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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Erstes Buch
[Spaltenumbruch] Gräntzscheidung zwischen ihrem Gebiete und
dem Römischen Reiche. Eben diese behertzten
Sicambrer rennen uns auch dismal den Preiß
ab; indem der großmüthige Melo sich allein an
die Römer macht/ und sie über dem Rheine an-
tastet/ auch mit etlicher tausend erschlagener
Feinde ausgeleschtem Leben seiner tugendhaften
Tochter zu Grabe leuchtet. Wir aber lassen
die Saale und Elbe zinßbar machen/ die Lippe
und Weser mit Festungen besetzen? Kayser Ju-
lius schlug ja wol die erste Brücke über den
Rhein/ alleine/ nachdem er vernahm/ daß die
Catten sich ihm zu begegnen versammleten/ kehre-
te er zurücke und brach die Brücke ab; meynte
auch seinen Ehren gar genug gethan zu haben:
daß er achtzehn Tage auf deutschem Bodem hät-
te rasten können. Und wir lassen mehr als so
viel Jahre dessen Nachkommen/ von denen wir
noch zur Zeit wenige Thaten gesehen/ unsere
Ehre kräncken/ unsere Güter rauben/ und die
Wilkühr über unser Leben und Kinder ausüben?
Die Augen gehen mir über/ wenn ich bedencke:
daß unsere Waffen vom Roste gefressen werden/
wenn wir selbte nicht noch in der Römer Diensten
ausputzten; daß wir unsere Schwerdter im Blute
unserer eigenen Bluts-Verwandten waschen/
und sie wie uns unter das Joch der Römer müssen
spannen helffen. Wolte Gott aber/ wir trügen
noch das Joch rechtschaffener Römer/ und wä-
ren nicht Knechte eines einigen üppigen Men-
schen/ an dem nichts Römisches als der Nahme/
ja der den Römern selbst verächtlich/ und ein
Knecht seiner Begierden ist. Gewiß ich halte
dafür: daß uns Quintilius Varus nicht so wol
Marck und Bein auszusaugen/ als zu Be-
schimpfung unserer vorhin so hoch herausge-
strichenen Tapferkeit fürgesetzt sey. Sintemal
bey uns so viel Goldes nicht zu erscharren/ als
in Syrien/ welches er bey seiner armseligen
Hinkunft reich gefunden/ bey seinem reichen
Abzuge aber arm verlassen hat. Wie/ oder
wil Rom durch ihn in unser Vater-Land der
[Spaltenumbruch] warmen Länder [a]bscheuliche Laster/ welche un-
sere Einwohner auch vom Nahmen nicht ken-
nen/ unser zwar harter/ dißfalls aber mehr güti-
ger Himmel nicht verträget/ einspielen/ und un-
ser geliebtes Deutschland/ in welchem die Wei-
ber männlicher als anderswo die Krieges-
Leute sind/ weibisch machen? Weil ja dieser
üppige Mensch von Wollüsten/ womit die Rö-
mer ohne dis insgemein denen Unterworffenen
mehr als mit ihren Waffen Schaden thun/ zer-
rinnen möchte. Denn ist in unserer Gegend
wol ein schönes Weib für seinen unkeuschen
Anmuthungen verschonet blieben? Was sag
ich aber von Anmuthungen? Die Töchter des
Landes haben nichts minder seiner Geilheit
ihre Jungfrauschafften/ als den wollüstigen
Römischen Weibern ihre gelben Haare zu ih-
rer Aufputzung/ als einen Zoll abliefern müssen.
Jch wil der Römischen Grausamkeit geschwei-
gen: daß sie anfangs bey denen Begräbnüssen
wol-verdienter Helden/ nach der Erfindung
des Junius Brutus/ ihre Gefangenen umb
Leib und Leben zu fechten nöthigten; her-
nach aber auch gemeine Bürger solches auf-
brachten; ja ihren Geist mit dem Blute sol-
cher Fechter zu versöhnen in ihren letzten Wil-
len verordneten; und endlich auch der Wei-
ber Holtz-Stösse mit dieser Grausamkeit ver-
ehret wurden. Wie denn Kayser Julius
auf dem Begräbnüsse seiner Tochter viel
Deutsche und unzchliche Gallier/ nebst einer
grossen Menge wilder Thiere/ sich durch selbst-
eignen Kampf aufzureiben gezwungen hat.
Mich ärgert so sehr nicht/ daß die Bürgermei-
ster und Einwohner die Antretungen ihrer
Aempter/ die Bau-Herren die Außmachun-
gen ihrer Gebäu/ die Stadt-Vögte das Ge-
dächtnüß des von ihnen betretenen Richter-
Stules/ ja so gar die Priester ihre Wey-
hungen/ die Uberwinder ihre Siegs-Ge-
pränge mit so blutigem Gefechte gefeyert/
und den schwermenden Pöfel fast Monatlich/ o-

der

Erſtes Buch
[Spaltenumbruch] Graͤntzſcheidung zwiſchen ihrem Gebiete und
dem Roͤmiſchen Reiche. Eben dieſe behertzten
Sicambrer rennen uns auch dismal den Preiß
ab; indem der großmuͤthige Melo ſich allein an
die Roͤmer macht/ und ſie uͤber dem Rheine an-
taſtet/ auch mit etlicher tauſend erſchlagener
Feinde ausgeleſchtem Leben ſeiner tugendhaften
Tochter zu Grabe leuchtet. Wir aber laſſen
die Saale und Elbe zinßbar machen/ die Lippe
und Weſer mit Feſtungen beſetzen? Kayſer Ju-
lius ſchlug ja wol die erſte Bruͤcke uͤber den
Rhein/ alleine/ nachdem er vernahm/ daß die
Catten ſich ihm zu begegnen verſam̃leten/ kehre-
te er zuruͤcke und brach die Bruͤcke ab; meynte
auch ſeinen Ehren gar genug gethan zu haben:
daß er achtzehn Tage auf deutſchem Bodem haͤt-
te raſten koͤnnen. Und wir laſſen mehr als ſo
viel Jahre deſſen Nachkommen/ von denen wir
noch zur Zeit wenige Thaten geſehen/ unſere
Ehre kraͤncken/ unſere Guͤter rauben/ und die
Wilkuͤhr uͤber unſer Leben und Kinder ausuͤben?
Die Augen gehen mir uͤber/ wenn ich bedencke:
daß unſere Waffen vom Roſte gefreſſen werden/
weñ wir ſelbte nicht noch in der Roͤmer Dienſten
ausputzten; daß wir unſeꝛe Schwerdter im Blute
unſerer eigenen Bluts-Verwandten waſchen/
uñ ſie wie uns unter das Joch der Roͤmer muͤſſen
ſpannen helffen. Wolte Gott aber/ wir truͤgen
noch das Joch rechtſchaffener Roͤmer/ und waͤ-
ren nicht Knechte eines einigen uͤppigen Men-
ſchen/ an dem nichts Roͤmiſches als der Nahme/
ja der den Roͤmern ſelbſt veraͤchtlich/ und ein
Knecht ſeiner Begierden iſt. Gewiß ich halte
dafuͤr: daß uns Quintilius Varus nicht ſo wol
Marck und Bein auszuſaugen/ als zu Be-
ſchimpfung unſerer vorhin ſo hoch herausge-
ſtrichenen Tapferkeit fuͤrgeſetzt ſey. Sintemal
bey uns ſo viel Goldes nicht zu erſcharren/ als
in Syrien/ welches er bey ſeiner armſeligen
Hinkunft reich gefunden/ bey ſeinem reichen
Abzuge aber arm verlaſſen hat. Wie/ oder
wil Rom durch ihn in unſer Vater-Land der
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ſere Einwohner auch vom Nahmen nicht ken-
nen/ unſer zwar harter/ dißfalls aber mehr guͤti-
ger Himmel nicht vertraͤget/ einſpielen/ und un-
ſer geliebtes Deutſchland/ in welchem die Wei-
ber maͤnnlicher als anderswo die Krieges-
Leute ſind/ weibiſch machen? Weil ja dieſer
uͤppige Menſch von Wolluͤſten/ womit die Roͤ-
mer ohne dis insgemein denen Unterworffenen
mehr als mit ihren Waffen Schaden thun/ zer-
rinnen moͤchte. Denn iſt in unſerer Gegend
wol ein ſchoͤnes Weib fuͤr ſeinen unkeuſchen
Anmuthungen verſchonet blieben? Was ſag
ich aber von Anmuthungen? Die Toͤchter des
Landes haben nichts minder ſeiner Geilheit
ihre Jungfrauſchafften/ als den wolluͤſtigen
Roͤmiſchen Weibern ihre gelben Haare zu ih-
rer Aufputzung/ als einen Zoll abliefern muͤſſen.
Jch wil der Roͤmiſchen Grauſamkeit geſchwei-
gen: daß ſie anfangs bey denen Begraͤbnuͤſſen
wol-verdienter Helden/ nach der Erfindung
des Junius Brutus/ ihre Gefangenen umb
Leib und Leben zu fechten noͤthigten; her-
nach aber auch gemeine Buͤrger ſolches auf-
brachten; ja ihren Geiſt mit dem Blute ſol-
cher Fechter zu verſoͤhnen in ihren letzten Wil-
len verordneten; und endlich auch der Wei-
ber Holtz-Stoͤſſe mit dieſer Grauſamkeit ver-
ehret wurden. Wie denn Kayſer Julius
auf dem Begraͤbnuͤſſe ſeiner Tochter viel
Deutſche und unzchliche Gallier/ nebſt einer
groſſen Menge wilder Thiere/ ſich durch ſelbſt-
eignen Kampf aufzureiben gezwungen hat.
Mich aͤrgert ſo ſehr nicht/ daß die Buͤrgermei-
ſter und Einwohner die Antretungen ihrer
Aempter/ die Bau-Herren die Außmachun-
gen ihrer Gebaͤu/ die Stadt-Voͤgte das Ge-
daͤchtnuͤß des von ihnen betretenen Richter-
Stules/ ja ſo gar die Prieſter ihre Wey-
hungen/ die Uberwinder ihre Siegs-Ge-
praͤnge mit ſo blutigem Gefechte gefeyert/
und den ſchwermenden Poͤfel faſt Monatlich/ o-

der
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/66>, abgerufen am 21.11.2024.