Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
eusserste Kräfften anzugewehren/ um andernvorzukommen; nicht aber denen ihn überei- lenden ein Bein unterzuschlagen. Jeder Mensch möchte sich um seine Nothdurfft bewer- ben/ aber sie nicht andern arglistig oder mit Ge- walt nehmen; ungeachtet die Natur dem Men- schen das Urthel/ was er zu seiner Erhaltung be- dörffe/ frey gelassen/ und anfangs alle Dinge iederman frey gemacht hätte. Denn jenes sol- le der gesunden Vernunfft und dem angezoge- nen Gesetze gemäß seyn; und weil das Recht al- ler Menschen zu iedem Dinge nur eines ieden Genüß verhindern würde/ wäre hernach das durch die Gemeinschafft eingeführte Eigen- thum von ihr gebilligt/ und derogestalt dem Krie- ge ein Zaum angeleget worden/ welcher der Er- haltung der Menschen ungezweiffelt zuwider; also der Mensch denen/ die ihm zu schaden nicht gemeinet sind/ vermöge obigen Gesetzes/ gutes zu thun/ und also ihre Gemeinschafft zu unter- halten verbunden wäre. Zu welcher Verbind- ligkeit auch allein genug zu seyn schiene/ daß der andere so wohl ein Mensch als er wäre. Denn diese Gleichheit hebe alle Fremdigkeit auff/ sänf- tige alle widrige Meinungen und gebe einen fe- sten Fuß zu allgemeiner Freundschafft ab. Die Griechen hätten ihrem Jupiter nicht unbillich den Zunahmen eines Freundes/ eines Gefär- then und eines Gastfreyen zugeeignet/ und ihn gepriesen/ daß er diese Eigenschafften auch den Menschen mittheilte/ wormit sie durch verwech- selte Wohlthaten ihrer Selbst-Liebe so vielmehr ein Genügen thäten. Sintemahl auch die Eh- re vielen andern genutzt zu haben uns selbst die süsseste Vergnügung ist. Je mehr ihrer nun unserer Hülffe geniessen/ ie weiter erstreckt sich unser Ruhm. Weßwegen die nur gegen ein- tzele Menschen tragende Freundschafft mehr von des menschlichen Geschlechts Schwachheit/ als von der Einsetzung der Natur den Ursprung hat; und deßwegen Hercules/ welcher allen [Spaltenumbruch] Menschen ohne Unterscheid durch seine Thaten wohlzuthun bemüht gewest/ für allen andern Helden unter die Sternen versetzt worden. Ma- lovend warff ein: was ist denn die Natur für ei- ne zänckische Stieff-Mutter/ daß sie dem Men- schen einen kriegerischen Trieb einpflantzet/ gleichwohl aber Gesetze der Eintracht fürschrei- bet? Adgandester unterbrach diesen Zwist/ und fing an: Seinem Urtheil nach hätte der Mensch eine natürliche Neigung zu der häußlichen Ge- meinschafft/ die bürgerliche aber hätte ihren Ur- sprung aus der Furcht/ und der Vorsorge bevor- stehendes Ubel abzuwenden. Jene hätte zu ihren Grundfesten die Begierde der Vermeh- rung und daher die Gemeinschafft des Männ- und Weiblichen Geschlechts/ wie auch die ein- gepflantzte Liebe der Eltern gegen ihre Kinder und der Bluts-Verwandten gegen einander. Diese häußliche Gemeinschafft ist schon genug den Menschen zu vergnügen und glückselig zu machen. Sintemal die Natur mit wenigem vergnügt/ der Uberfluß aber eine Mißgeburt grosser Städte ist. Bey dieser Gemeinschafft wären die ersten Menschen blieben; welche ins- gemein in holen Bäumen und Wäldern ge- wohnt. Die Scythen hätten noch ihren Auff- enthalt auff Wagen/ die Araber in Ziegen- Hütten/ welche sie bald dar bald dort auffschlü- gen. Eben so hätten die wenigsten Deutschen Städte/ die meisten vertrügen nicht/ daß der Nachbar an ihre Häuser anbauete; sondern sie wären nach Gelegenheit eines Brunnens/ Pu- sches/ Feldes oder einer Bach weit von einandes zerstreuet. Viel wohnten auch noch in den Hö- len der Berge/ und bedeckten sie des Winters mit Miste. Bey solcher Beschaffenheit hätte die Natur gar nicht/ sondern die Wollust alleine vonnöthen gehabt dem Menschen die Begierde zu bürgerlicher Gemeinschafft einzupflantzen/ ungeachtet der Mensch eine Fähigkeit an sich hat/ daß er zum bürgerlichen Wandel ausge- arbei-
Vierdtes Buch [Spaltenumbruch]
euſſerſte Kraͤfften anzugewehren/ um andernvorzukommen; nicht aber denen ihn uͤberei- lenden ein Bein unterzuſchlagen. Jeder Menſch moͤchte ſich um ſeine Nothdurfft bewer- ben/ aber ſie nicht andern argliſtig oder mit Ge- walt nehmen; ungeachtet die Natur dem Men- ſchen das Urthel/ was er zu ſeiner Erhaltung be- doͤrffe/ frey gelaſſen/ und anfangs alle Dinge iederman frey gemacht haͤtte. Denn jenes ſol- le der geſunden Vernunfft und dem angezoge- nen Geſetze gemaͤß ſeyn; und weil das Recht al- ler Menſchen zu iedem Dinge nur eines ieden Genuͤß verhindern wuͤrde/ waͤre hernach das durch die Gemeinſchafft eingefuͤhrte Eigen- thum von ihr gebilligt/ und derogeſtalt dem Krie- ge ein Zaum angeleget worden/ welcher der Er- haltung der Menſchen ungezweiffelt zuwider; alſo der Menſch denen/ die ihm zu ſchaden nicht gemeinet ſind/ vermoͤge obigen Geſetzes/ gutes zu thun/ und alſo ihre Gemeinſchafft zu unter- halten verbunden waͤre. Zu welcher Verbind- ligkeit auch allein genug zu ſeyn ſchiene/ daß der andere ſo wohl ein Menſch als er waͤre. Denn dieſe Gleichheit hebe alle Fremdigkeit auff/ ſaͤnf- tige alle widrige Meinungen und gebe einen fe- ſten Fuß zu allgemeiner Freundſchafft ab. Die Griechen haͤtten ihrem Jupiter nicht unbillich den Zunahmen eines Freundes/ eines Gefaͤr- then und eines Gaſtfreyen zugeeignet/ und ihn geprieſen/ daß er dieſe Eigenſchafften auch den Menſchen mittheilte/ wormit ſie durch verwech- ſelte Wohlthaten ihrer Selbſt-Liebe ſo vielmehr ein Genuͤgen thaͤten. Sintemahl auch die Eh- re vielen andern genutzt zu haben uns ſelbſt die ſuͤſſeſte Vergnuͤgung iſt. Je mehr ihrer nun unſerer Huͤlffe genieſſen/ ie weiter erſtreckt ſich unſer Ruhm. Weßwegen die nur gegen ein- tzele Menſchen tꝛagende Freundſchafft mehr von des menſchlichen Geſchlechts Schwachheit/ als von der Einſetzung der Natur den Urſprung hat; und deßwegen Hercules/ welcher allen [Spaltenumbruch] Menſchen ohne Unterſcheid durch ſeine Thaten wohlzuthun bemuͤht geweſt/ fuͤr allen andern Helden unter die Sternen verſetzt worden. Ma- lovend warff ein: was iſt denn die Natur fuͤr ei- ne zaͤnckiſche Stieff-Mutter/ daß ſie dem Men- ſchen einen kriegeriſchen Trieb einpflantzet/ gleichwohl aber Geſetze der Eintracht fuͤrſchrei- bet? Adgandeſter unterbrach dieſen Zwiſt/ und fing an: Seinem Urtheil nach haͤtte der Menſch eine natuͤrliche Neigung zu der haͤußlichen Ge- meinſchafft/ die buͤrgerliche aber haͤtte ihren Ur- ſprung aus der Furcht/ und der Vorſorge bevor- ſtehendes Ubel abzuwenden. Jene haͤtte zu ihren Grundfeſten die Begierde der Vermeh- rung und daher die Gemeinſchafft des Maͤnn- und Weiblichen Geſchlechts/ wie auch die ein- gepflantzte Liebe der Eltern gegen ihre Kinder und der Bluts-Verwandten gegen einander. Dieſe haͤußliche Gemeinſchafft iſt ſchon genug den Menſchen zu vergnuͤgen und gluͤckſelig zu machen. Sintemal die Natur mit wenigem vergnuͤgt/ der Uberfluß aber eine Mißgeburt groſſer Staͤdte iſt. Bey dieſer Gemeinſchafft waͤren die erſten Menſchen blieben; welche ins- gemein in holen Baͤumen und Waͤldern ge- wohnt. Die Scythen haͤtten noch ihren Auff- enthalt auff Wagen/ die Araber in Ziegen- Huͤtten/ welche ſie bald dar bald dort auffſchluͤ- gen. Eben ſo haͤtten die wenigſten Deutſchen Staͤdte/ die meiſten vertruͤgen nicht/ daß der Nachbar an ihre Haͤuſer anbauete; ſondern ſie waͤren nach Gelegenheit eines Brunnens/ Pu- ſches/ Feldes oder einer Bach weit von einandes zerſtreuet. Viel wohnten auch noch in den Hoͤ- len der Berge/ und bedeckten ſie des Winters mit Miſte. Bey ſolcher Beſchaffenheit haͤtte die Natur gar nicht/ ſondern die Wolluſt alleine vonnoͤthen gehabt dem Menſchen die Begierde zu buͤrgerlicher Gemeinſchafft einzupflantzen/ ungeachtet der Menſch eine Faͤhigkeit an ſich hat/ daß er zum buͤrgerlichen Wandel ausge- arbei-
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Vierdtes Buch
euſſerſte Kraͤfften anzugewehren/ um andern
vorzukommen; nicht aber denen ihn uͤberei-
lenden ein Bein unterzuſchlagen. Jeder
Menſch moͤchte ſich um ſeine Nothdurfft bewer-
ben/ aber ſie nicht andern argliſtig oder mit Ge-
walt nehmen; ungeachtet die Natur dem Men-
ſchen das Urthel/ was er zu ſeiner Erhaltung be-
doͤrffe/ frey gelaſſen/ und anfangs alle Dinge
iederman frey gemacht haͤtte. Denn jenes ſol-
le der geſunden Vernunfft und dem angezoge-
nen Geſetze gemaͤß ſeyn; und weil das Recht al-
ler Menſchen zu iedem Dinge nur eines ieden
Genuͤß verhindern wuͤrde/ waͤre hernach das
durch die Gemeinſchafft eingefuͤhrte Eigen-
thum von ihr gebilligt/ und derogeſtalt dem Krie-
ge ein Zaum angeleget worden/ welcher der Er-
haltung der Menſchen ungezweiffelt zuwider;
alſo der Menſch denen/ die ihm zu ſchaden nicht
gemeinet ſind/ vermoͤge obigen Geſetzes/ gutes
zu thun/ und alſo ihre Gemeinſchafft zu unter-
halten verbunden waͤre. Zu welcher Verbind-
ligkeit auch allein genug zu ſeyn ſchiene/ daß der
andere ſo wohl ein Menſch als er waͤre. Denn
dieſe Gleichheit hebe alle Fremdigkeit auff/ ſaͤnf-
tige alle widrige Meinungen und gebe einen fe-
ſten Fuß zu allgemeiner Freundſchafft ab. Die
Griechen haͤtten ihrem Jupiter nicht unbillich
den Zunahmen eines Freundes/ eines Gefaͤr-
then und eines Gaſtfreyen zugeeignet/ und ihn
geprieſen/ daß er dieſe Eigenſchafften auch den
Menſchen mittheilte/ wormit ſie durch verwech-
ſelte Wohlthaten ihrer Selbſt-Liebe ſo vielmehr
ein Genuͤgen thaͤten. Sintemahl auch die Eh-
re vielen andern genutzt zu haben uns ſelbſt die
ſuͤſſeſte Vergnuͤgung iſt. Je mehr ihrer nun
unſerer Huͤlffe genieſſen/ ie weiter erſtreckt ſich
unſer Ruhm. Weßwegen die nur gegen ein-
tzele Menſchen tꝛagende Freundſchafft mehr von
des menſchlichen Geſchlechts Schwachheit/ als
von der Einſetzung der Natur den Urſprung
hat; und deßwegen Hercules/ welcher allen
Menſchen ohne Unterſcheid durch ſeine Thaten
wohlzuthun bemuͤht geweſt/ fuͤr allen andern
Helden unter die Sternen verſetzt worden. Ma-
lovend warff ein: was iſt denn die Natur fuͤr ei-
ne zaͤnckiſche Stieff-Mutter/ daß ſie dem Men-
ſchen einen kriegeriſchen Trieb einpflantzet/
gleichwohl aber Geſetze der Eintracht fuͤrſchrei-
bet? Adgandeſter unterbrach dieſen Zwiſt/ und
fing an: Seinem Urtheil nach haͤtte der Menſch
eine natuͤrliche Neigung zu der haͤußlichen Ge-
meinſchafft/ die buͤrgerliche aber haͤtte ihren Ur-
ſprung aus der Furcht/ und der Vorſorge bevor-
ſtehendes Ubel abzuwenden. Jene haͤtte zu
ihren Grundfeſten die Begierde der Vermeh-
rung und daher die Gemeinſchafft des Maͤnn-
und Weiblichen Geſchlechts/ wie auch die ein-
gepflantzte Liebe der Eltern gegen ihre Kinder
und der Bluts-Verwandten gegen einander.
Dieſe haͤußliche Gemeinſchafft iſt ſchon genug
den Menſchen zu vergnuͤgen und gluͤckſelig zu
machen. Sintemal die Natur mit wenigem
vergnuͤgt/ der Uberfluß aber eine Mißgeburt
groſſer Staͤdte iſt. Bey dieſer Gemeinſchafft
waͤren die erſten Menſchen blieben; welche ins-
gemein in holen Baͤumen und Waͤldern ge-
wohnt. Die Scythen haͤtten noch ihren Auff-
enthalt auff Wagen/ die Araber in Ziegen-
Huͤtten/ welche ſie bald dar bald dort auffſchluͤ-
gen. Eben ſo haͤtten die wenigſten Deutſchen
Staͤdte/ die meiſten vertruͤgen nicht/ daß der
Nachbar an ihre Haͤuſer anbauete; ſondern ſie
waͤren nach Gelegenheit eines Brunnens/ Pu-
ſches/ Feldes oder einer Bach weit von einandes
zerſtreuet. Viel wohnten auch noch in den Hoͤ-
len der Berge/ und bedeckten ſie des Winters
mit Miſte. Bey ſolcher Beſchaffenheit haͤtte
die Natur gar nicht/ ſondern die Wolluſt alleine
vonnoͤthen gehabt dem Menſchen die Begierde
zu buͤrgerlicher Gemeinſchafft einzupflantzen/
ungeachtet der Menſch eine Faͤhigkeit an ſich
hat/ daß er zum buͤrgerlichen Wandel ausge-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/406>, abgerufen am 26.06.2024. |