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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] selbst zwar unsichtbaren Seite die Flucht gege-
ben haben müssen. Ja wenn sie auch schon ger-
ne länger gegen die Cherusker gestanden hät-
ten/ so konten sie doch nicht mehr das offentliche
Ausreissen ihrer Marckmänner und Sarma-
ter/ welche sich ohne diß in ihren Kriegen mehr-
mals der Flucht zu einer Kriegslist brauchen/
und also selbte kein mal für Schande halten/ ver-
wehren. Dahero musten diese zwey streitbare
Helden nur auch zu diesem Erhältnüsse der
furchtsamen ihre Zuflucht nehmen/ und sich trö-
sten/ daß die Klugheit zuweilen auch hertzhafften
zu weichen räthet; und bey verzweiffeltem Zu-
stande der Gefahr selbst in die Waffen rennen/
eine viehische Hartnäckigkeit/ keine Tugend sey.
Die Cherusker hingegen waren in ihrer Ver-
folgung nicht zu hemmen; in Meinung/ daß
die/ die Furcht im Hertzen trügen/ auch ein
Merckmahl auf den Rücken bekommen müsten.
Ob nun wol denen Marckmännern und Sar-
matern von dem Hinterhalte Marobods eine
starcke Hülffe entgegen kam; so wolten sie doch
nicht ihren Verfolgern die Stirne bieten/ son-
dern brachten unter ihre Gehülffen anfangs ein
Schrecken/ hernach ein gleichmäßiges Flie-
hen; biß den Cheruskern theils die Müdigkeit
ihrer Pferde/ theils die einbrechende Nacht end-
lich auchden Zügel anhielt.

Die nunmehr erledigte Fürstin Thußnelda
konte sich nicht enthalten ihren gantz mit Blut
besprützten Feldherrn thränende zu umfangen/
und für ihre Erlösung Danck zu sagen. Hertzog
Herrmann nahm selbte mit unaussprechlichen
Hertzens-Freuden an/ und ermahnte sie diese
mehr göttliche als menschliche Errettung mit
Frolocken/ nicht mit Thränen zu erkennen.
Thußnelda antwortete: ihre Zunge könte frey-
lich ihre Freude der Seele nicht aussprechen/
daß sie nicht allein aus den Händen des grausa-
men Marobods gerissen/ sondern auch in den
Armen ihres liebsten Herrmanns aufenthalten
wäre; aber wie solte sie nicht nur mit Thränen/
sondern vielmehr mit Blute beweinen/ daß das
[Spaltenumbruch] Geschencke des Lebens als die gröste Wohlthat
eines verletzten Menschen ihren Vater Se-
gesthes nicht hätte gewinnen/ und von einem so
bösen Fürnehmen zurück halten können. Der
Feldherr versetzte: Sie solte sich an der Güte des
Himmels vergnügen. Wer die göttliche Gewo-
genheit zur Mutter hätte/ könte die Hold eines
unbarmhertzigen Vaters leicht enthehren. Auch
könte Segesthes ihm nimmermehr so viel Leides
anthun; als er ihm ihr zu Liebe ver gessen wolte.
Ja nach dem er nunmehr Segesthen zweymal
überwunden hätte/ könte er mit keinem Ruhme
sich die Schwachheit des Zornes überwältigen
lassen. Freylich wol/ begegnete ihm Thußnelda/
ist diese Vergessenheit empfangener Beleidi-
gung rühmlicher als das berühmte Gedächtnüß
des Cyneas; weil diß eine blosse Gabe der Natur/
jene eine edle Würckung der Tugend ist. Auch
ist die Rache eben so wol ein Laster/ als die Ver-
letzung/ nur daß jene es dieser in der Zeit zuvor
thut. Jene empfindet nur die Süßigkeit eines
Augenblicks/ Sanftmuth und Vergebung aber
so lange/ als das Leben und Andencken tauert.
Jene verletzet nur den Leib ihres Feindes/ diese
aber ihre eigene Seele; ja sie kan seinem Verle-
tzer nichts anders rauben/ als was ihm die Zeit
ohne diß entziehen wird. Großmüthige Verzei-
hung hingegen wird durch unsterblichen Nach-
ruhm verewigt. Dieser hat niemanden iemals/
jener aber die meisten unzehlich mal gereuet/ alle
verhast gemacht/ und nicht wenig auch einer
gleichmäßigen Rache unterworffen. Also ward
des Achilles Sohn Neoptolemus/ weil er den
Priamus dem Jupiter auf seinem Altare abge-
schlachtet hatte/ vom Orestes nicht unbillich dem
Apollo ab gethan. So richtet ihr auch die Grau-
samkeit in ihrem eignen Hertzen eine Folter auf.
Denn wie die grimmigen Thiere für einem
Schatten/ eine abschelenden Blate/ einem unge-
meinen Geruche erschrecken/ die Löwen sich auch
für einer aufsprin genden Mauß erschüttern; also
fürchtet sich ein grausamer Fürst für eben so vielen/
als andere für ihm. Aber stehet es wol in unserer

Gewalt

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] ſelbſt zwar unſichtbaren Seite die Flucht gege-
ben haben muͤſſen. Ja wenn ſie auch ſchon ger-
ne laͤnger gegen die Cherusker geſtanden haͤt-
ten/ ſo konten ſie doch nicht mehr das offentliche
Ausreiſſen ihrer Marckmaͤnner und Sarma-
ter/ welche ſich ohne diß in ihren Kriegen mehr-
mals der Flucht zu einer Kriegsliſt brauchen/
und alſo ſelbte kein mal fuͤr Schande halten/ ver-
wehren. Dahero muſten dieſe zwey ſtreitbare
Helden nur auch zu dieſem Erhaͤltnuͤſſe der
furchtſamen ihre Zuflucht nehmen/ und ſich troͤ-
ſten/ daß die Klugheit zuweilen auch hertzhafften
zu weichen raͤthet; und bey verzweiffeltem Zu-
ſtande der Gefahr ſelbſt in die Waffen rennen/
eine viehiſche Hartnaͤckigkeit/ keine Tugend ſey.
Die Cherusker hingegen waren in ihrer Ver-
folgung nicht zu hemmen; in Meinung/ daß
die/ die Furcht im Hertzen truͤgen/ auch ein
Merckmahl auf den Ruͤcken bekommen muͤſten.
Ob nun wol denen Marckmaͤnnern und Sar-
matern von dem Hinterhalte Marobods eine
ſtarcke Huͤlffe entgegen kam; ſo wolten ſie doch
nicht ihren Verfolgern die Stirne bieten/ ſon-
dern brachten unter ihre Gehuͤlffen anfangs ein
Schrecken/ hernach ein gleichmaͤßiges Flie-
hen; biß den Cheruskern theils die Muͤdigkeit
ihrer Pferde/ theils die einbrechende Nacht end-
lich auchden Zuͤgel anhielt.

Die nunmehr erledigte Fuͤrſtin Thußnelda
konte ſich nicht enthalten ihren gantz mit Blut
beſpruͤtzten Feldherrn thraͤnende zu umfangen/
und fuͤr ihre Erloͤſung Danck zu ſagen. Hertzog
Herrmann nahm ſelbte mit unausſprechlichen
Hertzens-Freuden an/ und ermahnte ſie dieſe
mehr goͤttliche als menſchliche Errettung mit
Frolocken/ nicht mit Thraͤnen zu erkennen.
Thußnelda antwortete: ihre Zunge koͤnte frey-
lich ihre Freude der Seele nicht ausſprechen/
daß ſie nicht allein aus den Haͤnden des grauſa-
men Marobods geriſſen/ ſondern auch in den
Armen ihres liebſten Herrmanns aufenthalten
waͤre; aber wie ſolte ſie nicht nur mit Thraͤnen/
ſondern vielmehr mit Blute beweinen/ daß das
[Spaltenumbruch] Geſchencke des Lebens als die groͤſte Wohlthat
eines verletzten Menſchen ihren Vater Se-
geſthes nicht haͤtte gewinnen/ und von einem ſo
boͤſen Fuͤrnehmen zuruͤck halten koͤnnen. Der
Feldherr verſetzte: Sie ſolte ſich an der Guͤte des
Himmels vergnuͤgen. Wer die goͤttliche Gewo-
genheit zur Mutter haͤtte/ koͤnte die Hold eines
unbarmhertzigen Vaters leicht enthehren. Auch
koͤnte Segeſthes ihm nimmermehr ſo viel Leides
anthun; als er ihm ihr zu Liebe ver geſſen wolte.
Ja nach dem er nunmehr Segeſthen zweymal
uͤberwunden haͤtte/ koͤnte er mit keinem Ruhme
ſich die Schwachheit des Zornes uͤberwaͤltigen
laſſen. Freylich wol/ begegnete ihm Thußnelda/
iſt dieſe Vergeſſenheit empfangener Beleidi-
gung ruͤhmlicher als das beruͤhmte Gedaͤchtnuͤß
des Cyneas; weil diß eine bloſſe Gabe der Natur/
jene eine edle Wuͤrckung der Tugend iſt. Auch
iſt die Rache eben ſo wol ein Laſter/ als die Ver-
letzung/ nur daß jene es dieſer in der Zeit zuvor
thut. Jene empfindet nur die Suͤßigkeit eines
Augenblicks/ Sanftmuth und Vergebung aber
ſo lange/ als das Leben und Andencken tauert.
Jene verletzet nur den Leib ihres Feindes/ dieſe
aber ihre eigene Seele; ja ſie kan ſeinem Verle-
tzer nichts anders rauben/ als was ihm die Zeit
ohne diß entziehen wird. Großmuͤthige Verzei-
hung hingegen wird durch unſterblichen Nach-
ruhm verewigt. Dieſer hat niemanden iemals/
jener aber die meiſten unzehlich mal gereuet/ alle
verhaſt gemacht/ und nicht wenig auch einer
gleichmaͤßigen Rache unterworffen. Alſo ward
des Achilles Sohn Neoptolemus/ weil er den
Priamus dem Jupiter auf ſeinem Altare abge-
ſchlachtet hatte/ vom Oreſtes nicht unbillich dem
Apollo ab gethan. So richtet ihr auch die Grau-
ſamkeit in ihrem eignen Hertzen eine Folter auf.
Denn wie die grimmigen Thiere fuͤr einem
Schatten/ eine abſchelenden Blate/ einem unge-
meinen Geruche erſchrecken/ die Loͤwen ſich auch
fuͤr einer aufſprin genden Mauß erſchuͤttern; alſo
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als andere fuͤr ihm. Aber ſtehet es wol in unſerer

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[428/0482] Vierdtes Buch ſelbſt zwar unſichtbaren Seite die Flucht gege- ben haben muͤſſen. Ja wenn ſie auch ſchon ger- ne laͤnger gegen die Cherusker geſtanden haͤt- ten/ ſo konten ſie doch nicht mehr das offentliche Ausreiſſen ihrer Marckmaͤnner und Sarma- ter/ welche ſich ohne diß in ihren Kriegen mehr- mals der Flucht zu einer Kriegsliſt brauchen/ und alſo ſelbte kein mal fuͤr Schande halten/ ver- wehren. Dahero muſten dieſe zwey ſtreitbare Helden nur auch zu dieſem Erhaͤltnuͤſſe der furchtſamen ihre Zuflucht nehmen/ und ſich troͤ- ſten/ daß die Klugheit zuweilen auch hertzhafften zu weichen raͤthet; und bey verzweiffeltem Zu- ſtande der Gefahr ſelbſt in die Waffen rennen/ eine viehiſche Hartnaͤckigkeit/ keine Tugend ſey. Die Cherusker hingegen waren in ihrer Ver- folgung nicht zu hemmen; in Meinung/ daß die/ die Furcht im Hertzen truͤgen/ auch ein Merckmahl auf den Ruͤcken bekommen muͤſten. Ob nun wol denen Marckmaͤnnern und Sar- matern von dem Hinterhalte Marobods eine ſtarcke Huͤlffe entgegen kam; ſo wolten ſie doch nicht ihren Verfolgern die Stirne bieten/ ſon- dern brachten unter ihre Gehuͤlffen anfangs ein Schrecken/ hernach ein gleichmaͤßiges Flie- hen; biß den Cheruskern theils die Muͤdigkeit ihrer Pferde/ theils die einbrechende Nacht end- lich auchden Zuͤgel anhielt. Die nunmehr erledigte Fuͤrſtin Thußnelda konte ſich nicht enthalten ihren gantz mit Blut beſpruͤtzten Feldherrn thraͤnende zu umfangen/ und fuͤr ihre Erloͤſung Danck zu ſagen. Hertzog Herrmann nahm ſelbte mit unausſprechlichen Hertzens-Freuden an/ und ermahnte ſie dieſe mehr goͤttliche als menſchliche Errettung mit Frolocken/ nicht mit Thraͤnen zu erkennen. Thußnelda antwortete: ihre Zunge koͤnte frey- lich ihre Freude der Seele nicht ausſprechen/ daß ſie nicht allein aus den Haͤnden des grauſa- men Marobods geriſſen/ ſondern auch in den Armen ihres liebſten Herrmanns aufenthalten waͤre; aber wie ſolte ſie nicht nur mit Thraͤnen/ ſondern vielmehr mit Blute beweinen/ daß das Geſchencke des Lebens als die groͤſte Wohlthat eines verletzten Menſchen ihren Vater Se- geſthes nicht haͤtte gewinnen/ und von einem ſo boͤſen Fuͤrnehmen zuruͤck halten koͤnnen. Der Feldherr verſetzte: Sie ſolte ſich an der Guͤte des Himmels vergnuͤgen. Wer die goͤttliche Gewo- genheit zur Mutter haͤtte/ koͤnte die Hold eines unbarmhertzigen Vaters leicht enthehren. Auch koͤnte Segeſthes ihm nimmermehr ſo viel Leides anthun; als er ihm ihr zu Liebe ver geſſen wolte. Ja nach dem er nunmehr Segeſthen zweymal uͤberwunden haͤtte/ koͤnte er mit keinem Ruhme ſich die Schwachheit des Zornes uͤberwaͤltigen laſſen. Freylich wol/ begegnete ihm Thußnelda/ iſt dieſe Vergeſſenheit empfangener Beleidi- gung ruͤhmlicher als das beruͤhmte Gedaͤchtnuͤß des Cyneas; weil diß eine bloſſe Gabe der Natur/ jene eine edle Wuͤrckung der Tugend iſt. Auch iſt die Rache eben ſo wol ein Laſter/ als die Ver- letzung/ nur daß jene es dieſer in der Zeit zuvor thut. Jene empfindet nur die Suͤßigkeit eines Augenblicks/ Sanftmuth und Vergebung aber ſo lange/ als das Leben und Andencken tauert. Jene verletzet nur den Leib ihres Feindes/ dieſe aber ihre eigene Seele; ja ſie kan ſeinem Verle- tzer nichts anders rauben/ als was ihm die Zeit ohne diß entziehen wird. Großmuͤthige Verzei- hung hingegen wird durch unſterblichen Nach- ruhm verewigt. Dieſer hat niemanden iemals/ jener aber die meiſten unzehlich mal gereuet/ alle verhaſt gemacht/ und nicht wenig auch einer gleichmaͤßigen Rache unterworffen. Alſo ward des Achilles Sohn Neoptolemus/ weil er den Priamus dem Jupiter auf ſeinem Altare abge- ſchlachtet hatte/ vom Oreſtes nicht unbillich dem Apollo ab gethan. So richtet ihr auch die Grau- ſamkeit in ihrem eignen Hertzen eine Folter auf. Denn wie die grimmigen Thiere fuͤr einem Schatten/ eine abſchelenden Blate/ einem unge- meinen Geruche erſchrecken/ die Loͤwen ſich auch fuͤr einer aufſprin genden Mauß erſchuͤttern; alſo fuͤrchtet ſich ein grauſameꝛ Fuͤrſt fuͤr eben ſo vielẽ/ als andere fuͤr ihm. Aber ſtehet es wol in unſerer Gewalt

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/482>, abgerufen am 22.11.2024.