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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] beitet werden könne. Für sich selbst aber und
seinem Ursprunge nach kan er ausserhalb der
Städte vergnügt/ tugendhafft und also glück-
selig leben. Dahero auch ein guter Mann
und guter Mensch weit vonsammen unter-
schieden sind; und es sich in einem verwirre-
ten Stadt-Wesen treffen kan/ daß ein guter
Bürger kein guter Mann seyn dörffe. Ja
weil die häußliche Gemeinschafft allem Man-
gel der Lebens-Mittel und den Verdrüßligkei-
ten der Einsamkeit abzuhelffen vermag/ hinge-
gen aber die Bürgerliche ein Verbündniß ist/
welches Kinder und albere Leute nicht einge-
hen können/ auch ohne Gesetze unmöglich be-
stehen kan/ welche den Menschen/ sein Ver-
mögen/ seine Ehre und Leben derselben Zwan-
ge unterwerffen/ ihm also viel/ worzu er kei-
ne Lust hat/ auffnöthigen/ seinen frechen Be-
gierden einen Kapzaum anlegen/ und gleich-
wohl manchen zu keinem das gemeine Wesen
fürnehmlich suchenden Bürger machen/ schei-
net die bürgerliche Gemeinschafft eine Berau-
bung der natürlichen Freyheit/ und also der
Natur mehr zuwider als ihr Werck zu seyn.
Zumahl der Mensch unter allen Thieren das
ungezähmteste ist; und an kriegerischer Zwy-
tracht die rasenden Tieger übertrifft/ welche
gleichwohl unter sich selbst einen ewigen Frieden
halten; jener aber nicht nur auff seines gleichen/
sondern wider sein eigenes Blut wütet/ durch
Geitz/ Hoffart und Ehrsucht/ derer verein-
barten Regungen sonst kein Thier fähig ist/
nicht nur die andern Glieder einer Stadt un-
terdrücket/ sondern Gott selbst verachtet; also/
daß die Natur nur deßhalben aus einer vorsich-
tigen Erbarmniß den Menschen am allerlang-
samsten groß wachsen läßt/ wormit er nicht zu
geschwinde zu einem unbändigen Ungeheuer
werde/ und durch kluge Aufferziehung zu ei-
nem tauglichen Bürger ausgeschnitzt werden
könne. Diese angebohrne Unart der Menschen
hat unter dem gantzen Geschlechte ein Miß-
[Spaltenumbruch] trauen und Furcht/ diese aber die bürgerliche
Gemeinschafft/ die Erbauung der Städte/
die Befestigung gewisser Plätze/ den Gerichts-
Zwang und die höchste Gewalt gestifftet/ wor-
mit man so wohl wider Fremder als Einhei-
mischer unrechte Gewalt sicher sey; Nachdem
das Gesetze der Natur wegen der Menschen
allzu hefftiger Gemüths-Regungen sie in den
Schrancken der Billigkeit zu halten viel zu
schwach/ und ihr Urthel theils wegen so gros-
sen Unterschieds der Meinungen zu zweiffel-
hafft/ theils wegen übermäßiger Selbst-Liebe
gar zu unrecht ist.

Malovend und Rhemetalces nahmen entwe-
der aus wahrhafftem Beyfall/ oder aus Begier-
de Adgandestern auff seine angefangene Erzeh-
lung zu bringen/ seine Erklärung für einen ge-
rechten Entscheid an. Diesem nach er denn
folgender massen darinnen fortfuhr. Die Rhe-
tier waren ein Beyspiel der von den Gesetzen
der Natur abirrenden Menschen/ und daß die
Furcht eine Mutter der Rache und Grausam-
keit/ auch die bürgerliche Gemeinschafft mehr-
mahls der Natur abgesagte Feindin sey. Denn
als die Römer einst etliche Rhetier durch List
in ihre Hände bekamen und tödteten/ machten
diese ein Gesetze/ daß niemand bey Verlust
seines Lebens einen in seine Gewalt gediege-
nen Römer leben lassen dorffte/ ja sie verschon-
ten nicht der unzeitigen Knaben in Mutter-
leibe/ nachdem sie durch Zaubereyen erforschten/
ob die schwangern Weiber Knaben oder
Mägdlein trügen. Diesem nach schickte der
Käyser diesen Drusus mit einem Heere gegen
sie; welchem sie aber bey dem Tridentinischen
Gebürge die Stirne boten/ iedoch weil die
Römer ihnen an Art der Waffen überlegen
waren/ den Kürtzern und sich zurück ziehen mu-
sten. Nichts destoweniger streifften sie noch
immer in Gallien/ welches den Käyser nöthig-
te den Drusus mit einem frischen Heere ih-
nen entgegen zu schicken/ und Tiberius selbst

setzte
Erster Theil. Y y

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] beitet werden koͤnne. Fuͤr ſich ſelbſt aber und
ſeinem Urſprunge nach kan er auſſerhalb der
Staͤdte vergnuͤgt/ tugendhafft und alſo gluͤck-
ſelig leben. Dahero auch ein guter Mann
und guter Menſch weit vonſammen unter-
ſchieden ſind; und es ſich in einem verwirre-
ten Stadt-Weſen treffen kan/ daß ein guter
Buͤrger kein guter Mann ſeyn doͤrffe. Ja
weil die haͤußliche Gemeinſchafft allem Man-
gel der Lebens-Mittel und den Verdruͤßligkei-
ten der Einſamkeit abzuhelffen vermag/ hinge-
gen aber die Buͤrgerliche ein Verbuͤndniß iſt/
welches Kinder und albere Leute nicht einge-
hen koͤnnen/ auch ohne Geſetze unmoͤglich be-
ſtehen kan/ welche den Menſchen/ ſein Ver-
moͤgen/ ſeine Ehre und Leben derſelben Zwan-
ge unterwerffen/ ihm alſo viel/ worzu er kei-
ne Luſt hat/ auffnoͤthigen/ ſeinen frechen Be-
gierden einen Kapzaum anlegen/ und gleich-
wohl manchen zu keinem das gemeine Weſen
fuͤrnehmlich ſuchenden Buͤrger machen/ ſchei-
net die buͤrgerliche Gemeinſchafft eine Berau-
bung der natuͤrlichen Freyheit/ und alſo der
Natur mehr zuwider als ihr Werck zu ſeyn.
Zumahl der Menſch unter allen Thieren das
ungezaͤhmteſte iſt; und an kriegeriſcher Zwy-
tracht die raſenden Tieger uͤbertrifft/ welche
gleichwohl unter ſich ſelbſt einen ewigen Frieden
halten; jener aber nicht nur auff ſeines gleichen/
ſondern wider ſein eigenes Blut wuͤtet/ durch
Geitz/ Hoffart und Ehrſucht/ derer verein-
barten Regungen ſonſt kein Thier faͤhig iſt/
nicht nur die andern Glieder einer Stadt un-
terdruͤcket/ ſondern Gott ſelbſt verachtet; alſo/
daß die Natur nur deßhalben aus einer vorſich-
tigen Erbarmniß den Menſchen am allerlang-
ſamſten groß wachſen laͤßt/ wormit er nicht zu
geſchwinde zu einem unbaͤndigen Ungeheuer
werde/ und durch kluge Aufferziehung zu ei-
nem tauglichen Buͤrger ausgeſchnitzt werden
koͤnne. Dieſe angebohrne Unart der Menſchen
hat unter dem gantzen Geſchlechte ein Miß-
[Spaltenumbruch] trauen und Furcht/ dieſe aber die buͤrgerliche
Gemeinſchafft/ die Erbauung der Staͤdte/
die Befeſtigung gewiſſer Plaͤtze/ den Gerichts-
Zwang und die hoͤchſte Gewalt geſtifftet/ wor-
mit man ſo wohl wider Fremder als Einhei-
miſcher unrechte Gewalt ſicher ſey; Nachdem
das Geſetze der Natur wegen der Menſchen
allzu hefftiger Gemuͤths-Regungen ſie in den
Schrancken der Billigkeit zu halten viel zu
ſchwach/ und ihr Urthel theils wegen ſo groſ-
ſen Unterſchieds der Meinungen zu zweiffel-
hafft/ theils wegen uͤbermaͤßiger Selbſt-Liebe
gar zu unrecht iſt.

Malovend und Rhemetalces nahmen entwe-
der aus wahrhafftem Beyfall/ oder aus Begier-
de Adgandeſtern auff ſeine angefangene Erzeh-
lung zu bringen/ ſeine Erklaͤrung fuͤr einen ge-
rechten Entſcheid an. Dieſem nach er denn
folgender maſſen darinnen fortfuhr. Die Rhe-
tier waren ein Beyſpiel der von den Geſetzen
der Natur abirrenden Menſchen/ und daß die
Furcht eine Mutter der Rache und Grauſam-
keit/ auch die buͤrgerliche Gemeinſchafft mehr-
mahls der Natur abgeſagte Feindin ſey. Denn
als die Roͤmer einſt etliche Rhetier durch Liſt
in ihre Haͤnde bekamen und toͤdteten/ machten
dieſe ein Geſetze/ daß niemand bey Verluſt
ſeines Lebens einen in ſeine Gewalt gediege-
nen Roͤmer leben laſſen dorffte/ ja ſie verſchon-
ten nicht der unzeitigen Knaben in Mutter-
leibe/ nachdem ſie durch Zaubereyen erforſchten/
ob die ſchwangern Weiber Knaben oder
Maͤgdlein truͤgen. Dieſem nach ſchickte der
Kaͤyſer dieſen Druſus mit einem Heere gegen
ſie; welchem ſie aber bey dem Tridentiniſchen
Gebuͤrge die Stirne boten/ iedoch weil die
Roͤmer ihnen an Art der Waffen uͤberlegen
waren/ den Kuͤrtzern und ſich zuruͤck ziehen mu-
ſten. Nichts deſtoweniger ſtreifften ſie noch
immer in Gallien/ welches den Kaͤyſer noͤthig-
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nen entgegen zu ſchicken/ und Tiberius ſelbſt

ſetzte
Erſter Theil. Y y
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[353/0407] Arminius und Thußnelda. beitet werden koͤnne. Fuͤr ſich ſelbſt aber und ſeinem Urſprunge nach kan er auſſerhalb der Staͤdte vergnuͤgt/ tugendhafft und alſo gluͤck- ſelig leben. Dahero auch ein guter Mann und guter Menſch weit vonſammen unter- ſchieden ſind; und es ſich in einem verwirre- ten Stadt-Weſen treffen kan/ daß ein guter Buͤrger kein guter Mann ſeyn doͤrffe. Ja weil die haͤußliche Gemeinſchafft allem Man- gel der Lebens-Mittel und den Verdruͤßligkei- ten der Einſamkeit abzuhelffen vermag/ hinge- gen aber die Buͤrgerliche ein Verbuͤndniß iſt/ welches Kinder und albere Leute nicht einge- hen koͤnnen/ auch ohne Geſetze unmoͤglich be- ſtehen kan/ welche den Menſchen/ ſein Ver- moͤgen/ ſeine Ehre und Leben derſelben Zwan- ge unterwerffen/ ihm alſo viel/ worzu er kei- ne Luſt hat/ auffnoͤthigen/ ſeinen frechen Be- gierden einen Kapzaum anlegen/ und gleich- wohl manchen zu keinem das gemeine Weſen fuͤrnehmlich ſuchenden Buͤrger machen/ ſchei- net die buͤrgerliche Gemeinſchafft eine Berau- bung der natuͤrlichen Freyheit/ und alſo der Natur mehr zuwider als ihr Werck zu ſeyn. Zumahl der Menſch unter allen Thieren das ungezaͤhmteſte iſt; und an kriegeriſcher Zwy- tracht die raſenden Tieger uͤbertrifft/ welche gleichwohl unter ſich ſelbſt einen ewigen Frieden halten; jener aber nicht nur auff ſeines gleichen/ ſondern wider ſein eigenes Blut wuͤtet/ durch Geitz/ Hoffart und Ehrſucht/ derer verein- barten Regungen ſonſt kein Thier faͤhig iſt/ nicht nur die andern Glieder einer Stadt un- terdruͤcket/ ſondern Gott ſelbſt verachtet; alſo/ daß die Natur nur deßhalben aus einer vorſich- tigen Erbarmniß den Menſchen am allerlang- ſamſten groß wachſen laͤßt/ wormit er nicht zu geſchwinde zu einem unbaͤndigen Ungeheuer werde/ und durch kluge Aufferziehung zu ei- nem tauglichen Buͤrger ausgeſchnitzt werden koͤnne. Dieſe angebohrne Unart der Menſchen hat unter dem gantzen Geſchlechte ein Miß- trauen und Furcht/ dieſe aber die buͤrgerliche Gemeinſchafft/ die Erbauung der Staͤdte/ die Befeſtigung gewiſſer Plaͤtze/ den Gerichts- Zwang und die hoͤchſte Gewalt geſtifftet/ wor- mit man ſo wohl wider Fremder als Einhei- miſcher unrechte Gewalt ſicher ſey; Nachdem das Geſetze der Natur wegen der Menſchen allzu hefftiger Gemuͤths-Regungen ſie in den Schrancken der Billigkeit zu halten viel zu ſchwach/ und ihr Urthel theils wegen ſo groſ- ſen Unterſchieds der Meinungen zu zweiffel- hafft/ theils wegen uͤbermaͤßiger Selbſt-Liebe gar zu unrecht iſt. Malovend und Rhemetalces nahmen entwe- der aus wahrhafftem Beyfall/ oder aus Begier- de Adgandeſtern auff ſeine angefangene Erzeh- lung zu bringen/ ſeine Erklaͤrung fuͤr einen ge- rechten Entſcheid an. Dieſem nach er denn folgender maſſen darinnen fortfuhr. Die Rhe- tier waren ein Beyſpiel der von den Geſetzen der Natur abirrenden Menſchen/ und daß die Furcht eine Mutter der Rache und Grauſam- keit/ auch die buͤrgerliche Gemeinſchafft mehr- mahls der Natur abgeſagte Feindin ſey. Denn als die Roͤmer einſt etliche Rhetier durch Liſt in ihre Haͤnde bekamen und toͤdteten/ machten dieſe ein Geſetze/ daß niemand bey Verluſt ſeines Lebens einen in ſeine Gewalt gediege- nen Roͤmer leben laſſen dorffte/ ja ſie verſchon- ten nicht der unzeitigen Knaben in Mutter- leibe/ nachdem ſie durch Zaubereyen erforſchten/ ob die ſchwangern Weiber Knaben oder Maͤgdlein truͤgen. Dieſem nach ſchickte der Kaͤyſer dieſen Druſus mit einem Heere gegen ſie; welchem ſie aber bey dem Tridentiniſchen Gebuͤrge die Stirne boten/ iedoch weil die Roͤmer ihnen an Art der Waffen uͤberlegen waren/ den Kuͤrtzern und ſich zuruͤck ziehen mu- ſten. Nichts deſtoweniger ſtreifften ſie noch immer in Gallien/ welches den Kaͤyſer noͤthig- te den Druſus mit einem friſchen Heere ih- nen entgegen zu ſchicken/ und Tiberius ſelbſt ſetzte Erſter Theil. Y y

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/407>, abgerufen am 22.11.2024.