Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Fünfftes Buch [Spaltenumbruch]
sing also an: Es ist die Feindschafft gewissenVölckern wie etlichen Thieren angebohren. Diese hat von etlichen tausend Jahren/ oder viel- mehr von ihrem Ursprunge her/ eine Trennung zwischen den Serern und Scythen/ oder/ wie sie uns nennen/ den Tattern gemacht. Jch weiß nicht/ ob diese Tod-Feindschafft dem Unterschei- de der Länder/ oder der Widerwertigkeit unserer Gestirne zuzueignen sey. Denn sie ist so groß/ daß man insgemein glaubt/ die Serer und Tat- tern lägen nicht auf einerley Art in Mutterlei- be/ würden auch auf zweyerley Weise gebohren. Wenn auch die Serer iemals sich einer Tatte- rischen Landschafft bemächtigt/ oder sie gefan- gen weg geführt; haben diese aus Abscheu für den wollüstigen und grausamen Seren sich ih- rer Weiber enthalten/ daß sie denen Serern nur keine Sclaven zeugten. Wie nun der Un- terscheid der Gestalt freylich wol eine augen- scheinliche Anzeigung ist/ daß die Natur selbst zwischen beyden Völckern einen Unterscheid gemacht/ auch sie durch Gebürge/ grosse Strö- me und Sandwüsten von einander gesondert habe: Also tragen die einander fast in allen Sa- chen widrige Sitten/ und die Tracht/ beson- ders aber der Haare/ welche die Serer mit gros- ser Sorgfalt hegen/ wir aber abscheren/ sehr viel zu dieser Zwytracht. Den grösten Haß a- ber nicht nur der Tattern/ sondern aller andern Völcker ziehen ihnen die Serer durch ihren un- erträglichen Hochmuth auf den Hals; indem sie alleine nur zweyäugicht seyn wollen/ die Eu- ropeer für einäugicht/ alle andere Völcker für blind/ oder für Thoren halten. Sie versper- ren allen Fremden/ als ihrer Gemeinschafft Unwürdigen/ den Eintritt in ihre Gräntzen/ verschrencken ihnen alles Gewerbe/ und heben durch ihre Verschlüssung alles unter den Völ- ckern übliche Recht auff. Dieses ist die erste wahrhaffte Ursache gewest/ warum für zwey und zwantzig hundert Jahren die Tattern un- ter dem Könige Xunus das erste mal in das Se- [Spaltenumbruch] rische Reich eingefallen. Die Gelegenheit hierzu gab eine grosse Menge aus dem Reiche verbannter Serer. Sintemahl Xunus die Landes-Verweisung aus dem Reiche/ als eine das Hals-Gerichte weit übertreffende Straffe einführte. Diese Verjagten gaben den Tat- tern alle Anleitung in das Serische Reich ein- zufallen/ und sich der Beute ihres Uberflusses zu bereichern. Mit diesen Einfällen fuhren die Tattern wider die Serer als Feinde des mensch- lichen Geschlechtes fort/ biß der kluge König Yvus/ unter dessen glückseliger Herrschafft es drey Tage Gold geregnet haben soll/ den Tat- tern alle Jahr eine Botschafft zu ihm zu schi- cken/ und darbey sich der Kauffmannschafft zu ge- brauchen erlaubte. Wiewol auch hernach ei- nige Könige solche Gesandschafften störten; so ließ sie doch König Js nicht alleine wieder zu/ sondern er führte auch ein/ daß die Tatterischen Botschafften durch sein gantzes Königreich frey gehalten wurden. Hierauf aber ereignete sich ein neuer Zwist zwischen beyden Völckern/ weil die Tattern dem aus dem Reiche verjagten Kieus bey ihnen zu wohnen erlaubten. Wie- wol es der kluge König Tangus vermittelte/ daß es zu keinem Kriege kam. Nach dem aber folgende Könige denen Tattern abermahls Thür und Thore versperreten; brachen sie durch das Damasische Gebürge in Suchuen ein/ und verheerten auf beyden Seiten des grossen Flus- ses Kiang/ biß an das Siangische Gebürge al- les; zohen aber/ als König Chungting ihnen et- liche mächtige Heere entgegen schickte/ mit un- schätzbarer Beute zurück. Unter dem from- men Könige Uuting geriethen beyde Völcker abermahls mit einander in besser Verständnüß; sonderlich/ als die Serer hernach mit denen Nord-Tattern des Königreiches Niulhan und Yen/ welche auff der Brust schuß-freye Kupf- fer-Spiegel/ die Schwerdter auff dem Haupte tragen/ zu schaffen kriegten/ welch letzteres Reich auch Tiyeus durch seinen Feld-Haupt- mann
Fuͤnfftes Buch [Spaltenumbruch]
ſing alſo an: Es iſt die Feindſchafft gewiſſenVoͤlckern wie etlichen Thieren angebohren. Dieſe hat von etlichen tauſend Jahren/ oder viel- mehr von ihrem Urſprunge her/ eine Trennung zwiſchen den Serern und Scythen/ oder/ wie ſie uns nennen/ den Tattern gemacht. Jch weiß nicht/ ob dieſe Tod-Feindſchafft dem Unterſchei- de der Laͤnder/ oder der Widerwertigkeit unſerer Geſtirne zuzueignen ſey. Denn ſie iſt ſo groß/ daß man insgemein glaubt/ die Serer und Tat- tern laͤgen nicht auf einerley Art in Mutterlei- be/ wuͤrden auch auf zweyerley Weiſe gebohren. Wenn auch die Serer iemals ſich einer Tatte- riſchen Landſchafft bemaͤchtigt/ oder ſie gefan- gen weg gefuͤhrt; haben dieſe aus Abſcheu fuͤr den wolluͤſtigen und grauſamen Seren ſich ih- rer Weiber enthalten/ daß ſie denen Serern nur keine Sclaven zeugten. Wie nun der Un- terſcheid der Geſtalt freylich wol eine augen- ſcheinliche Anzeigung iſt/ daß die Natur ſelbſt zwiſchen beyden Voͤlckern einen Unterſcheid gemacht/ auch ſie durch Gebuͤrge/ groſſe Stroͤ- me und Sandwuͤſten von einander geſondert habe: Alſo tragen die einander faſt in allen Sa- chen widrige Sitten/ und die Tracht/ beſon- ders aber der Haare/ welche die Serer mit groſ- ſer Sorgfalt hegen/ wir aber abſcheren/ ſehr viel zu dieſer Zwytracht. Den groͤſten Haß a- ber nicht nur der Tattern/ ſondern aller andern Voͤlcker ziehen ihnen die Serer durch ihren un- ertraͤglichen Hochmuth auf den Hals; indem ſie alleine nur zweyaͤugicht ſeyn wollen/ die Eu- ropeer fuͤr einaͤugicht/ alle andere Voͤlcker fuͤr blind/ oder fuͤr Thoren halten. Sie verſper- ren allen Fremden/ als ihrer Gemeinſchafft Unwuͤrdigen/ den Eintritt in ihre Graͤntzen/ verſchrencken ihnen alles Gewerbe/ und heben durch ihre Verſchluͤſſung alles unter den Voͤl- ckern uͤbliche Recht auff. Dieſes iſt die erſte wahrhaffte Urſache geweſt/ warum fuͤr zwey und zwantzig hundert Jahren die Tattern un- ter dem Koͤnige Xunus das erſte mal in das Se- [Spaltenumbruch] riſche Reich eingefallen. Die Gelegenheit hierzu gab eine groſſe Menge aus dem Reiche verbannter Serer. Sintemahl Xunus die Landes-Verweiſung aus dem Reiche/ als eine das Hals-Gerichte weit uͤbertreffende Straffe einfuͤhrte. Dieſe Verjagten gaben den Tat- tern alle Anleitung in das Seriſche Reich ein- zufallen/ und ſich der Beute ihres Uberfluſſes zu bereichern. Mit dieſen Einfaͤllen fuhren die Tattern wider die Serer als Feinde des menſch- lichen Geſchlechtes fort/ biß der kluge Koͤnig Yvus/ unter deſſen gluͤckſeliger Herrſchafft es drey Tage Gold geregnet haben ſoll/ den Tat- tern alle Jahr eine Botſchafft zu ihm zu ſchi- cken/ und daꝛbey ſich deꝛ Kauffmannſchafft zu ge- brauchen erlaubte. Wiewol auch hernach ei- nige Koͤnige ſolche Geſandſchafften ſtoͤrten; ſo ließ ſie doch Koͤnig Js nicht alleine wieder zu/ ſondern er fuͤhrte auch ein/ daß die Tatteriſchen Botſchafften durch ſein gantzes Koͤnigreich frey gehalten wurden. Hierauf aber ereignete ſich ein neuer Zwiſt zwiſchen beyden Voͤlckern/ weil die Tattern dem aus dem Reiche verjagten Kieus bey ihnen zu wohnen erlaubten. Wie- wol es der kluge Koͤnig Tangus vermittelte/ daß es zu keinem Kriege kam. Nach dem aber folgende Koͤnige denen Tattern abermahls Thuͤr und Thore verſperreten; brachen ſie durch das Damaſiſche Gebuͤrge in Suchuen ein/ und verheerten auf beyden Seiten des groſſen Fluſ- ſes Kiang/ biß an das Siangiſche Gebuͤrge al- les; zohen aber/ als Koͤnig Chungting ihnen et- liche maͤchtige Heere entgegen ſchickte/ mit un- ſchaͤtzbarer Beute zuruͤck. Unter dem from- men Koͤnige Uuting geriethen beyde Voͤlcker abermahls mit einander in beſſer Verſtaͤndnuͤß; ſonderlich/ als die Serer hernach mit denen Nord-Tattern des Koͤnigreiches Niulhan und Yen/ welche auff der Bruſt ſchuß-freye Kupf- fer-Spiegel/ die Schwerdter auff dem Haupte tragen/ zu ſchaffen kriegten/ welch letzteres Reich auch Tiyeus durch ſeinen Feld-Haupt- mann
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Fuͤnfftes Buch
ſing alſo an: Es iſt die Feindſchafft gewiſſen
Voͤlckern wie etlichen Thieren angebohren.
Dieſe hat von etlichen tauſend Jahren/ oder viel-
mehr von ihrem Urſprunge her/ eine Trennung
zwiſchen den Serern und Scythen/ oder/ wie
ſie uns nennen/ den Tattern gemacht. Jch weiß
nicht/ ob dieſe Tod-Feindſchafft dem Unterſchei-
de der Laͤnder/ oder der Widerwertigkeit unſerer
Geſtirne zuzueignen ſey. Denn ſie iſt ſo groß/
daß man insgemein glaubt/ die Serer und Tat-
tern laͤgen nicht auf einerley Art in Mutterlei-
be/ wuͤrden auch auf zweyerley Weiſe gebohren.
Wenn auch die Serer iemals ſich einer Tatte-
riſchen Landſchafft bemaͤchtigt/ oder ſie gefan-
gen weg gefuͤhrt; haben dieſe aus Abſcheu fuͤr
den wolluͤſtigen und grauſamen Seren ſich ih-
rer Weiber enthalten/ daß ſie denen Serern
nur keine Sclaven zeugten. Wie nun der Un-
terſcheid der Geſtalt freylich wol eine augen-
ſcheinliche Anzeigung iſt/ daß die Natur ſelbſt
zwiſchen beyden Voͤlckern einen Unterſcheid
gemacht/ auch ſie durch Gebuͤrge/ groſſe Stroͤ-
me und Sandwuͤſten von einander geſondert
habe: Alſo tragen die einander faſt in allen Sa-
chen widrige Sitten/ und die Tracht/ beſon-
ders aber der Haare/ welche die Serer mit groſ-
ſer Sorgfalt hegen/ wir aber abſcheren/ ſehr
viel zu dieſer Zwytracht. Den groͤſten Haß a-
ber nicht nur der Tattern/ ſondern aller andern
Voͤlcker ziehen ihnen die Serer durch ihren un-
ertraͤglichen Hochmuth auf den Hals; indem
ſie alleine nur zweyaͤugicht ſeyn wollen/ die Eu-
ropeer fuͤr einaͤugicht/ alle andere Voͤlcker fuͤr
blind/ oder fuͤr Thoren halten. Sie verſper-
ren allen Fremden/ als ihrer Gemeinſchafft
Unwuͤrdigen/ den Eintritt in ihre Graͤntzen/
verſchrencken ihnen alles Gewerbe/ und heben
durch ihre Verſchluͤſſung alles unter den Voͤl-
ckern uͤbliche Recht auff. Dieſes iſt die erſte
wahrhaffte Urſache geweſt/ warum fuͤr zwey
und zwantzig hundert Jahren die Tattern un-
ter dem Koͤnige Xunus das erſte mal in das Se-
riſche Reich eingefallen. Die Gelegenheit
hierzu gab eine groſſe Menge aus dem Reiche
verbannter Serer. Sintemahl Xunus die
Landes-Verweiſung aus dem Reiche/ als eine
das Hals-Gerichte weit uͤbertreffende Straffe
einfuͤhrte. Dieſe Verjagten gaben den Tat-
tern alle Anleitung in das Seriſche Reich ein-
zufallen/ und ſich der Beute ihres Uberfluſſes zu
bereichern. Mit dieſen Einfaͤllen fuhren die
Tattern wider die Serer als Feinde des menſch-
lichen Geſchlechtes fort/ biß der kluge Koͤnig
Yvus/ unter deſſen gluͤckſeliger Herrſchafft es
drey Tage Gold geregnet haben ſoll/ den Tat-
tern alle Jahr eine Botſchafft zu ihm zu ſchi-
cken/ und daꝛbey ſich deꝛ Kauffmannſchafft zu ge-
brauchen erlaubte. Wiewol auch hernach ei-
nige Koͤnige ſolche Geſandſchafften ſtoͤrten; ſo
ließ ſie doch Koͤnig Js nicht alleine wieder zu/
ſondern er fuͤhrte auch ein/ daß die Tatteriſchen
Botſchafften durch ſein gantzes Koͤnigreich frey
gehalten wurden. Hierauf aber ereignete ſich
ein neuer Zwiſt zwiſchen beyden Voͤlckern/ weil
die Tattern dem aus dem Reiche verjagten
Kieus bey ihnen zu wohnen erlaubten. Wie-
wol es der kluge Koͤnig Tangus vermittelte/
daß es zu keinem Kriege kam. Nach dem aber
folgende Koͤnige denen Tattern abermahls
Thuͤr und Thore verſperreten; brachen ſie durch
das Damaſiſche Gebuͤrge in Suchuen ein/ und
verheerten auf beyden Seiten des groſſen Fluſ-
ſes Kiang/ biß an das Siangiſche Gebuͤrge al-
les; zohen aber/ als Koͤnig Chungting ihnen et-
liche maͤchtige Heere entgegen ſchickte/ mit un-
ſchaͤtzbarer Beute zuruͤck. Unter dem from-
men Koͤnige Uuting geriethen beyde Voͤlcker
abermahls mit einander in beſſer Verſtaͤndnuͤß;
ſonderlich/ als die Serer hernach mit denen
Nord-Tattern des Koͤnigreiches Niulhan und
Yen/ welche auff der Bruſt ſchuß-freye Kupf-
fer-Spiegel/ die Schwerdter auff dem Haupte
tragen/ zu ſchaffen kriegten/ welch letzteres
Reich auch Tiyeus durch ſeinen Feld-Haupt-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/654>, abgerufen am 29.06.2024. |