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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Sechstes Buch
[Spaltenumbruch] Blute. Denn alles was vierzehn Jahr alt
war/ fiel durch die Klingen der wütenden Römer;
Weiber und Kinder wurden nackt wie das Vieh
in Heerden fortgetrieben/ und allenthalben un-
menschliche Grausamkeit ausgeübt. Denn
Dolabella mühte sich so gar alle Fußstapfen:
daß iemals Menschen alldort gewohnt hätten/
zu vertilgen/ umb seinen Nahmen durch Ver-
wüstung unsterblich zu machen. Weil aber das
Glücke mit den Orten ins gemein sein Gesichte
verwandelt; lief es bey Aretium viel anders ab.
Denn Lucius Cöcilius wolte selbige Stadt mit
Gewalt entsetzen. Hertzog Britomars Bru-
der Hartmann hörte seines Volckes Niederlage
und die Verheerung des Landes zwar/ aber die
Rache/ welche andere Gemüts-Regungen/ wie die
Koloquinten alle andere Kräuter tödtet/ erlaubte
ihm nicht dem Vaterlande zuzulauffen; sondern
reitzte ihn und sein Volck/ welches er an Bestür-
mung der Stadt Aretium anzuhalten beweglich
ermahnte/ vorher seinen Eifer an derer Blute zu
kühlen/ welche durch ihre Hartneckigkeit den
Semnonern so grosses Unglück auf den Hals ge-
zogen hatten. Weil er nun vernahm: daß Cöcilius
schon mit dem Entsatz zu Perusia ankommen
war/ stellte er alsbald ein Theil seines Heeres in
Ordnung/ und machte den gantzen Tag bald
dar bald dort durch falsche Stürme Lermen in
der Stadt. Auf die Nacht aber grieff er mit
seinem wohl ausgeruhten Volcke das den Tag
über abgemattete Aretium an fünf Orten mit
allem Ernst an; eroberte sie mit Sturm; und
er konte die erhebten Semnoner nicht erhalten:
daß sie nicht nur alles was Waffen trug/ sondern
auch sich in die Tempel flüchtete/ mit denen
opfernden Priestern für denen Altären nieder-
hieben/ gleichsam mit diesem Blut den Geist
des inzwischen zu Rom erwürgten Britomars
zu versöhnen. Daher der Krieg wohl recht ein
Kind des Göttlichen Zornes/ weil man darinnen
offt aus Noth und wider Willen sündigt/ die
[Spaltenumbruch] Unsinnigkeit aber eine Tochter/ und die Blind-
heit eine Schwester der Rache; also nicht allein
unerbittlich ist/ sondern sie sinnet auch nicht nach/
wen sie zu Bodem rennt. Wenn sie ein Mensch
beleidiget/ müssen es tausend andere/ ja die Un-
schuld selbst und die Heiligthümer der Götter
entgelten. Gleichwohl aber war die List all-
hier noch eine Gefärtin der Rachgier. Denn
Hertzog Hartmann verboth bey Leibes-Straf-
fe: daß kein Mensch ohne seine absondere Zu-
lassung ausser der Pforten des befestigten Lä-
gers kommen dorffte; wormit die Römer nicht
die Eroberung der Stadt vernehmen möchten.
Wie Cöcilius auch mit seinem Heere nahe an
das Lager ankam/ machte er allerhand blinde
Stürme/ und Ausfälle aus der Stadt/ gleich
als wenn sie sich noch wohl hielte; schickte auch
durch falsche Kundschafter ertichtete Briefe dem
Cöcilius zu; lockte hingegen auch andere von
ihm heraus/ und dardurch verleitete er ihn: daß
er in Hoffnung eines abgeredeten Ausfalls das
Lager an dem allerfestesten Orte stürmte; und
sich in etliche rechte Fallen locken ließ; und/ un-
geachtet daselbst die Römer gleichsam wider die
Unmögligkeit stritten/ dennoch durch das gegen
der Stadt von dem Troß mit Fleiß erregte
Waffen-Gethöne zu hartnäckichter Verfol-
gung des thörichten Sturmes verlei-
ten ließ. Als dieser Sturm sechs Stunden
mit grossem Verlust der Stürmenden geweh-
ret; kam Hertzog Hartmann/ welcher sich
auf der andern Seite des Lägers mit dem Ker-
ne seines Heeres heraus gezogen hatte/ über
die gegen Tifernum liegenden Hügel in voller
Schlacht - Ordnung heran gerückt. Die
Reiterey ließ er vorwerts das gantze Fuß-
Volck/ welches er ohne diß auf Hetrurische
Art angekleidet und ausgerüstet hatte/ bedecken/
und durch selbte einen heftigen Staub erre-
gen/ wormit Cöcilius nicht die Grösse der Macht/
und was es für Volck wäre/ erkiesen konte.

Cöci-

Sechſtes Buch
[Spaltenumbruch] Blute. Denn alles was vierzehn Jahr alt
war/ fiel durch die Klingen der wuͤtenden Roͤmer;
Weiber und Kinder wurden nackt wie das Vieh
in Heerden fortgetrieben/ und allenthalben un-
menſchliche Grauſamkeit ausgeuͤbt. Denn
Dolabella muͤhte ſich ſo gar alle Fußſtapfen:
daß iemals Menſchen alldort gewohnt haͤtten/
zu vertilgen/ umb ſeinen Nahmen durch Ver-
wuͤſtung unſterblich zu machen. Weil aber das
Gluͤcke mit den Orten ins gemein ſein Geſichte
verwandelt; lief es bey Aretium viel anders ab.
Denn Lucius Coͤcilius wolte ſelbige Stadt mit
Gewalt entſetzen. Hertzog Britomars Bru-
der Hartmann hoͤrte ſeines Volckes Niederlage
und die Verheerung des Landes zwar/ aber die
Rache/ welche andere Gemuͤts-Regungẽ/ wie die
Koloquinten alle andere Kraͤuter toͤdtet/ erlaubte
ihm nicht dem Vaterlande zuzulauffen; ſondern
reitzte ihn und ſein Volck/ welches er an Beſtuͤr-
mung der Stadt Aretium anzuhalten beweglich
ermahnte/ vorher ſeinen Eifer an derer Blute zu
kuͤhlen/ welche durch ihre Hartneckigkeit den
Semnonern ſo groſſes Ungluͤck auf den Hals ge-
zogen hattẽ. Weil er nun vernahm: daß Coͤcilius
ſchon mit dem Entſatz zu Peruſia ankommen
war/ ſtellte er alsbald ein Theil ſeines Heeres in
Ordnung/ und machte den gantzen Tag bald
dar bald dort durch falſche Stuͤrme Lermen in
der Stadt. Auf die Nacht aber grieff er mit
ſeinem wohl ausgeruhten Volcke das den Tag
uͤber abgemattete Aretium an fuͤnf Orten mit
allem Ernſt an; eroberte ſie mit Sturm; und
er konte die erhebten Semnoner nicht erhalten:
daß ſie nicht nur alles was Waffen trug/ ſondern
auch ſich in die Tempel fluͤchtete/ mit denen
opfernden Prieſtern fuͤr denen Altaͤren nieder-
hieben/ gleichſam mit dieſem Blut den Geiſt
des inzwiſchen zu Rom erwuͤrgten Britomars
zu verſoͤhnen. Daher der Krieg wohl recht ein
Kind des Goͤttlichen Zornes/ weil man darinnen
offt aus Noth und wider Willen ſuͤndigt/ die
[Spaltenumbruch] Unſinnigkeit aber eine Tochter/ und die Blind-
heit eine Schweſter der Rache; alſo nicht allein
unerbittlich iſt/ ſondern ſie ſinnet auch nicht nach/
wen ſie zu Bodem rennt. Wenn ſie ein Menſch
beleidiget/ muͤſſen es tauſend andere/ ja die Un-
ſchuld ſelbſt und die Heiligthuͤmer der Goͤtter
entgelten. Gleichwohl aber war die Liſt all-
hier noch eine Gefaͤrtin der Rachgier. Denn
Hertzog Hartmann verboth bey Leibes-Straf-
fe: daß kein Menſch ohne ſeine abſondere Zu-
laſſung auſſer der Pforten des befeſtigten Laͤ-
gers kommen dorffte; wormit die Roͤmer nicht
die Eroberung der Stadt vernehmen moͤchten.
Wie Coͤcilius auch mit ſeinem Heere nahe an
das Lager ankam/ machte er allerhand blinde
Stuͤrme/ und Ausfaͤlle aus der Stadt/ gleich
als wenn ſie ſich noch wohl hielte; ſchickte auch
durch falſche Kundſchafter ertichtete Briefe dem
Coͤcilius zu; lockte hingegen auch andere von
ihm heraus/ und dardurch verleitete er ihn: daß
er in Hoffnung eines abgeredeten Ausfalls das
Lager an dem allerfeſteſten Orte ſtuͤrmte; und
ſich in etliche rechte Fallen locken ließ; und/ un-
geachtet daſelbſt die Roͤmer gleichſam wider die
Unmoͤgligkeit ſtritten/ dennoch durch das gegen
der Stadt von dem Troß mit Fleiß erregte
Waffen-Gethoͤne zu hartnaͤckichter Verfol-
gung des thoͤrichten Sturmes verlei-
ten ließ. Als dieſer Sturm ſechs Stunden
mit groſſem Verluſt der Stuͤrmenden geweh-
ret; kam Hertzog Hartmann/ welcher ſich
auf der andern Seite des Laͤgers mit dem Ker-
ne ſeines Heeres heraus gezogen hatte/ uͤber
die gegen Tifernum liegenden Huͤgel in voller
Schlacht - Ordnung heran geruͤckt. Die
Reiterey ließ er vorwerts das gantze Fuß-
Volck/ welches er ohne diß auf Hetruriſche
Art angekleidet und ausgeruͤſtet hatte/ bedecken/
und durch ſelbte einen heftigen Staub erre-
gen/ wormit Coͤcilius nicht die Groͤſſe der Macht/
und was es fuͤr Volck waͤre/ erkieſen konte.

Coͤci-
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[772[774]/0834] Sechſtes Buch Blute. Denn alles was vierzehn Jahr alt war/ fiel durch die Klingen der wuͤtenden Roͤmer; Weiber und Kinder wurden nackt wie das Vieh in Heerden fortgetrieben/ und allenthalben un- menſchliche Grauſamkeit ausgeuͤbt. Denn Dolabella muͤhte ſich ſo gar alle Fußſtapfen: daß iemals Menſchen alldort gewohnt haͤtten/ zu vertilgen/ umb ſeinen Nahmen durch Ver- wuͤſtung unſterblich zu machen. Weil aber das Gluͤcke mit den Orten ins gemein ſein Geſichte verwandelt; lief es bey Aretium viel anders ab. Denn Lucius Coͤcilius wolte ſelbige Stadt mit Gewalt entſetzen. Hertzog Britomars Bru- der Hartmann hoͤrte ſeines Volckes Niederlage und die Verheerung des Landes zwar/ aber die Rache/ welche andere Gemuͤts-Regungẽ/ wie die Koloquinten alle andere Kraͤuter toͤdtet/ erlaubte ihm nicht dem Vaterlande zuzulauffen; ſondern reitzte ihn und ſein Volck/ welches er an Beſtuͤr- mung der Stadt Aretium anzuhalten beweglich ermahnte/ vorher ſeinen Eifer an derer Blute zu kuͤhlen/ welche durch ihre Hartneckigkeit den Semnonern ſo groſſes Ungluͤck auf den Hals ge- zogen hattẽ. Weil er nun vernahm: daß Coͤcilius ſchon mit dem Entſatz zu Peruſia ankommen war/ ſtellte er alsbald ein Theil ſeines Heeres in Ordnung/ und machte den gantzen Tag bald dar bald dort durch falſche Stuͤrme Lermen in der Stadt. Auf die Nacht aber grieff er mit ſeinem wohl ausgeruhten Volcke das den Tag uͤber abgemattete Aretium an fuͤnf Orten mit allem Ernſt an; eroberte ſie mit Sturm; und er konte die erhebten Semnoner nicht erhalten: daß ſie nicht nur alles was Waffen trug/ ſondern auch ſich in die Tempel fluͤchtete/ mit denen opfernden Prieſtern fuͤr denen Altaͤren nieder- hieben/ gleichſam mit dieſem Blut den Geiſt des inzwiſchen zu Rom erwuͤrgten Britomars zu verſoͤhnen. Daher der Krieg wohl recht ein Kind des Goͤttlichen Zornes/ weil man darinnen offt aus Noth und wider Willen ſuͤndigt/ die Unſinnigkeit aber eine Tochter/ und die Blind- heit eine Schweſter der Rache; alſo nicht allein unerbittlich iſt/ ſondern ſie ſinnet auch nicht nach/ wen ſie zu Bodem rennt. Wenn ſie ein Menſch beleidiget/ muͤſſen es tauſend andere/ ja die Un- ſchuld ſelbſt und die Heiligthuͤmer der Goͤtter entgelten. Gleichwohl aber war die Liſt all- hier noch eine Gefaͤrtin der Rachgier. Denn Hertzog Hartmann verboth bey Leibes-Straf- fe: daß kein Menſch ohne ſeine abſondere Zu- laſſung auſſer der Pforten des befeſtigten Laͤ- gers kommen dorffte; wormit die Roͤmer nicht die Eroberung der Stadt vernehmen moͤchten. Wie Coͤcilius auch mit ſeinem Heere nahe an das Lager ankam/ machte er allerhand blinde Stuͤrme/ und Ausfaͤlle aus der Stadt/ gleich als wenn ſie ſich noch wohl hielte; ſchickte auch durch falſche Kundſchafter ertichtete Briefe dem Coͤcilius zu; lockte hingegen auch andere von ihm heraus/ und dardurch verleitete er ihn: daß er in Hoffnung eines abgeredeten Ausfalls das Lager an dem allerfeſteſten Orte ſtuͤrmte; und ſich in etliche rechte Fallen locken ließ; und/ un- geachtet daſelbſt die Roͤmer gleichſam wider die Unmoͤgligkeit ſtritten/ dennoch durch das gegen der Stadt von dem Troß mit Fleiß erregte Waffen-Gethoͤne zu hartnaͤckichter Verfol- gung des thoͤrichten Sturmes verlei- ten ließ. Als dieſer Sturm ſechs Stunden mit groſſem Verluſt der Stuͤrmenden geweh- ret; kam Hertzog Hartmann/ welcher ſich auf der andern Seite des Laͤgers mit dem Ker- ne ſeines Heeres heraus gezogen hatte/ uͤber die gegen Tifernum liegenden Huͤgel in voller Schlacht - Ordnung heran geruͤckt. Die Reiterey ließ er vorwerts das gantze Fuß- Volck/ welches er ohne diß auf Hetruriſche Art angekleidet und ausgeruͤſtet hatte/ bedecken/ und durch ſelbte einen heftigen Staub erre- gen/ wormit Coͤcilius nicht die Groͤſſe der Macht/ und was es fuͤr Volck waͤre/ erkieſen konte. Coͤci-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 772[774]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/834>, abgerufen am 22.11.2024.