicht entweder als ein Heuchler die Laſter des
Hofes verhangen/ oder als ein Uhrheber
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ſchlimme Herrſchafft nicht dem Fuͤrſten/ ſondern
den Staats-Dienern zumißt; die Fuͤrſten aber
ihre eigene Verbrechen ihren Raͤthen aufhalſe-
ten/ und umb ſich zu erhalten/ ſelbte dem Volcke
zu einem Schlacht-Opfer auslieferten; wie der
in Hibernien enthauptete Forſtard/ und der in
Jberien zerfleiſchte Condelar ihm ein trauriges
Vorbild abgaͤben. Tiſſafernes begegnete ihm:
Ein Reichs-Rath ſolte ſich ſeiner ſelbſt gantz ent-
aͤuſern/ und ohne Auszug ſein gantzes Weſen
dem Reiche wiedmen. Dahero muͤſte er nicht
allein ſeinen Eigen-Nutz/ und ſein Leben/ ſon-
dern auch den Schatz ſeiner eigenen Ehre auſſer
Augen ſetzen. Die Tugend waͤre ihr ſelbſtei-
gener Lohn/ und ihrer Guͤte wuͤrde weder durch
Verlaͤumbdung noch durch Beſchimpfung was
entzogen. Die Unſchuld wuͤrde im Ochſen
des Phalaris nicht ſchwartz. Socraten hinge
weder ſein Gifft-Glas/ noch die ihm zugemaͤſſe-
ne Abgoͤtterey einigen Fleck an. Und
die Tugend/ wenn ſie ſchon ans Creutz geſchla-
gen wuͤrde/ findete noch eine Olympia/ welche
ſie wie den Pauſanias mit einer guͤldenen Kro-
ne verehrete. Es waͤre nichts ungemeines in
der Welt/ daß der/ welcher hier als ein Verraͤ-
ther an Galgen gehenckt/ anderwerts fuͤr einen
Vater des Vaterlandes und fuͤr einen Maͤrty-
rer des Staats geprieſen wuͤrde. Des Bru-
[Spaltenumbruch] tus und Caſſius Kaͤyſer - Mord hieſſe einem
ein Schelm - Stuͤck/ andern das heilſamſte
Beginnen. Denn weil in der Welt ſo viel
Boͤſen als Guten/ ſo wohl der Unvernunft
a[l]s der Klugheit die Richter - Stuͤle eroͤfnet
waͤren; koͤnte unmoͤglich ein gleichſtimmiges
Urtheil erfolgen. Sie haͤtten geſehen Koͤpfe
in guͤldene Todten - Toͤpfe vergraben/ und
mit marmelnen Leich - Steinen bedecken/
diegeſtern zum Scheuſale auf einẽ Thurme
aufgeſteckt geweſt/ von der Sonne ausgedoͤr-
rt/ von den Wolcken befeuchtet worden. Andere
die geſtern in Alabaſter gelegen/ wuͤrdẽ heute auf
den Scheiter-Hauffen geworffen. Alſo gebe oder
nehme frembdes Urthel weder den Laſtern noch
den Tugenden einige Schaͤtzbarkeit. Jnſonder-
heit abeꝛ waͤre Armenien ja nicht in ſo veꝛzweifel-
tem Zuſtande/ daß die Tugend wider die Ge-
walt der Herrſchafft ſich keines Beyſtandes zu
getroͤſten haͤtte. Oriſmanes haͤtte auf ſeiner
Seite die Reichs-Staͤnde/ dieſe aber die alten
Geſetze des Vaterlandes/ welche maͤchtiger waͤ-
ren/ als die Herrſchafft der Menſchen und ſterb-
licher Koͤnige. Es iſt wahr/ ſagte Oriſmanes/
daß/ ſo lange die Geſetze feſte ſtehen/ kein Reich
wancken/ die Freyheit nicht zu Grunde gehen
koͤnnen. Denn die Seele und Krafft eines
Reiches ſtecket in den Geſetzen; ſie ſind ein
Schild wider aͤuſerliche Feinde/ und ein Schirm
wider die aus unſerer eigenen Gemeinſchaft uns
zu Kopfe wachſende Wuͤteriche. Aber Erato
hat die Taffeln unſerer Geſetze/ und zwar die
unverſehrlichſten/ welche nemlich den Gottes-
Dienſt angehen/ ſchon zu Bodem geworffen/ und
mit Fuͤſſen getreten; wir aber hier zu unter dem
Scheine einer andaͤchtigen Keuſchheit ein Auge
zugedruͤckt. Weñ aber die Geſetze ſchon einmahl
entkraͤfftet/ oder verwirret/ ja nur ein wenig
gebeugt werden/ iſt ihre gaͤntzliche Zernichtung
fuͤr der Thuͤre/ und die Herrſchſucht hebet ſie un-
ſchwer mit einem einigen Anſatze vollends
gantz aus den Angeln. Ein Kluger darff nicht

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[310/0362] Drittes Buch Gedieg/ und bey Auslaͤndern waͤren die ſchaͤtz- barſten Sachen gantz unſchaͤtzbar. Allein wenn er gleich fuͤr ſich gerne nachgeben wolle/ daß we- der Furcht noch Unluſt uns von der Sorge fuͤr das gemeine Heil zuruͤck halten ſolte/ daß kein ſchoͤnerer Tod ſey als fuͤrs Vaterland ſterben; daß Oriſmanes ihm nichts mehr wuͤntſchen koͤn- te/ als den Ruhm ſein Leben zu Beſchirm-ſeinen Tod zu Behaltung Armeniens anzugewehren; wer wuͤrde ihm Buͤrge ſeyn/ welche Un- ſchuld koͤnte ihn vertheidigen/ daß Oriſmanes nicht entweder als ein Heuchler die Laſter des Hofes verhangen/ oder als ein Uhrheber ſelbte geſtiftet haͤtte? Sintemal der Poͤfel die ſchlimme Herrſchafft nicht dem Fuͤrſten/ ſondern den Staats-Dienern zumißt; die Fuͤrſten aber ihre eigene Verbrechen ihren Raͤthen aufhalſe- ten/ und umb ſich zu erhalten/ ſelbte dem Volcke zu einem Schlacht-Opfer auslieferten; wie der in Hibernien enthauptete Forſtard/ und der in Jberien zerfleiſchte Condelar ihm ein trauriges Vorbild abgaͤben. Tiſſafernes begegnete ihm: Ein Reichs-Rath ſolte ſich ſeiner ſelbſt gantz ent- aͤuſern/ und ohne Auszug ſein gantzes Weſen dem Reiche wiedmen. Dahero muͤſte er nicht allein ſeinen Eigen-Nutz/ und ſein Leben/ ſon- dern auch den Schatz ſeiner eigenen Ehre auſſer Augen ſetzen. Die Tugend waͤre ihr ſelbſtei- gener Lohn/ und ihrer Guͤte wuͤrde weder durch Verlaͤumbdung noch durch Beſchimpfung was entzogen. Die Unſchuld wuͤrde im Ochſen des Phalaris nicht ſchwartz. Socraten hinge weder ſein Gifft-Glas/ noch die ihm zugemaͤſſe- ne Abgoͤtterey einigen Fleck an. Und die Tugend/ wenn ſie ſchon ans Creutz geſchla- gen wuͤrde/ findete noch eine Olympia/ welche ſie wie den Pauſanias mit einer guͤldenen Kro- ne verehrete. Es waͤre nichts ungemeines in der Welt/ daß der/ welcher hier als ein Verraͤ- ther an Galgen gehenckt/ anderwerts fuͤr einen Vater des Vaterlandes und fuͤr einen Maͤrty- rer des Staats geprieſen wuͤrde. Des Bru- tus und Caſſius Kaͤyſer - Mord hieſſe einem ein Schelm - Stuͤck/ andern das heilſamſte Beginnen. Denn weil in der Welt ſo viel Boͤſen als Guten/ ſo wohl der Unvernunft als der Klugheit die Richter - Stuͤle eroͤfnet waͤren; koͤnte unmoͤglich ein gleichſtimmiges Urtheil erfolgen. Sie haͤtten geſehen Koͤpfe in guͤldene Todten - Toͤpfe vergraben/ und mit marmelnen Leich - Steinen bedecken/ diegeſtern zum Scheuſale auf einẽ Thurme aufgeſteckt geweſt/ von der Sonne ausgedoͤr- rt/ von den Wolcken befeuchtet worden. Andere die geſtern in Alabaſter gelegen/ wuͤrdẽ heute auf den Scheiter-Hauffen geworffen. Alſo gebe oder nehme frembdes Urthel weder den Laſtern noch den Tugenden einige Schaͤtzbarkeit. Jnſonder- heit abeꝛ waͤre Armenien ja nicht in ſo veꝛzweifel- tem Zuſtande/ daß die Tugend wider die Ge- walt der Herrſchafft ſich keines Beyſtandes zu getroͤſten haͤtte. Oriſmanes haͤtte auf ſeiner Seite die Reichs-Staͤnde/ dieſe aber die alten Geſetze des Vaterlandes/ welche maͤchtiger waͤ- ren/ als die Herrſchafft der Menſchen und ſterb- licher Koͤnige. Es iſt wahr/ ſagte Oriſmanes/ daß/ ſo lange die Geſetze feſte ſtehen/ kein Reich wancken/ die Freyheit nicht zu Grunde gehen koͤnnen. Denn die Seele und Krafft eines Reiches ſtecket in den Geſetzen; ſie ſind ein Schild wider aͤuſerliche Feinde/ und ein Schirm wider die aus unſerer eigenen Gemeinſchaft uns zu Kopfe wachſende Wuͤteriche. Aber Erato hat die Taffeln unſerer Geſetze/ und zwar die unverſehrlichſten/ welche nemlich den Gottes- Dienſt angehen/ ſchon zu Bodem geworffen/ und mit Fuͤſſen getreten; wir aber hier zu unter dem Scheine einer andaͤchtigen Keuſchheit ein Auge zugedruͤckt. Weñ aber die Geſetze ſchon einmahl entkraͤfftet/ oder verwirret/ ja nur ein wenig gebeugt werden/ iſt ihre gaͤntzliche Zernichtung fuͤr der Thuͤre/ und die Herrſchſucht hebet ſie un- ſchwer mit einem einigen Anſatze vollends gantz aus den Angeln. Ein Kluger darff nicht ſo

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/362>, abgerufen am 22.11.2024.