Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
Gesellschafft/ Dörffer und Städte versammle-te. Adgandester begegnete ihm: Wenn er die Beschaffenheit gegenwärtiger Zeit und die Nei- gungen itziger eisernen Menschen recht überleg- te/ müste er dieser denen Rhetiern beygemessener Meinung beypflichten. Deutschland wäre von undencklicher Zeit gespalten/ und ein Volck gegen dem andern wie Hund und Katze gesin- net gewest. Die einige Furcht für den Römern hätte sie nun endlich mit einander verknüpffet/ welche wegen ihrer anhängender Kälte die Ei- genschafft des Wassers hätte/ indem diese nicht nur das sonst zerfliessende Wasser/ sondern auch die widrigsten Dinge durch Zusammenfrie- rung/ jene aber die ärgsten Feinde gegen die von einem Drittern andräuende Gefahr vereinbar- te. Rhemetalces versetzte: der meisten Weltwei- sen einhellige Meinung wäre doch/ daß weder die Ameisen noch die Bienen zu der Versamm- lung so sehr als der Mensch geneigt wären. Die- sen hätte die Natur ohne Waffen geschaffen/ al- so wäre er eines gemeinen Beystandes mehr als andere Thiere benöthigt. Er würde der wil- den Thiere tägliche Beute/ und sein Blut ihre gemeinste Speise seyn/ wenn ihn die Vernunfft und Gesellschafft nicht beschirmete. Diese a- ber eignete ihm die Herrschafft über die stärck- sten Elephanten und die unbändigsten Panther zu. Sie befreyete ihn von Kranckheiten/ stärck- te ihn beym Alter/ linderte seine Schmertzen; ja mit ihr würde die Einigkeit des menschli- chen Geschlechts und das Leben selbst zertrennet. Weil nun iedes Thier einen natürlichen Trieb zu seiner Erhaltung hätte/ müste der Mensch auch selbten zur Gesellschafft/ als dem einigen Mittel seiner Erhaltung haben. Die Einsamkeit wäre dem Tode ähnlicher als dem Leben; jener aber wäre das schrecklichste in der Welt/ und die Zernichtung der Natur. Wie könte solcher nun der Mensch nicht gram seyn? Auserhalb der Gemeinschafft wäre die Zunge/ [Spaltenumbruch] der alleredleste Werckzeug der Vernunfft/ und das den Menschen am meisten von andern un- terscheidende Merckmahl/ nichts nütze. Sol- te sie deßhalben die kluge Mutter der Welt umsonst geschaffen haben? Das Feuer der Lie- be müste ohne Gesellschafft erleschen/ das Band der Freundschafft sich zernichten/ die Fort- pflantzung nachbleiben und durch die allge- meine Furcht das gantze menschliche Geschlech- te in sein altes Nichts vergraben werden. Ma- lovend hielt sich schuldig zu seyn Adgandesters anzunehmen/ setzte also Rhemetalcen entge- gen: Die Furcht ist kein so grausames Un- thier als sie insgemein gemahlet wird. Sie hilfft in unterschiedenen Kranckheiten; Sie öff- net die Blase/ vertreibt das Schlucken/ der Gicht und das viertägichte Fieber; Läst die Meer-Spinne die schwartze Feuchtigkeit ent- gehen/ die sie von dem Garne deß Fischers e- ben so wohl als den Menschen aus dem Ne- tze der Feinde errettet. Sie verwandelt im Cameleon so offtmahls die Farben/ ohne wel- che Veränderung er sich nicht lange erhalten könte. Die Hindinnen sind nicht fähig zu em- pfangen und trächtig zu werden/ wenn sie nicht der Blitz vorher furchtsam gemacht. Die Furcht lösete des jungen Croesus stumme Zun- ge; Sie ist eine Gefährtin kluger und in die Ferne künfftiger Zufälle sehender Köpffe/ und daher war Aristippus auff der See beym Sturme furchtsamer als niemand anders. Ja die Furcht ist eine Wehmutter der Tapffer- keit/ in dem ein alles fürchtender Mensch auch alles fähig zu wagen ist/ und die älteste Urhe- berin der Andacht/ denn sie hat den Men- schen zum ersten gelehret/ daß ein Gott sey. Weßwegen sich so vielweniger zu verwundern/ daß die Römer der Furcht nicht nur Altäre/ sondern die Spartaner ihr einen Tempel ge- baut/ und an selbten den Richter-Stul ihrer Fürsten gelehnet haben. Warum sol[te] sie denn
Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
Geſellſchafft/ Doͤrffer und Staͤdte verſammle-te. Adgandeſter begegnete ihm: Wenn er die Beſchaffenheit gegenwaͤrtiger Zeit und die Nei- gungen itziger eiſernen Menſchen recht uͤberleg- te/ muͤſte er dieſer denen Rhetiern beygemeſſener Meinung beypflichten. Deutſchland waͤre von undencklicher Zeit geſpalten/ und ein Volck gegen dem andern wie Hund und Katze geſin- net geweſt. Die einige Furcht fuͤr den Roͤmern haͤtte ſie nun endlich mit einander verknuͤpffet/ welche wegen ihrer anhaͤngender Kaͤlte die Ei- genſchafft des Waſſers haͤtte/ indem dieſe nicht nur das ſonſt zerflieſſende Waſſer/ ſondern auch die widrigſten Dinge durch Zuſammenfrie- rung/ jene aber die aͤrgſten Feinde gegen die von einem Drittern andraͤuende Gefahr vereinbaꝛ- te. Rhemetalces veꝛſetzte: deꝛ meiſten Weltwei- ſen einhellige Meinung waͤre doch/ daß weder die Ameiſen noch die Bienen zu der Verſamm- lung ſo ſehr als der Menſch geneigt waͤren. Die- ſen haͤtte die Natur ohne Waffen geſchaffen/ al- ſo waͤre er eines gemeinen Beyſtandes mehr als andere Thiere benoͤthigt. Er wuͤrde der wil- den Thiere taͤgliche Beute/ und ſein Blut ihre gemeinſte Speiſe ſeyn/ wenn ihn die Vernunfft und Geſellſchafft nicht beſchirmete. Dieſe a- ber eignete ihm die Herrſchafft uͤber die ſtaͤrck- ſten Elephanten und die unbaͤndigſten Panther zu. Sie befreyete ihn von Kranckheiten/ ſtaͤrck- te ihn beym Alter/ linderte ſeine Schmertzen; ja mit ihr wuͤrde die Einigkeit des menſchli- chen Geſchlechts und das Leben ſelbſt zertrennet. Weil nun iedes Thier einen natuͤrlichen Trieb zu ſeiner Erhaltung haͤtte/ muͤſte der Menſch auch ſelbten zur Geſellſchafft/ als dem einigen Mittel ſeiner Erhaltung haben. Die Einſamkeit waͤre dem Tode aͤhnlicher als dem Leben; jener aber waͤre das ſchrecklichſte in der Welt/ und die Zernichtung der Natur. Wie koͤnte ſolcher nun der Menſch nicht gram ſeyn? Auſerhalb der Gemeinſchafft waͤre die Zunge/ [Spaltenumbruch] der alleredleſte Werckzeug der Vernunfft/ und das den Menſchen am meiſten von andern un- terſcheidende Merckmahl/ nichts nuͤtze. Sol- te ſie deßhalben die kluge Mutter der Welt umſonſt geſchaffen haben? Das Feuer der Lie- be muͤſte ohne Geſellſchafft erleſchen/ das Band der Freundſchafft ſich zernichten/ die Fort- pflantzung nachbleiben und durch die allge- meine Furcht das gantze menſchliche Geſchlech- te in ſein altes Nichts vergraben werden. Ma- lovend hielt ſich ſchuldig zu ſeyn Adgandeſters anzunehmen/ ſetzte alſo Rhemetalcen entge- gen: Die Furcht iſt kein ſo grauſames Un- thier als ſie insgemein gemahlet wird. Sie hilfft in unterſchiedenen Kranckheiten; Sie oͤff- net die Blaſe/ vertreibt das Schlucken/ der Gicht und das viertaͤgichte Fieber; Laͤſt die Meer-Spinne die ſchwartze Feuchtigkeit ent- gehen/ die ſie von dem Garne deß Fiſchers e- ben ſo wohl als den Menſchen aus dem Ne- tze der Feinde errettet. Sie verwandelt im Cameleon ſo offtmahls die Farben/ ohne wel- che Veraͤnderung er ſich nicht lange erhalten koͤnte. Die Hindinnen ſind nicht faͤhig zu em- pfangen und traͤchtig zu werden/ wenn ſie nicht der Blitz vorher furchtſam gemacht. Die Furcht loͤſete des jungen Croeſus ſtumme Zun- ge; Sie iſt eine Gefaͤhrtin kluger und in die Ferne kuͤnfftiger Zufaͤlle ſehender Koͤpffe/ und daher war Ariſtippus auff der See beym Sturme furchtſamer als niemand anders. Ja die Furcht iſt eine Wehmutter der Tapffer- keit/ in dem ein alles fuͤrchtender Menſch auch alles faͤhig zu wagen iſt/ und die aͤlteſte Urhe- berin der Andacht/ denn ſie hat den Men- ſchen zum erſten gelehret/ daß ein Gott ſey. Weßwegen ſich ſo vielweniger zu verwundern/ daß die Roͤmer der Furcht nicht nur Altaͤre/ ſondern die Spartaner ihr einen Tempel ge- baut/ und an ſelbten den Richter-Stul ihrer Fuͤrſten gelehnet haben. Warum ſol[te] ſie denn
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Vierdtes Buch
Geſellſchafft/ Doͤrffer und Staͤdte verſammle-
te. Adgandeſter begegnete ihm: Wenn er die
Beſchaffenheit gegenwaͤrtiger Zeit und die Nei-
gungen itziger eiſernen Menſchen recht uͤberleg-
te/ muͤſte er dieſer denen Rhetiern beygemeſſener
Meinung beypflichten. Deutſchland waͤre
von undencklicher Zeit geſpalten/ und ein Volck
gegen dem andern wie Hund und Katze geſin-
net geweſt. Die einige Furcht fuͤr den Roͤmern
haͤtte ſie nun endlich mit einander verknuͤpffet/
welche wegen ihrer anhaͤngender Kaͤlte die Ei-
genſchafft des Waſſers haͤtte/ indem dieſe nicht
nur das ſonſt zerflieſſende Waſſer/ ſondern auch
die widrigſten Dinge durch Zuſammenfrie-
rung/ jene aber die aͤrgſten Feinde gegen die von
einem Drittern andraͤuende Gefahr vereinbaꝛ-
te. Rhemetalces veꝛſetzte: deꝛ meiſten Weltwei-
ſen einhellige Meinung waͤre doch/ daß weder
die Ameiſen noch die Bienen zu der Verſamm-
lung ſo ſehr als der Menſch geneigt waͤren. Die-
ſen haͤtte die Natur ohne Waffen geſchaffen/ al-
ſo waͤre er eines gemeinen Beyſtandes mehr als
andere Thiere benoͤthigt. Er wuͤrde der wil-
den Thiere taͤgliche Beute/ und ſein Blut ihre
gemeinſte Speiſe ſeyn/ wenn ihn die Vernunfft
und Geſellſchafft nicht beſchirmete. Dieſe a-
ber eignete ihm die Herrſchafft uͤber die ſtaͤrck-
ſten Elephanten und die unbaͤndigſten Panther
zu. Sie befreyete ihn von Kranckheiten/ ſtaͤrck-
te ihn beym Alter/ linderte ſeine Schmertzen;
ja mit ihr wuͤrde die Einigkeit des menſchli-
chen Geſchlechts und das Leben ſelbſt zertrennet.
Weil nun iedes Thier einen natuͤrlichen
Trieb zu ſeiner Erhaltung haͤtte/ muͤſte der
Menſch auch ſelbten zur Geſellſchafft/ als dem
einigen Mittel ſeiner Erhaltung haben. Die
Einſamkeit waͤre dem Tode aͤhnlicher als dem
Leben; jener aber waͤre das ſchrecklichſte in der
Welt/ und die Zernichtung der Natur. Wie
koͤnte ſolcher nun der Menſch nicht gram ſeyn?
Auſerhalb der Gemeinſchafft waͤre die Zunge/
der alleredleſte Werckzeug der Vernunfft/ und
das den Menſchen am meiſten von andern un-
terſcheidende Merckmahl/ nichts nuͤtze. Sol-
te ſie deßhalben die kluge Mutter der Welt
umſonſt geſchaffen haben? Das Feuer der Lie-
be muͤſte ohne Geſellſchafft erleſchen/ das Band
der Freundſchafft ſich zernichten/ die Fort-
pflantzung nachbleiben und durch die allge-
meine Furcht das gantze menſchliche Geſchlech-
te in ſein altes Nichts vergraben werden. Ma-
lovend hielt ſich ſchuldig zu ſeyn Adgandeſters
anzunehmen/ ſetzte alſo Rhemetalcen entge-
gen: Die Furcht iſt kein ſo grauſames Un-
thier als ſie insgemein gemahlet wird. Sie
hilfft in unterſchiedenen Kranckheiten; Sie oͤff-
net die Blaſe/ vertreibt das Schlucken/ der
Gicht und das viertaͤgichte Fieber; Laͤſt die
Meer-Spinne die ſchwartze Feuchtigkeit ent-
gehen/ die ſie von dem Garne deß Fiſchers e-
ben ſo wohl als den Menſchen aus dem Ne-
tze der Feinde errettet. Sie verwandelt im
Cameleon ſo offtmahls die Farben/ ohne wel-
che Veraͤnderung er ſich nicht lange erhalten
koͤnte. Die Hindinnen ſind nicht faͤhig zu em-
pfangen und traͤchtig zu werden/ wenn ſie
nicht der Blitz vorher furchtſam gemacht. Die
Furcht loͤſete des jungen Croeſus ſtumme Zun-
ge; Sie iſt eine Gefaͤhrtin kluger und in die
Ferne kuͤnfftiger Zufaͤlle ſehender Koͤpffe/ und
daher war Ariſtippus auff der See beym
Sturme furchtſamer als niemand anders. Ja
die Furcht iſt eine Wehmutter der Tapffer-
keit/ in dem ein alles fuͤrchtender Menſch auch
alles faͤhig zu wagen iſt/ und die aͤlteſte Urhe-
berin der Andacht/ denn ſie hat den Men-
ſchen zum erſten gelehret/ daß ein Gott ſey.
Weßwegen ſich ſo vielweniger zu verwundern/
daß die Roͤmer der Furcht nicht nur Altaͤre/
ſondern die Spartaner ihr einen Tempel ge-
baut/ und an ſelbten den Richter-Stul ihrer
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/404>, abgerufen am 26.06.2024. |