Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Fünfftes Buch [Spaltenumbruch]
Vieh nachgegeben haben. Da sie sich dochleicht hätten bescheiden können: daß die Seele als ein Geist in und von sich selbst den Ursprung ihrer Bewegung und Würckung habe/ und des Leibes als eines unentbehrlichen Werckzeuges keinesweges bedürffe. Welch Erkäntnüß auch die Stoischen Weltweisen zu glauben bewogen: daß die tugendhaften Seelen umb den Mon- den sich an Beschauung der himmlischen Dinge erlustigten/ die Lasterhaften aber umb die Erde/ oder gar umb die düsteren Gräber so lange/ biß sie nach und nach von ihren irrdischen Be- gierden gesaubert würden/ herumb schwerme- ten; ja Pythagoras selbst hat geglaubt: daß die allerärgsten Seelen in uneingefleischte Teuffel verwandelt würden. Jch gestehe übrigens gerne: daß bey uns eben so wohl das gemeine Volck viel Schatten für das Licht erwische/ und ihre Andacht eben so wohl als in Griechen- land und Egypten mit Wahn vermischet sey. Alleine es ist besser selbten bey irrigem Got- tes-Dienste unter der Furcht für dem gerech- ten Gotte/ und dem Gehorsam seiner Obrigkeit zu halten/ als selbten ohne einige Gottes-Furcht in allerley Laster ohne Scheu rennen zu lassen. Uber diß ist Gott ein so verborgenes Wesen/ daß ie mehr wir selbtes zu ergründen uns be- mühen/ ie mehr unsere Gemüths-Augen/ wie derer/ welche in die Sonne sehen/ von über- mäßigem Lichte verdüstert werden. Denn ob wohl Gott sein Wesen und Würcken auch durch den verächtlichsten Käfer/ durch den niedrigsten Jsop erhärtet/ und also des Protagoras und Diagoras Nachfolger/ welche nicht gläuben: daß ein Gott sey/ für Unmenschen zu halten sind; so sind doch seine Eigenschafften so ver- borgen: daß die Welt noch keinen ihm anstän- digen Nahmen zu finden gewüst/ ob man auch schon mit unsern tausend Nahmen seine All- macht und Güte nicht aussprechen kan. Gottes Weißheit/ Macht/ Gerechtigkeit sind nur Worte und Erfindungen unserer Einfalt; [Spaltenumbruch] diß aber/ was wir darmit meynen/ ist seine Gottheit selbst/ welche ein einfaches Wesen hat/ und keine Zusammensetzung einiger Zahlen oder Tugenden verträget. Dannenher auch die Weisen dem unbekandten Gotte Tempel und Altar aufzurichten veranlasset worden. Ver- birget doch der gestirnte Himmel mehr als die Helfte seiner Lichter/ für unsern Augen; ja die Kräfften der Kräuter/ die wir mit Füssen treten/ vermögen wir durch unser Nachsinnen nicht zu erforschen. Wie viel weniger werden wir das Meer der so tieffen Gottheit erschöpfen. Wo- hin denn auch/ der Griechen Bericht nach/ des Saturnus Gesetze/ daß man bey schwerer Straffe die Götter nicht nackt sehen solte/ und das Gedichte: samb der die Diana nackt sehende Actäon von Hunden zerrissen/ der die badende Minerva ins Gesicht bekommende Tiresias blind worden wäre/ ihr Absehen hat. Also/ daß nach dem die Weisen hier auch im blin- den tappen müssen/ einigerley Weise zu entschul- digen ist: daß die Griechrn alle Geheimnüsse unter Gedichte verstecket/ und den Pöfel durch solchen Aberglauben im Zaume gehalten haben. Massen ohne diß Gott durch Unwissenheit am meisten erkennet; und mehr durch demüthiges Gebet/ als durch spitzige Nachforschung verehret wird. Und wie das grosse Auge der Welt sei- nen Glantz auch den Neben- Sonnen mitthei- let; also mißgönnet auch Gott nicht die Ehre sei- nem Schatten/ den blöde Augen für ihn als das selbstständige Licht erkiesen Mit diesen und andern tieffsinnigen Ge- ein
Fuͤnfftes Buch [Spaltenumbruch]
Vieh nachgegeben haben. Da ſie ſich dochleicht haͤtten beſcheiden koͤnnen: daß die Seele als ein Geiſt in und von ſich ſelbſt den Urſprung ihrer Bewegung und Wuͤrckung habe/ und des Leibes als eines unentbehrlichen Werckzeuges keinesweges beduͤrffe. Welch Erkaͤntnuͤß auch die Stoiſchen Weltweiſen zu glauben bewogen: daß die tugendhaften Seelen umb den Mon- den ſich an Beſchauung der him̃liſchen Dinge erluſtigten/ die Laſterhaften aber umb die Erde/ oder gar umb die duͤſteren Graͤber ſo lange/ biß ſie nach und nach von ihren irrdiſchen Be- gierden geſaubert wuͤrden/ herumb ſchwerme- ten; ja Pythagoras ſelbſt hat geglaubt: daß die alleraͤrgſten Seelen in uneingefleiſchte Teuffel verwandelt wuͤrden. Jch geſtehe uͤbrigens gerne: daß bey uns eben ſo wohl das gemeine Volck viel Schatten fuͤr das Licht erwiſche/ und ihre Andacht eben ſo wohl als in Griechen- land und Egypten mit Wahn vermiſchet ſey. Alleine es iſt beſſer ſelbten bey irrigem Got- tes-Dienſte unter der Furcht fuͤr dem gerech- ten Gotte/ und dem Gehorſam ſeiner Obrigkeit zu halten/ als ſelbten ohne einige Gottes-Furcht in allerley Laſter ohne Scheu rennen zu laſſen. Uber diß iſt Gott ein ſo verborgenes Weſen/ daß ie mehr wir ſelbtes zu ergruͤnden uns be- muͤhen/ ie mehr unſere Gemuͤths-Augen/ wie derer/ welche in die Sonne ſehen/ von uͤber- maͤßigem Lichte verduͤſtert werden. Denn ob wohl Gott ſein Weſen und Wuͤrcken auch durch den veraͤchtlichſten Kaͤfer/ durch den niedrigſten Jſop erhaͤrtet/ und alſo des Protagoras und Diagoras Nachfolger/ welche nicht glaͤuben: daß ein Gott ſey/ fuͤr Unmenſchen zu halten ſind; ſo ſind doch ſeine Eigenſchafften ſo ver- borgen: daß die Welt noch keinen ihm anſtaͤn- digen Nahmen zu finden gewuͤſt/ ob man auch ſchon mit unſern tauſend Nahmen ſeine All- macht und Guͤte nicht ausſprechen kan. Gottes Weißheit/ Macht/ Gerechtigkeit ſind nur Worte und Erfindungen unſerer Einfalt; [Spaltenumbruch] diß aber/ was wir darmit meynen/ iſt ſeine Gottheit ſelbſt/ welche ein einfaches Weſen hat/ und keine Zuſammenſetzung einiger Zahlen oder Tugenden vertraͤget. Dannenher auch die Weiſen dem unbekandten Gotte Tempel und Altar aufzurichten veranlaſſet worden. Ver- birget doch der geſtirnte Himmel mehr als die Helfte ſeiner Lichter/ fuͤr unſern Augen; ja die Kraͤfften der Kraͤuter/ die wir mit Fuͤſſen treten/ vermoͤgen wir durch unſer Nachſinnen nicht zu erforſchen. Wie viel weniger werden wir das Meer der ſo tieffen Gottheit erſchoͤpfen. Wo- hin denn auch/ der Griechen Bericht nach/ des Saturnus Geſetze/ daß man bey ſchwerer Straffe die Goͤtter nicht nackt ſehen ſolte/ und das Gedichte: ſamb der die Diana nackt ſehende Actaͤon von Hunden zerriſſen/ der die badende Minerva ins Geſicht bekommende Tireſias blind worden waͤre/ ihr Abſehen hat. Alſo/ daß nach dem die Weiſen hier auch im blin- den tappen muͤſſen/ einigerley Weiſe zu entſchul- digen iſt: daß die Griechrn alle Geheimnuͤſſe unter Gedichte verſtecket/ und den Poͤfel durch ſolchen Aberglauben im Zaume gehalten haben. Maſſen ohne diß Gott durch Unwiſſenheit am meiſten erkennet; und mehr durch demuͤthiges Gebet/ als durch ſpitzige Nachforſchung verehret wird. Und wie das groſſe Auge der Welt ſei- nen Glantz auch den Neben- Sonnen mitthei- let; alſo mißgoͤnnet auch Gott nicht die Ehre ſei- nem Schatten/ den bloͤde Augen fuͤr ihn als das ſelbſtſtaͤndige Licht erkieſen Mit dieſen und andern tieffſinnigen Ge- ein
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Fuͤnfftes Buch
Vieh nachgegeben haben. Da ſie ſich doch
leicht haͤtten beſcheiden koͤnnen: daß die Seele
als ein Geiſt in und von ſich ſelbſt den Urſprung
ihrer Bewegung und Wuͤrckung habe/ und des
Leibes als eines unentbehrlichen Werckzeuges
keinesweges beduͤrffe. Welch Erkaͤntnuͤß auch
die Stoiſchen Weltweiſen zu glauben bewogen:
daß die tugendhaften Seelen umb den Mon-
den ſich an Beſchauung der him̃liſchen Dinge
erluſtigten/ die Laſterhaften aber umb die Erde/
oder gar umb die duͤſteren Graͤber ſo lange/
biß ſie nach und nach von ihren irrdiſchen Be-
gierden geſaubert wuͤrden/ herumb ſchwerme-
ten; ja Pythagoras ſelbſt hat geglaubt: daß die
alleraͤrgſten Seelen in uneingefleiſchte Teuffel
verwandelt wuͤrden. Jch geſtehe uͤbrigens
gerne: daß bey uns eben ſo wohl das gemeine
Volck viel Schatten fuͤr das Licht erwiſche/
und ihre Andacht eben ſo wohl als in Griechen-
land und Egypten mit Wahn vermiſchet ſey.
Alleine es iſt beſſer ſelbten bey irrigem Got-
tes-Dienſte unter der Furcht fuͤr dem gerech-
ten Gotte/ und dem Gehorſam ſeiner Obrigkeit
zu halten/ als ſelbten ohne einige Gottes-Furcht
in allerley Laſter ohne Scheu rennen zu laſſen.
Uber diß iſt Gott ein ſo verborgenes Weſen/
daß ie mehr wir ſelbtes zu ergruͤnden uns be-
muͤhen/ ie mehr unſere Gemuͤths-Augen/ wie
derer/ welche in die Sonne ſehen/ von uͤber-
maͤßigem Lichte verduͤſtert werden. Denn ob
wohl Gott ſein Weſen und Wuͤrcken auch durch
den veraͤchtlichſten Kaͤfer/ durch den niedrigſten
Jſop erhaͤrtet/ und alſo des Protagoras und
Diagoras Nachfolger/ welche nicht glaͤuben:
daß ein Gott ſey/ fuͤr Unmenſchen zu halten
ſind; ſo ſind doch ſeine Eigenſchafften ſo ver-
borgen: daß die Welt noch keinen ihm anſtaͤn-
digen Nahmen zu finden gewuͤſt/ ob man auch
ſchon mit unſern tauſend Nahmen ſeine All-
macht und Guͤte nicht ausſprechen kan.
Gottes Weißheit/ Macht/ Gerechtigkeit ſind
nur Worte und Erfindungen unſerer Einfalt;
diß aber/ was wir darmit meynen/ iſt ſeine
Gottheit ſelbſt/ welche ein einfaches Weſen hat/
und keine Zuſammenſetzung einiger Zahlen oder
Tugenden vertraͤget. Dannenher auch die
Weiſen dem unbekandten Gotte Tempel und
Altar aufzurichten veranlaſſet worden. Ver-
birget doch der geſtirnte Himmel mehr als die
Helfte ſeiner Lichter/ fuͤr unſern Augen; ja die
Kraͤfften der Kraͤuter/ die wir mit Fuͤſſen treten/
vermoͤgen wir durch unſer Nachſinnen nicht zu
erforſchen. Wie viel weniger werden wir das
Meer der ſo tieffen Gottheit erſchoͤpfen. Wo-
hin denn auch/ der Griechen Bericht nach/ des
Saturnus Geſetze/ daß man bey ſchwerer
Straffe die Goͤtter nicht nackt ſehen ſolte/
und das Gedichte: ſamb der die Diana nackt
ſehende Actaͤon von Hunden zerriſſen/ der die
badende Minerva ins Geſicht bekommende
Tireſias blind worden waͤre/ ihr Abſehen hat.
Alſo/ daß nach dem die Weiſen hier auch im blin-
den tappen muͤſſen/ einigerley Weiſe zu entſchul-
digen iſt: daß die Griechrn alle Geheimnuͤſſe
unter Gedichte verſtecket/ und den Poͤfel durch
ſolchen Aberglauben im Zaume gehalten haben.
Maſſen ohne diß Gott durch Unwiſſenheit am
meiſten erkennet; und mehr durch demuͤthiges
Gebet/ als durch ſpitzige Nachforſchung verehret
wird. Und wie das groſſe Auge der Welt ſei-
nen Glantz auch den Neben- Sonnen mitthei-
let; alſo mißgoͤnnet auch Gott nicht die Ehre ſei-
nem Schatten/ den bloͤde Augen fuͤr ihn als das
ſelbſtſtaͤndige Licht erkieſen
Mit dieſen und andern tieffſinnigen Ge-
ſpraͤchen/ ſagte Zeno/ verkuͤrtzten wir unſern
Weg und die Zeit/ wiewohl mir die Beyſorge:
Jch moͤchte durch allzu groſſen Vorwitz dieſen
weiſen Mann gar aus der Wiege werf-
fen/ verbot/ ein und anders Bedencken wider ſei-
ne Lehren aufzuwerffen; und inſonderheit zu er-
haͤrten/ daß weil Gott ſeine Ehre keinem an-
dern geben wolte/ ſondern er darumb
gerechteſt eiferte; der Einfalt ſo wenig
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/724>, abgerufen am 29.06.2024. |