Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
dieses Gebürges für sich selbst so wenig denck-würdiges begangen/ daß er nicht so wohl aus ei- ner so tieffsinnigen Klugheit/ als aus Mangel der Verdienste seines Nahmens in gedachter U- berschrifft vergessen hätte. Weil er aber sich darinnen nach dem Maaße seines Unvermö- gens beschieden/ hätte ihm das Glücke/ wel- ches denen insgemein den Rücken drehet/ die seine Gutwilligkeit für eigene Weißheit ver- kauffen/ den warhafften Preiß solcher Bemü- hung zugeworffen/ nehmlich die Eroberung der drey Meil Weges grossen Haupt-Stadt Qvanchung oder Sigan/ welche der zweyen Königlichen Geschlechter Chera und Tschina/ und nun auch des drittern Hana Sitz gewest. Denn ob zwar diese mächtige und feste Stadt bey unserer unvermutheten Ankunfft zu den Waffen griff; die Einwohner auch weder durch die Bedräuung der Scythen/ noch durch das traurige Beyspiel der durch Sturm über- gangenen Stadt Hanchung zur Ubergabe sich bewegen lassen wolten; so fiel sie doch entweder durch Kleinmuth/ oder durch übermäßige Va- terliebe durch Schwerdtschlag in unsere Hän- de; indem der darinnen sich befindende Un- ter-König mir selbst in Geheim des Nach- tes die eine Stadt-Pforte öffnete/ als ich gegen dem Königlichen Pallaste ein hohes Creutz auf- richten/ und ihn bedräuen ließ/ daß ich auff den Morgen seinen im Gebürge gefangenen Sohn daran nageln wolte. Hertzog Herrmann fing hierüber an zu ruffen: Ob er nicht auff den Morgen diesen verrätherischen Unter-Kö- nig selbst ans Creutz geschlagen hätte? denn der/ welcher wider sein eigenes Volck den Degen auszüge/ setzte nicht nur ihm das Messer an die Gurgel/ sondern auch der/ welcher sein Ge- blüte oder sich selbst lieber als das Vaterland hätte; und nicht lieber mit dem redlichen The- mistocles sich durch getrunckenes Ochsen-Blut auffopfferte/ als er ihm etwas zu Leide thäte. Und ich weiß nicht/ ob die unbarmhertzigen [Spaltenumbruch] Mütter zu Carthago/ die wider Feind und Pest ihre unmündige Kinder/ derer sich auch die Fein- de erbarmen/ auff die glüenden Opffer-Tische geleget/ und durch derselben Blut von den Göt- tern Friede zu kauffen vermeinet/ um derer Le- ben man sie am andächtigsten anrufft; mehr ein grausamer Laster zu ihrer Artzney gebrau- chet/ als die/ welche ein Kind zu erhalten ein gan- tzes Volck ins Verderben stürtzen. Uber diß zweiffele ich/ daß es des Fürsten Zeno Ernst ge- wesen sey/ einem unerschrockenen Helden wegen seiner Treue ein so blutiges Trauer-Spiel für- zubilden. Massen denn insgemein solche Dreu- ungen nur Versuchungen weibischer Gemü- ther/ nicht beständige Entschlüssungen sind. Marcomir bekam einesmahls den Fürsten der Hermundurer gefangen; Ob er ihn nun schon auff eine Trauer-Bühne/ da ihm der Hencker den Kopff für die Füsse legen solte/ steigen ließ/ vermochte er ihm doch keinen Befehl auszu- pressen/ daß sich eine seiner Städte ergeben sol- te. Und wie diese Beständigkeit ihm damals nicht den Kopff verspielte; also gewan er zum Vortheil noch einen unsterblichen Nahmen bey der Nachwelt. Zeno lächelte hierüber/ und meldete: Er wä- Zu-
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
dieſes Gebuͤrges fuͤr ſich ſelbſt ſo wenig denck-wuͤrdiges begangen/ daß er nicht ſo wohl aus ei- ner ſo tieffſinnigen Klugheit/ als aus Mangel der Verdienſte ſeines Nahmens in gedachter U- berſchrifft vergeſſen haͤtte. Weil er aber ſich darinnen nach dem Maaße ſeines Unvermoͤ- gens beſchieden/ haͤtte ihm das Gluͤcke/ wel- ches denen insgemein den Ruͤcken drehet/ die ſeine Gutwilligkeit fuͤr eigene Weißheit ver- kauffen/ den warhafften Preiß ſolcher Bemuͤ- hung zugeworffen/ nehmlich die Eroberung der drey Meil Weges groſſen Haupt-Stadt Qvanchung oder Sigan/ welche der zweyen Koͤniglichen Geſchlechter Chera und Tſchina/ und nun auch des drittern Hana Sitz geweſt. Denn ob zwar dieſe maͤchtige und feſte Stadt bey unſerer unvermutheten Ankunfft zu den Waffen griff; die Einwohner auch weder durch die Bedraͤuung der Scythen/ noch durch das traurige Beyſpiel der durch Sturm uͤber- gangenen Stadt Hanchung zur Ubergabe ſich bewegen laſſen wolten; ſo fiel ſie doch entweder durch Kleinmuth/ oder durch uͤbermaͤßige Va- terliebe durch Schwerdtſchlag in unſere Haͤn- de; indem der darinnen ſich befindende Un- ter-Koͤnig mir ſelbſt in Geheim des Nach- tes die eine Stadt-Pforte oͤffnete/ als ich gegen dem Koͤniglichen Pallaſte ein hohes Creutz auf- richten/ und ihn bedraͤuen ließ/ daß ich auff den Morgen ſeinen im Gebuͤrge gefangenen Sohn daran nageln wolte. Hertzog Herrmann fing hieruͤber an zu ruffen: Ob er nicht auff den Morgen dieſen verraͤtheriſchen Unter-Koͤ- nig ſelbſt ans Creutz geſchlagen haͤtte? denn der/ welcher wider ſein eigenes Volck den Degen auszuͤge/ ſetzte nicht nur ihm das Meſſer an die Gurgel/ ſondern auch der/ welcher ſein Ge- bluͤte oder ſich ſelbſt lieber als das Vaterland haͤtte; und nicht lieber mit dem redlichen The- miſtocles ſich durch getrunckenes Ochſen-Blut auffopfferte/ als er ihm etwas zu Leide thaͤte. Und ich weiß nicht/ ob die unbarmhertzigen [Spaltenumbruch] Muͤtter zu Carthago/ die wider Feind und Peſt ihre unmuͤndige Kinder/ derer ſich auch die Fein- de erbarmen/ auff die gluͤenden Opffer-Tiſche geleget/ und durch derſelben Blut von den Goͤt- tern Friede zu kauffen vermeinet/ um derer Le- ben man ſie am andaͤchtigſten anrufft; mehr ein grauſamer Laſter zu ihrer Artzney gebrau- chet/ als die/ welche ein Kind zu erhalten ein gan- tzes Volck ins Verderben ſtuͤrtzen. Uber diß zweiffele ich/ daß es des Fuͤrſten Zeno Ernſt ge- weſen ſey/ einem unerſchrockenen Helden wegen ſeiner Treue ein ſo blutiges Trauer-Spiel fuͤr- zubilden. Maſſen denn insgemein ſolche Dreu- ungen nur Verſuchungen weibiſcher Gemuͤ- ther/ nicht beſtaͤndige Entſchluͤſſungen ſind. Marcomir bekam einesmahls den Fuͤrſten der Hermundurer gefangen; Ob er ihn nun ſchon auff eine Trauer-Buͤhne/ da ihm der Hencker den Kopff fuͤr die Fuͤſſe legen ſolte/ ſteigen ließ/ vermochte er ihm doch keinen Befehl auszu- preſſen/ daß ſich eine ſeiner Staͤdte ergeben ſol- te. Und wie dieſe Beſtaͤndigkeit ihm damals nicht den Kopff verſpielte; alſo gewan er zum Vortheil noch einen unſterblichen Nahmen bey der Nachwelt. Zeno laͤchelte hieruͤber/ und meldete: Er waͤ- Zu-
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Arminius und Thußnelda.
dieſes Gebuͤrges fuͤr ſich ſelbſt ſo wenig denck-
wuͤrdiges begangen/ daß er nicht ſo wohl aus ei-
ner ſo tieffſinnigen Klugheit/ als aus Mangel
der Verdienſte ſeines Nahmens in gedachter U-
berſchrifft vergeſſen haͤtte. Weil er aber ſich
darinnen nach dem Maaße ſeines Unvermoͤ-
gens beſchieden/ haͤtte ihm das Gluͤcke/ wel-
ches denen insgemein den Ruͤcken drehet/ die
ſeine Gutwilligkeit fuͤr eigene Weißheit ver-
kauffen/ den warhafften Preiß ſolcher Bemuͤ-
hung zugeworffen/ nehmlich die Eroberung
der drey Meil Weges groſſen Haupt-Stadt
Qvanchung oder Sigan/ welche der zweyen
Koͤniglichen Geſchlechter Chera und Tſchina/
und nun auch des drittern Hana Sitz geweſt.
Denn ob zwar dieſe maͤchtige und feſte Stadt
bey unſerer unvermutheten Ankunfft zu den
Waffen griff; die Einwohner auch weder
durch die Bedraͤuung der Scythen/ noch durch
das traurige Beyſpiel der durch Sturm uͤber-
gangenen Stadt Hanchung zur Ubergabe ſich
bewegen laſſen wolten; ſo fiel ſie doch entweder
durch Kleinmuth/ oder durch uͤbermaͤßige Va-
terliebe durch Schwerdtſchlag in unſere Haͤn-
de; indem der darinnen ſich befindende Un-
ter-Koͤnig mir ſelbſt in Geheim des Nach-
tes die eine Stadt-Pforte oͤffnete/ als ich gegen
dem Koͤniglichen Pallaſte ein hohes Creutz auf-
richten/ und ihn bedraͤuen ließ/ daß ich auff den
Morgen ſeinen im Gebuͤrge gefangenen Sohn
daran nageln wolte. Hertzog Herrmann
fing hieruͤber an zu ruffen: Ob er nicht auff
den Morgen dieſen verraͤtheriſchen Unter-Koͤ-
nig ſelbſt ans Creutz geſchlagen haͤtte? denn der/
welcher wider ſein eigenes Volck den Degen
auszuͤge/ ſetzte nicht nur ihm das Meſſer an
die Gurgel/ ſondern auch der/ welcher ſein Ge-
bluͤte oder ſich ſelbſt lieber als das Vaterland
haͤtte; und nicht lieber mit dem redlichen The-
miſtocles ſich durch getrunckenes Ochſen-Blut
auffopfferte/ als er ihm etwas zu Leide thaͤte.
Und ich weiß nicht/ ob die unbarmhertzigen
Muͤtter zu Carthago/ die wider Feind und Peſt
ihre unmuͤndige Kinder/ derer ſich auch die Fein-
de erbarmen/ auff die gluͤenden Opffer-Tiſche
geleget/ und durch derſelben Blut von den Goͤt-
tern Friede zu kauffen vermeinet/ um derer Le-
ben man ſie am andaͤchtigſten anrufft; mehr
ein grauſamer Laſter zu ihrer Artzney gebrau-
chet/ als die/ welche ein Kind zu erhalten ein gan-
tzes Volck ins Verderben ſtuͤrtzen. Uber diß
zweiffele ich/ daß es des Fuͤrſten Zeno Ernſt ge-
weſen ſey/ einem unerſchrockenen Helden wegen
ſeiner Treue ein ſo blutiges Trauer-Spiel fuͤr-
zubilden. Maſſen denn insgemein ſolche Dreu-
ungen nur Verſuchungen weibiſcher Gemuͤ-
ther/ nicht beſtaͤndige Entſchluͤſſungen ſind.
Marcomir bekam einesmahls den Fuͤrſten der
Hermundurer gefangen; Ob er ihn nun ſchon
auff eine Trauer-Buͤhne/ da ihm der Hencker
den Kopff fuͤr die Fuͤſſe legen ſolte/ ſteigen ließ/
vermochte er ihm doch keinen Befehl auszu-
preſſen/ daß ſich eine ſeiner Staͤdte ergeben ſol-
te. Und wie dieſe Beſtaͤndigkeit ihm damals
nicht den Kopff verſpielte; alſo gewan er zum
Vortheil noch einen unſterblichen Nahmen bey
der Nachwelt.
Zeno laͤchelte hieruͤber/ und meldete: Er waͤ-
re niemahls der Tugend ſo feind geweſt/ daß er
ſie an ſeinem Feinde mit einer ſo ungerechten
Rache haͤtte beſtraffen ſollen; hingegen waͤre die-
ſer kleinmuͤthige oder vielmehr verraͤtheriſche
Stadthalter den ſeinigen ein Greuel/ den Fein-
den eine Verachtung worden. Die Loßgebung
aber ſeines Sohnes erwarb uns nicht alleine
dieſe faſt unzwingbare Stadt/ ſondern den von
etlichen tauſend Jahren geſammleten Koͤnigli-
chen Schatz zum Loͤſegelde. Jch bin nicht
nur ohnmaͤchtig den unſchaͤtzbaren Reichthum
zu beſchreiben/ ſondern meine Erzehlung wuͤr-
de auch denen Leichtglaͤubenden verdaͤchtig
fuͤrkommen. Unter allen Schaͤtzen aber wur-
den fuͤr den koͤſtlichſten gehalten/ zwey groſſe
ſich nach Art des Monden-Steines nach dem
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/687>, abgerufen am 29.06.2024. |