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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Sechstes Buch
[Spaltenumbruch] sten Schrecken zu bemächtigen/ nach welchem
so denn die andern Glieder sich gleichsam von
sich selbst legen müsten; das andere Theil aber
setzte über den Clusischen See/ eroberte Betur-
gia/ und einen grossen zwischen dem Fluße
Umbro gelegenen Landstrich. Die Beläger-
ten meinten den Brennus nunmehr durch Lie-
ferung des schuldigen Lucumar zu besänfftigen;
liessen ihn daher durch eine Gesandtschafft ge-
bunden ihm einhändigen; und um Friede An-
suchung thun. Brennus wäre beynahe da-
mit vergnügt gewest/ wenn nicht der über sei-
nem Laster vernommene Lucumar fürgeschützt
hätte: daß er durch seinen Ehebruch nichts
wider die Sitten der Hetrurier und anderer
Tyrrhener gehandelt hätte/ bey welchen ihre
Kinder von der Wiegen an aufs zärtlichste er-
zogen und zur Geilheit abgerichtet/ auch die
welche in der Wollust am sinnreichsten und ver-
mögend wären/ für die Edelsten verehret wür-
den. Sie liessen sich bey Tische nichts anders
als von nackten Dirnen bedienen; alle Weiber
wären gemein; und die/ welche man gleich für
Ehweiber erkiesete/ möchten andere Männer
in der ersten Anwesenheit ohne Scheu zulassen.
Den Beyschlaff verrichteten sie offentlich in al-
ler Augen/ und hielten ihnen noch Seitenspiele
darzu. Daher auch die Kinder wegen Ungewiß-
heit ihrer Väter gemein wären/ und aus den
Einkünfften des gemeinen Wesens erzogen
würden. Nur der Adel und Pöfel wären hierin-
nen unterschieden; weil jener nur mit diesem sich
zu vermischen für Laster hielte. Daher weder
der gramhaffte Aruntes wider ihn so eifersüchtig
zu seyn/ noch die nicht reineren Clusier ihn zur
Straffe auszulieffern Ursach gehabt hätten.
Brennus hörte diese abscheuliche Lebens-Art
nicht ohne Entsetzung an/ fragte daher die Clu-
sischen Gefandten: Ob sich alles erzehlter mas-
sen verhielte. Diese meinten ihre Unart zwar
zu vermänteln/ unter dem Vorwande: daß für
Alters es zwar also gewest/ und diese Lebens-Art
[Spaltenumbruch] mit vom Fürsten Tyrrhenus/ oder Tarchon
nach Croton aus Lydien/ woher die Hetrurier
entsprossen/ gebracht worden wäre/ nunmehr a-
ber die Sitten sich um ein merckliches gebessert
hätten; und würde nur noch nach eingeführtem
Spartanischen Gesetze/ denen heyrathenden
Alten auffgelegt: daß sie zu Bedienung ihrer
jungen Frauen einen hurtigen Jüngling un-
terhalten/ und ihre Kinder für die eigenen an-
nehmen müsten. Brennus ward über so är-
gerlichen Gesetzen und Sitten auffs hefftigste
entrüstet; Befahl also: daß die Gesandten selbi-
gen Augenblick sich aus dem Lager in die Stadt
zurück ziehen solten. Denn er wäre nicht ge-
meint für eines gantzen Volckes so abscheuliche
Boßheit den einigen Lucumar Gott zu einem
Versöhn-Opffer abzuschlachten; sondern die
Missethäter alle zu straffen. Der Clusier Schre-
cken ward durch diese Bedräuung in eine Ver-
zweiffelung verwandelt; also: daß sie sich biß auf
den letzten Blutstropffen zu wehren entschlos-
sen; sonderlich da die andern Hetrurischen zehn
Städte sie des Entsatzes in geheim versicher-
ten/ und die Obersten der Stadt/ derer keiner
allhier so wenig als zu Sparta ohne die Wis-
senschafft aus dem Vogel-Geschrey zu wahrsa-
gen in Rath kommen konte/ das Volck versi-
cherten: daß Clusium nicht eingenommen/ Rom
aber für sie ein Söhnopffer werden würde, sin-
temal ein Falcke/ welcher einer Taube/ die
Clusium und die Lydier zu ihrem Zeichen führ-
ten/ nacheilte/ selbte fahren ließ/ und sich über ei-
nen ihm in Wurff kommenden Adler machte/
und selbten zerfleischte. Rhemetalces fing an:
Es hat diese Weissagung/ so viel ich weiß/ auch
hernach eingetroffen/ und ist die Begebenheit
derselben nicht unähnlich/ da aus des Brutus
des Käysers und Antonius zweyen gegeneinan-
der stehenden Lägern zwey Adler gegen einan-
der empor flogen; und der auff des Brutus
Seite verspielende auch des Brutus Niederla-
ge andeutete. Erato brach ein: Sie wäre wol

des

Sechſtes Buch
[Spaltenumbruch] ſten Schrecken zu bemaͤchtigen/ nach welchem
ſo denn die andern Glieder ſich gleichſam von
ſich ſelbſt legen muͤſten; das andere Theil aber
ſetzte uͤber den Cluſiſchen See/ eroberte Betur-
gia/ und einen groſſen zwiſchen dem Fluße
Umbro gelegenen Landſtrich. Die Belaͤger-
ten meinten den Brennus nunmehr durch Lie-
ferung des ſchuldigen Lucumar zu beſaͤnfftigen;
lieſſen ihn daher durch eine Geſandtſchafft ge-
bunden ihm einhaͤndigen; und um Friede An-
ſuchung thun. Brennus waͤre beynahe da-
mit vergnuͤgt geweſt/ wenn nicht der uͤber ſei-
nem Laſter vernommene Lucumar fuͤrgeſchuͤtzt
haͤtte: daß er durch ſeinen Ehebruch nichts
wider die Sitten der Hetrurier und anderer
Tyrrhener gehandelt haͤtte/ bey welchen ihre
Kinder von der Wiegen an aufs zaͤrtlichſte er-
zogen und zur Geilheit abgerichtet/ auch die
welche in der Wolluſt am ſinnreichſten und ver-
moͤgend waͤren/ fuͤr die Edelſten verehret wuͤr-
den. Sie lieſſen ſich bey Tiſche nichts anders
als von nackten Dirnen bedienen; alle Weiber
waͤren gemein; und die/ welche man gleich fuͤr
Ehweiber erkieſete/ moͤchten andere Maͤnner
in der erſten Anweſenheit ohne Scheu zulaſſen.
Den Beyſchlaff verrichteten ſie offentlich in al-
ler Augen/ und hielten ihnen noch Seitenſpiele
darzu. Daher auch die Kinder wegen Ungewiß-
heit ihrer Vaͤter gemein waͤren/ und aus den
Einkuͤnfften des gemeinen Weſens erzogen
wuͤrden. Nur der Adel und Poͤfel waͤren hierin-
nen unterſchieden; weil jener nur mit dieſem ſich
zu vermiſchen fuͤr Laſter hielte. Daher weder
der gramhaffte Aruntes wider ihn ſo eiferſuͤchtig
zu ſeyn/ noch die nicht reineren Cluſier ihn zur
Straffe auszulieffern Urſach gehabt haͤtten.
Brennus hoͤrte dieſe abſcheuliche Lebens-Art
nicht ohne Entſetzung an/ fragte daher die Clu-
ſiſchen Gefandten: Ob ſich alles erzehlter maſ-
ſen verhielte. Dieſe meinten ihre Unart zwar
zu vermaͤnteln/ unter dem Vorwande: daß fuͤr
Alters es zwar alſo geweſt/ und dieſe Lebens-Art
[Spaltenumbruch] mit vom Fuͤrſten Tyrrhenus/ oder Tarchon
nach Croton aus Lydien/ woher die Hetrurier
entſproſſen/ gebracht worden waͤre/ nunmehr a-
ber die Sitten ſich um ein merckliches gebeſſert
haͤtten; und wuͤrde nur noch nach eingefuͤhrtem
Spartaniſchen Geſetze/ denen heyrathenden
Alten auffgelegt: daß ſie zu Bedienung ihrer
jungen Frauen einen hurtigen Juͤngling un-
terhalten/ und ihre Kinder fuͤr die eigenen an-
nehmen muͤſten. Brennus ward uͤber ſo aͤr-
gerlichen Geſetzen und Sitten auffs hefftigſte
entruͤſtet; Befahl alſo: daß die Geſandten ſelbi-
gen Augenblick ſich aus dem Lager in die Stadt
zuruͤck ziehen ſolten. Denn er waͤre nicht ge-
meint fuͤr eines gantzen Volckes ſo abſcheuliche
Boßheit den einigen Lucumar Gott zu einem
Verſoͤhn-Opffer abzuſchlachten; ſondern die
Miſſethaͤter alle zu ſtraffen. Der Cluſier Schre-
cken ward durch dieſe Bedraͤuung in eine Ver-
zweiffelung verwandelt; alſo: daß ſie ſich biß auf
den letzten Blutstropffen zu wehren entſchloſ-
ſen; ſonderlich da die andern Hetruriſchen zehn
Staͤdte ſie des Entſatzes in geheim verſicher-
ten/ und die Oberſten der Stadt/ derer keiner
allhier ſo wenig als zu Sparta ohne die Wiſ-
ſenſchafft aus dem Vogel-Geſchrey zu wahrſa-
gen in Rath kommen konte/ das Volck verſi-
cherten: daß Cluſium nicht eingenommen/ Rom
aber fuͤr ſie ein Soͤhnopffer werden wuͤrde, ſin-
temal ein Falcke/ welcher einer Taube/ die
Cluſium und die Lydier zu ihrem Zeichen fuͤhr-
ten/ nacheilte/ ſelbte fahren ließ/ und ſich uͤber ei-
nen ihm in Wurff kommenden Adler machte/
und ſelbten zerfleiſchte. Rhemetalces fing an:
Es hat dieſe Weiſſagung/ ſo viel ich weiß/ auch
hernach eingetroffen/ und iſt die Begebenheit
derſelben nicht unaͤhnlich/ da aus des Brutus
des Kaͤyſers und Antonius zweyen gegeneinan-
der ſtehenden Laͤgern zwey Adler gegen einan-
der empor flogen; und der auff des Brutus
Seite verſpielende auch des Brutus Niederla-
ge andeutete. Erato brach ein: Sie waͤre wol

des
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[744[746]/0806] Sechſtes Buch ſten Schrecken zu bemaͤchtigen/ nach welchem ſo denn die andern Glieder ſich gleichſam von ſich ſelbſt legen muͤſten; das andere Theil aber ſetzte uͤber den Cluſiſchen See/ eroberte Betur- gia/ und einen groſſen zwiſchen dem Fluße Umbro gelegenen Landſtrich. Die Belaͤger- ten meinten den Brennus nunmehr durch Lie- ferung des ſchuldigen Lucumar zu beſaͤnfftigen; lieſſen ihn daher durch eine Geſandtſchafft ge- bunden ihm einhaͤndigen; und um Friede An- ſuchung thun. Brennus waͤre beynahe da- mit vergnuͤgt geweſt/ wenn nicht der uͤber ſei- nem Laſter vernommene Lucumar fuͤrgeſchuͤtzt haͤtte: daß er durch ſeinen Ehebruch nichts wider die Sitten der Hetrurier und anderer Tyrrhener gehandelt haͤtte/ bey welchen ihre Kinder von der Wiegen an aufs zaͤrtlichſte er- zogen und zur Geilheit abgerichtet/ auch die welche in der Wolluſt am ſinnreichſten und ver- moͤgend waͤren/ fuͤr die Edelſten verehret wuͤr- den. Sie lieſſen ſich bey Tiſche nichts anders als von nackten Dirnen bedienen; alle Weiber waͤren gemein; und die/ welche man gleich fuͤr Ehweiber erkieſete/ moͤchten andere Maͤnner in der erſten Anweſenheit ohne Scheu zulaſſen. Den Beyſchlaff verrichteten ſie offentlich in al- ler Augen/ und hielten ihnen noch Seitenſpiele darzu. Daher auch die Kinder wegen Ungewiß- heit ihrer Vaͤter gemein waͤren/ und aus den Einkuͤnfften des gemeinen Weſens erzogen wuͤrden. Nur der Adel und Poͤfel waͤren hierin- nen unterſchieden; weil jener nur mit dieſem ſich zu vermiſchen fuͤr Laſter hielte. Daher weder der gramhaffte Aruntes wider ihn ſo eiferſuͤchtig zu ſeyn/ noch die nicht reineren Cluſier ihn zur Straffe auszulieffern Urſach gehabt haͤtten. Brennus hoͤrte dieſe abſcheuliche Lebens-Art nicht ohne Entſetzung an/ fragte daher die Clu- ſiſchen Gefandten: Ob ſich alles erzehlter maſ- ſen verhielte. Dieſe meinten ihre Unart zwar zu vermaͤnteln/ unter dem Vorwande: daß fuͤr Alters es zwar alſo geweſt/ und dieſe Lebens-Art mit vom Fuͤrſten Tyrrhenus/ oder Tarchon nach Croton aus Lydien/ woher die Hetrurier entſproſſen/ gebracht worden waͤre/ nunmehr a- ber die Sitten ſich um ein merckliches gebeſſert haͤtten; und wuͤrde nur noch nach eingefuͤhrtem Spartaniſchen Geſetze/ denen heyrathenden Alten auffgelegt: daß ſie zu Bedienung ihrer jungen Frauen einen hurtigen Juͤngling un- terhalten/ und ihre Kinder fuͤr die eigenen an- nehmen muͤſten. Brennus ward uͤber ſo aͤr- gerlichen Geſetzen und Sitten auffs hefftigſte entruͤſtet; Befahl alſo: daß die Geſandten ſelbi- gen Augenblick ſich aus dem Lager in die Stadt zuruͤck ziehen ſolten. Denn er waͤre nicht ge- meint fuͤr eines gantzen Volckes ſo abſcheuliche Boßheit den einigen Lucumar Gott zu einem Verſoͤhn-Opffer abzuſchlachten; ſondern die Miſſethaͤter alle zu ſtraffen. Der Cluſier Schre- cken ward durch dieſe Bedraͤuung in eine Ver- zweiffelung verwandelt; alſo: daß ſie ſich biß auf den letzten Blutstropffen zu wehren entſchloſ- ſen; ſonderlich da die andern Hetruriſchen zehn Staͤdte ſie des Entſatzes in geheim verſicher- ten/ und die Oberſten der Stadt/ derer keiner allhier ſo wenig als zu Sparta ohne die Wiſ- ſenſchafft aus dem Vogel-Geſchrey zu wahrſa- gen in Rath kommen konte/ das Volck verſi- cherten: daß Cluſium nicht eingenommen/ Rom aber fuͤr ſie ein Soͤhnopffer werden wuͤrde, ſin- temal ein Falcke/ welcher einer Taube/ die Cluſium und die Lydier zu ihrem Zeichen fuͤhr- ten/ nacheilte/ ſelbte fahren ließ/ und ſich uͤber ei- nen ihm in Wurff kommenden Adler machte/ und ſelbten zerfleiſchte. Rhemetalces fing an: Es hat dieſe Weiſſagung/ ſo viel ich weiß/ auch hernach eingetroffen/ und iſt die Begebenheit derſelben nicht unaͤhnlich/ da aus des Brutus des Kaͤyſers und Antonius zweyen gegeneinan- der ſtehenden Laͤgern zwey Adler gegen einan- der empor flogen; und der auff des Brutus Seite verſpielende auch des Brutus Niederla- ge andeutete. Erato brach ein: Sie waͤre wol des

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 744[746]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/806>, abgerufen am 22.11.2024.