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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] wormit sie selbst unserer Lüsternheit so wohl
feister werden/ als ihre ausgeschnittene Glie-
der uns zum Zunder der Geilheit dienen;
da doch unser enger Mund keinen scharffen
Schnabel/ noch einen weiten Rachen; keine lan-
ge Zähne/ die Nägel keine spitzige Kreilen/ der
Leib keine so grosse Stärcke/ und der Magen
keine so kräfftige Verzehrung hat/ daß wir zu
Umbring- und Verzehrung des Viehes ge-
schickt wären. Daher nicht nur solch Fleisch
gesotten/ gebraten/ mit Eßig gebeitzt/ sondern
auch nicht anders/ als eine zu begraben nöthige
Leiche mit Morgenländischem Pfeffer/ Zimmet
und Muscaten eingewürtzet/ und unserm Ma-
gen verdäulich gemacht werden muß. Wie-
wol auch das auffs beste zugerichtete Fleisch eben
so wohl als der Wein zwar den Leib stärckte/ das
Gemüthe aber entkräfftete; Also/ daß dieses wie
ein angefülltes Ertzt-Geschirre nicht klingen/
wie ein mit Feuchtigkeit überschwemmtes Auge
nicht sehen/ und die umwölckte Sonne nicht
leuchten könte. Wie viel mehr Abbruch muß
nun die Seele und der Verstand leiden; da man
wie alle andere also auch diese Speise nicht zur
Nahrung/ sondern zu Erregung kützelnder Be-
gierden zurichtet. Die fremden Fische ersäufft
man im Cretischen Weine; die Jndianischen
Hüner ersteckt man in ihrem eigenen Geblüte;
die Schweine tödtet man mit glüenden Eisen/
daß man zugleich ihres Fleisches und Blutes
genüsse; ja daß man mit beyden auch die ver-
mischte Milch und den Safft unzeitiger Früch-
te schmecke/ tritt man denen trächtigen Bär-
Müttern auff ihre Eiter und tödtet sie. Zu ge-
schweigen/ daß diese Fleisch-Begierde ein Weg-
weiser gewesen/ daß nicht nur etliche wilde Völ-
cker ihre verstorbene Eltern und Freunde ver-
zehret haben/ sondern auch noch etliche ihre Ge-
fangenen schlachten und essen. Hingegen ha-
ben nicht nur viel Weisen/ sondern gantze Völ-
cker eine eingepflantzte Abscheu für vielerley
Fleische bey sich empfunden; massen die Juden
[Spaltenumbruch] keine Schweine und Hasen/ die Egyptier keinen
Jbis/ die Jndier keine Kuh/ die Syrier keine
Fische und Tauben essen/ und allhier zu Rom
Jupiters Priester kein rohes Fleisch nur anrüh-
ren darff.

Mit diesen und andern Gesprächen brachten
wir die Zeit biß auf den Abend zu/ da ich denn al-
lererst mit vertrösteter Wiederkehr Abschied
nam; auf dem Morgen aber vom Lucius verlacht
ward/ daß ich des vorigen Tages Lust/ welcher
bloße Erzehlung mir eine grosse Abscheu für so
viel unnatürlichen Uppigkeiten erregten/ ver-
säumet hätte. Dieser lag mir hernach beweglich
an/ daß ich folgenden Abend sie zu dem Aristip-
pus vergesellschafften möchte/ welcher allbereit
hundert edle Römische Jünglinge in sein gehei-
mes Heiligthum auffgenommen hätte/ und sie
selbige Nacht dem Bacchus und der Venus ein-
segnen wolte. Jch mühete mich möglichst/ den
Lucius von fernerer Vesuchung des Aristippus/
insonderheit aber von der vorhabenden Einwei-
hung abzuhalten. Alleine/ weil die Wollust
zwar einen schlüpffrigen Eingang/ aber einen
mit zähem Leime beworffenen Ausgang hat/ o-
der ihr Gifft die Vernunfft gantz einschläffet/
wolte Lucius ihm weder eines noch das andere
erwehren lassen/ sondern schützte sich sonderlich
damit/ daß der Käyser August zu Athen sich der
viel verdächtigern Ceres einsegnen zu lassen kein
Bedencken gehabt hätte; ja derogleichen Ein-
segnungen/ ob sich schon selbte mit der Wollust ver-
mählten/ doch Beweißthümer der Unschuld/ und
den Göttern angenehm wären. Also verfüg-
ten sich Cajus und Lucius zum Aristippus/ ich a-
ber noch vorher mit einer hefftigen Empfindlig-
keit zu meinem Sotion/ welcher mir meinen Un-
muth alsofort ansahe/ und um die Ursache frag-
te. Weil ich nun einem so heiligen Manne
nichts zu verschweigen getraute/ eröffnete ich
ihm mein Mitleiden über das Verderben der
zweyen jungen Fürsten Cajus/ Lucius/ und hun-
dert anderer edlen Jünglinge. Sotion erstarr-

te über

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] wormit ſie ſelbſt unſerer Luͤſternheit ſo wohl
feiſter werden/ als ihre ausgeſchnittene Glie-
der uns zum Zunder der Geilheit dienen;
da doch unſer enger Mund keinen ſcharffen
Schnabel/ noch einen weiten Rachen; keine lan-
ge Zaͤhne/ die Naͤgel keine ſpitzige Kreilen/ der
Leib keine ſo groſſe Staͤrcke/ und der Magen
keine ſo kraͤfftige Verzehrung hat/ daß wir zu
Umbring- und Verzehrung des Viehes ge-
ſchickt waͤren. Daher nicht nur ſolch Fleiſch
geſotten/ gebraten/ mit Eßig gebeitzt/ ſondern
auch nicht anders/ als eine zu begraben noͤthige
Leiche mit Morgenlaͤndiſchem Pfeffer/ Zimmet
und Muſcaten eingewuͤrtzet/ und unſerm Ma-
gen verdaͤulich gemacht werden muß. Wie-
wol auch das auffs beſte zugerichtete Fleiſch eben
ſo wohl als der Wein zwar den Leib ſtaͤrckte/ das
Gemuͤthe aber entkraͤfftete; Alſo/ daß dieſes wie
ein angefuͤlltes Ertzt-Geſchirre nicht klingen/
wie ein mit Feuchtigkeit uͤberſchwemmtes Auge
nicht ſehen/ und die umwoͤlckte Sonne nicht
leuchten koͤnte. Wie viel mehr Abbruch muß
nun die Seele und der Verſtand leiden; da man
wie alle andere alſo auch dieſe Speiſe nicht zur
Nahꝛung/ ſondern zu Erregung kuͤtzelnder Be-
gierden zurichtet. Die fremden Fiſche erſaͤufft
man im Cretiſchen Weine; die Jndianiſchen
Huͤner erſteckt man in ihrem eigenen Gebluͤte;
die Schweine toͤdtet man mit gluͤenden Eiſen/
daß man zugleich ihres Fleiſches und Blutes
genuͤſſe; ja daß man mit beyden auch die ver-
miſchte Milch und den Safft unzeitiger Fruͤch-
te ſchmecke/ tritt man denen traͤchtigen Baͤr-
Muͤttern auff ihre Eiter und toͤdtet ſie. Zu ge-
ſchweigen/ daß dieſe Fleiſch-Begierde ein Weg-
weiſer geweſen/ daß nicht nur etliche wilde Voͤl-
cker ihre verſtorbene Eltern und Freunde ver-
zehret haben/ ſondern auch noch etliche ihre Ge-
fangenen ſchlachten und eſſen. Hingegen ha-
ben nicht nur viel Weiſen/ ſondern gantze Voͤl-
cker eine eingepflantzte Abſcheu fuͤr vielerley
Fleiſche bey ſich empfunden; maſſen die Juden
[Spaltenumbruch] keine Schweine und Haſen/ die Egyptier keinen
Jbis/ die Jndier keine Kuh/ die Syrier keine
Fiſche und Tauben eſſen/ und allhier zu Rom
Jupiters Prieſter kein rohes Fleiſch nur anruͤh-
ren darff.

Mit dieſen und andern Geſpraͤchen brachten
wir die Zeit biß auf den Abend zu/ da ich denn al-
lererſt mit vertroͤſteter Wiederkehr Abſchied
nam; auf dem Morgen aber vom Lucius verlacht
ward/ daß ich des vorigen Tages Luſt/ welcher
bloße Erzehlung mir eine groſſe Abſcheu fuͤr ſo
viel unnatuͤrlichen Uppigkeiten erregten/ ver-
ſaͤumet haͤtte. Dieſer lag mir hernach beweglich
an/ daß ich folgenden Abend ſie zu dem Ariſtip-
pus vergeſellſchafften moͤchte/ welcher allbereit
hundert edle Roͤmiſche Juͤnglinge in ſein gehei-
mes Heiligthum auffgenommen haͤtte/ und ſie
ſelbige Nacht dem Bacchus und der Venus ein-
ſegnen wolte. Jch muͤhete mich moͤglichſt/ den
Lucius von fernerer Veſuchung des Ariſtippus/
inſonderheit aber von der vorhabenden Einwei-
hung abzuhalten. Alleine/ weil die Wolluſt
zwar einen ſchluͤpffrigen Eingang/ aber einen
mit zaͤhem Leime beworffenen Ausgang hat/ o-
der ihr Gifft die Vernunfft gantz einſchlaͤffet/
wolte Lucius ihm weder eines noch das andere
erwehren laſſen/ ſondern ſchuͤtzte ſich ſonderlich
damit/ daß der Kaͤyſer Auguſt zu Athen ſich der
viel verdaͤchtigern Ceres einſegnen zu laſſen kein
Bedencken gehabt haͤtte; ja derogleichen Ein-
ſegnungẽ/ ob ſich ſchon ſelbte mit der Wolluſt ver-
maͤhlten/ doch Beweißthuͤmer der Unſchuld/ und
den Goͤttern angenehm waͤren. Alſo verfuͤg-
ten ſich Cajus und Lucius zum Ariſtippus/ ich a-
ber noch vorher mit einer hefftigen Empfindlig-
keit zu meinem Sotion/ welcher mir meinen Un-
muth alſofort anſahe/ und um die Urſache frag-
te. Weil ich nun einem ſo heiligen Manne
nichts zu verſchweigen getraute/ eroͤffnete ich
ihm mein Mitleiden uͤber das Verderben der
zweyen jungen Fuͤrſten Cajus/ Lucius/ und hun-
dert anderer edlen Juͤnglinge. Sotion erſtarr-

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[463/0517] Arminius und Thußnelda. wormit ſie ſelbſt unſerer Luͤſternheit ſo wohl feiſter werden/ als ihre ausgeſchnittene Glie- der uns zum Zunder der Geilheit dienen; da doch unſer enger Mund keinen ſcharffen Schnabel/ noch einen weiten Rachen; keine lan- ge Zaͤhne/ die Naͤgel keine ſpitzige Kreilen/ der Leib keine ſo groſſe Staͤrcke/ und der Magen keine ſo kraͤfftige Verzehrung hat/ daß wir zu Umbring- und Verzehrung des Viehes ge- ſchickt waͤren. Daher nicht nur ſolch Fleiſch geſotten/ gebraten/ mit Eßig gebeitzt/ ſondern auch nicht anders/ als eine zu begraben noͤthige Leiche mit Morgenlaͤndiſchem Pfeffer/ Zimmet und Muſcaten eingewuͤrtzet/ und unſerm Ma- gen verdaͤulich gemacht werden muß. Wie- wol auch das auffs beſte zugerichtete Fleiſch eben ſo wohl als der Wein zwar den Leib ſtaͤrckte/ das Gemuͤthe aber entkraͤfftete; Alſo/ daß dieſes wie ein angefuͤlltes Ertzt-Geſchirre nicht klingen/ wie ein mit Feuchtigkeit uͤberſchwemmtes Auge nicht ſehen/ und die umwoͤlckte Sonne nicht leuchten koͤnte. Wie viel mehr Abbruch muß nun die Seele und der Verſtand leiden; da man wie alle andere alſo auch dieſe Speiſe nicht zur Nahꝛung/ ſondern zu Erregung kuͤtzelnder Be- gierden zurichtet. Die fremden Fiſche erſaͤufft man im Cretiſchen Weine; die Jndianiſchen Huͤner erſteckt man in ihrem eigenen Gebluͤte; die Schweine toͤdtet man mit gluͤenden Eiſen/ daß man zugleich ihres Fleiſches und Blutes genuͤſſe; ja daß man mit beyden auch die ver- miſchte Milch und den Safft unzeitiger Fruͤch- te ſchmecke/ tritt man denen traͤchtigen Baͤr- Muͤttern auff ihre Eiter und toͤdtet ſie. Zu ge- ſchweigen/ daß dieſe Fleiſch-Begierde ein Weg- weiſer geweſen/ daß nicht nur etliche wilde Voͤl- cker ihre verſtorbene Eltern und Freunde ver- zehret haben/ ſondern auch noch etliche ihre Ge- fangenen ſchlachten und eſſen. Hingegen ha- ben nicht nur viel Weiſen/ ſondern gantze Voͤl- cker eine eingepflantzte Abſcheu fuͤr vielerley Fleiſche bey ſich empfunden; maſſen die Juden keine Schweine und Haſen/ die Egyptier keinen Jbis/ die Jndier keine Kuh/ die Syrier keine Fiſche und Tauben eſſen/ und allhier zu Rom Jupiters Prieſter kein rohes Fleiſch nur anruͤh- ren darff. Mit dieſen und andern Geſpraͤchen brachten wir die Zeit biß auf den Abend zu/ da ich denn al- lererſt mit vertroͤſteter Wiederkehr Abſchied nam; auf dem Morgen aber vom Lucius verlacht ward/ daß ich des vorigen Tages Luſt/ welcher bloße Erzehlung mir eine groſſe Abſcheu fuͤr ſo viel unnatuͤrlichen Uppigkeiten erregten/ ver- ſaͤumet haͤtte. Dieſer lag mir hernach beweglich an/ daß ich folgenden Abend ſie zu dem Ariſtip- pus vergeſellſchafften moͤchte/ welcher allbereit hundert edle Roͤmiſche Juͤnglinge in ſein gehei- mes Heiligthum auffgenommen haͤtte/ und ſie ſelbige Nacht dem Bacchus und der Venus ein- ſegnen wolte. Jch muͤhete mich moͤglichſt/ den Lucius von fernerer Veſuchung des Ariſtippus/ inſonderheit aber von der vorhabenden Einwei- hung abzuhalten. Alleine/ weil die Wolluſt zwar einen ſchluͤpffrigen Eingang/ aber einen mit zaͤhem Leime beworffenen Ausgang hat/ o- der ihr Gifft die Vernunfft gantz einſchlaͤffet/ wolte Lucius ihm weder eines noch das andere erwehren laſſen/ ſondern ſchuͤtzte ſich ſonderlich damit/ daß der Kaͤyſer Auguſt zu Athen ſich der viel verdaͤchtigern Ceres einſegnen zu laſſen kein Bedencken gehabt haͤtte; ja derogleichen Ein- ſegnungẽ/ ob ſich ſchon ſelbte mit der Wolluſt ver- maͤhlten/ doch Beweißthuͤmer der Unſchuld/ und den Goͤttern angenehm waͤren. Alſo verfuͤg- ten ſich Cajus und Lucius zum Ariſtippus/ ich a- ber noch vorher mit einer hefftigen Empfindlig- keit zu meinem Sotion/ welcher mir meinen Un- muth alſofort anſahe/ und um die Urſache frag- te. Weil ich nun einem ſo heiligen Manne nichts zu verſchweigen getraute/ eroͤffnete ich ihm mein Mitleiden uͤber das Verderben der zweyen jungen Fuͤrſten Cajus/ Lucius/ und hun- dert anderer edlen Juͤnglinge. Sotion erſtarr- te uͤber

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/517>, abgerufen am 22.11.2024.