Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Sechstes Buch [Spaltenumbruch]
Fürsten Narvas und einem würcklichen Eyda-me keinen Unterscheid finden würden. Wie der Sternseher Rechnung eintreffe/ sie setzten gleich die Vewegung der Sonne und die Unbe- wegligkeit der Erde/ oder die Unbewegligkeit der Sonne und die Herumdrehung der Erde zu ihrem Grunde; also wäre es einem vernünffti- gen einerley Glückseligkeit: Ob er alles haben könte/ was er verlangte; oder nichts verlangte/ was er nicht haben könte. Daher wären mit ihm alle Klugen glückselig/ weil sie nichts un- mögliches suchten; alle Unvernünfftige aber unglücklich/ weil sie alle fremde Güter in die Au- gen stächen. Amilcars Gemüthe ward durch solche Freymüthigkeit dieses Fürsten/ und die der Stadt Carthago zuwachsende Hülffe bey die- ser ersten Umarmung bewogen/ demselben nun nicht mehr seine Tochter vorzuhalten/ oder sich selbst und sein gantzes Glücke einer fremden Stadt zuzueignen/ sondern selb[t]e vielmehr dem Fürsten Narvas durch einen theuern Eyd zu versprechen. Welche Entschlüssung eine un- mäßige Freude in beyder fürlängst verliebter Hertzen/ und die demüthigste Ehrenbezeugung gegen Amilcarn verursachte. Denn es können auch die beständigsten Seelen eine unvermuthete Freude so wenig in ihrem Hertzen/ als die tief- sten Bette der Ströme einen plötzlichen Wol- ckenbruch in ihren Ufern beschlüssen. Wie nun Amilcar seine erste Krieges-Klugheit darinnen erwieß: daß er an dem Einflusse des Flusses Macar ins Meer wahrnahm/ wie selbter zu gewisser Tages-Zeit gleichsam gantz versändet war/ und daher über diesen Sand und das Schilf sein gantzes Heer zu höchster Vestürtzung des Mathos übersetzte/ als welcher den Strom und das Gebürge allenthalben starck besetzt hielt/ ja dem Spendius bey der verschantzten Brücke in Rücken gieng/ sechs tausend Mann erlegte/ zwey tausend gefangen nahm/ die vom Mathos neugebaute/ und mehr andere verlohrne Städ- te wieder eroberte; also besiegelte Fürst Narvas [Spaltenumbruch] seine Treue mit klugem Rathe und unglaubli- cher Tapfferkeit/ als Amilcarn die Africaner vor-die Numidier hinterwärts/ Spendius aber auf der Seite umsetzte. Denn er machte mit seinen Edlen Numidiern Amilcarn einen sol- chen Muth: daß er mit seinen wol zweyfach stär- ckern Feinden eine Schlacht wagte/ in welcher ihrer 10000. auf der Wallstatt blieben/ 4000. gefangen/ Autaritus von Amilcarn/ Spendius vom Narvas gefährlich verwundet wurden. Alleine dieses herrlichen Sieges Furcht ver- derbte die zwischen Amilcarn und dem neidischen Hanno sich entspinnende Zwytracht/ die Miß- geburt der ruhmwürdigsten Thaten/ und die Stiefmutter des geneigten Glückes. Denn Mathos und Spendius erholeten sich nicht al- leine bey dieser Windstille/ sondern der von Lie- be und Rache brennende Fürst Autaritus brach- te durch seine durchdringende Annehmligkeit die zwey vorhin getreuesten Städte Utica und Hip- pacrita zum Abfall; ja Carthago ward vom Mathos Spendius/ und denen Africanern/ welche der König des innern Libyens Zarxas aufs neue zu Hülffe bracht hatte/ belägert. Als aber Hanno zurück geruffen/ und Hannibal A- milcarn zugegeben ward/ wandte sich das Glü- cke abermals. Denn Fürst Narvas schnitt mit seiner Reuterey den Belägerten alle Zufuhr ab/ also: daß sie selbst mehr für belägert zu achten wa- ren/ und die Gefangenen und Knechte selbst für Hunger aufffrassen/ und endlich sich Autaritus/ Zarxas und Spendius bey der Stadt Prion Amilcarn mit Bedingung: daß er zehn Rädels- führer nach Belieben straffen/ alle andere aber mit schlechten Kitteln fortschicken möchte/ erge- ben musten. Weil aber das feindliche Heer/ wel- ches von dieser Behandlung nichts wuste/ zu den Waffen grief/ die noch übrigen wenigen Sem- noner und Celten auch die Gefängnüß ihres Fürsten Autaritus nicht erdulten konten/ grief- fen sie zur Unzeit nach den Waffen; ihrer aber ward wol 40000. theils von den Elefanten und Pfer-
Sechſtes Buch [Spaltenumbruch]
Fuͤrſten Narvas und einem wuͤrcklichen Eyda-me keinen Unterſcheid finden wuͤrden. Wie der Sternſeher Rechnung eintreffe/ ſie ſetzten gleich die Vewegung der Sonne und die Unbe- wegligkeit der Erde/ oder die Unbewegligkeit der Sonne und die Herumdrehung der Erde zu ihrem Grunde; alſo waͤre es einem vernuͤnffti- gen einerley Gluͤckſeligkeit: Ob er alles haben koͤnte/ was er verlangte; oder nichts verlangte/ was er nicht haben koͤnte. Daher waͤren mit ihm alle Klugen gluͤckſelig/ weil ſie nichts un- moͤgliches ſuchten; alle Unvernuͤnfftige aber ungluͤcklich/ weil ſie alle fremde Guͤter in die Au- gen ſtaͤchen. Amilcars Gemuͤthe ward durch ſolche Freymuͤthigkeit dieſes Fuͤrſten/ und die der Stadt Carthago zuwachſende Huͤlffe bey die- ſer erſten Umarmung bewogen/ demſelben nun nicht mehr ſeine Tochter vorzuhalten/ oder ſich ſelbſt und ſein gantzes Gluͤcke einer fremden Stadt zuzueignen/ ſondern ſelb[t]e vielmehr dem Fuͤrſten Narvas durch einen theuern Eyd zu verſprechen. Welche Entſchluͤſſung eine un- maͤßige Freude in beyder fuͤrlaͤngſt verliebter Hertzen/ und die demuͤthigſte Ehrenbezeugung gegen Amilcarn verurſachte. Denn es koͤnnen auch die beſtaͤndigſtẽ Seelen eine unvermuthete Freude ſo wenig in ihrem Hertzen/ als die tief- ſten Bette der Stroͤme einen ploͤtzlichen Wol- ckenbruch in ihren Ufern beſchluͤſſen. Wie nun Amilcar ſeine erſte Krieges-Klugheit darinnen erwieß: daß er an dem Einfluſſe des Fluſſes Macar ins Meer wahrnahm/ wie ſelbter zu gewiſſer Tages-Zeit gleichſam gantz verſaͤndet war/ und daher uͤber dieſen Sand und das Schilf ſein gantzes Heer zu hoͤchſter Veſtuͤrtzung des Mathos uͤberſetzte/ als welcher den Strom und das Gebuͤrge allenthalben ſtarck beſetzt hielt/ ja dem Spendius bey der verſchantzten Bruͤcke in Ruͤcken gieng/ ſechs tauſend Mann erlegte/ zwey tauſend gefangen nahm/ die vom Mathos neugebaute/ und mehr andere verlohrne Staͤd- te wieder eroberte; alſo beſiegelte Fuͤrſt Narvas [Spaltenumbruch] ſeine Treue mit klugem Rathe und unglaubli- cher Tapfferkeit/ als Amilcarn die Africaner vor-die Numidier hinterwaͤrts/ Spendius aber auf der Seite umſetzte. Denn er machte mit ſeinen Edlen Numidiern Amilcarn einen ſol- chen Muth: daß er mit ſeinen wol zweyfach ſtaͤr- ckern Feinden eine Schlacht wagte/ in welcher ihrer 10000. auf der Wallſtatt blieben/ 4000. gefangen/ Autaritus von Amilcarn/ Spendius vom Narvas gefaͤhrlich verwundet wurden. Alleine dieſes herrlichen Sieges Furcht ver- derbte die zwiſchen Amilcarn und dem neidiſchen Hanno ſich entſpinnende Zwytracht/ die Miß- geburt der ruhmwuͤrdigſten Thaten/ und die Stiefmutter des geneigten Gluͤckes. Denn Mathos und Spendius erholeten ſich nicht al- leine bey dieſer Windſtille/ ſondern der von Lie- be und Rache brennende Fuͤrſt Autaritus brach- te durch ſeine durchdringende Annehmligkeit die zwey vorhin getreueſten Staͤdte Utica und Hip- pacrita zum Abfall; ja Carthago ward vom Mathos Spendius/ und denen Africanern/ welche der Koͤnig des innern Libyens Zarxas aufs neue zu Huͤlffe bracht hatte/ belaͤgert. Als aber Hanno zuruͤck geruffen/ und Hannibal A- milcarn zugegeben ward/ wandte ſich das Gluͤ- cke abermals. Denn Fuͤrſt Narvas ſchnitt mit ſeiner Reuterey den Belaͤgerten alle Zufuhr ab/ alſo: daß ſie ſelbſt mehr fuͤr belaͤgert zu achten wa- ren/ und die Gefangenen und Knechte ſelbſt fuͤr Hunger aufffraſſen/ und endlich ſich Autaritus/ Zarxas und Spendius bey der Stadt Prion Amilcarn mit Bedingung: daß er zehn Raͤdels- fuͤhrer nach Belieben ſtraffen/ alle andere aber mit ſchlechten Kitteln fortſchicken moͤchte/ erge- ben muſten. Weil aber das feindliche Heer/ wel- ches von dieſer Behandlung nichts wuſte/ zu den Waffen grief/ die noch uͤbrigen wenigen Sem- noner und Celten auch die Gefaͤngnuͤß ihres Fuͤrſten Autaritus nicht erdulten konten/ grief- fen ſie zur Unzeit nach den Waffen; ihrer aber ward wol 40000. theils von den Elefanten und Pfer-
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Sechſtes Buch
Fuͤrſten Narvas und einem wuͤrcklichen Eyda-
me keinen Unterſcheid finden wuͤrden. Wie
der Sternſeher Rechnung eintreffe/ ſie ſetzten
gleich die Vewegung der Sonne und die Unbe-
wegligkeit der Erde/ oder die Unbewegligkeit
der Sonne und die Herumdrehung der Erde zu
ihrem Grunde; alſo waͤre es einem vernuͤnffti-
gen einerley Gluͤckſeligkeit: Ob er alles haben
koͤnte/ was er verlangte; oder nichts verlangte/
was er nicht haben koͤnte. Daher waͤren mit
ihm alle Klugen gluͤckſelig/ weil ſie nichts un-
moͤgliches ſuchten; alle Unvernuͤnfftige aber
ungluͤcklich/ weil ſie alle fremde Guͤter in die Au-
gen ſtaͤchen. Amilcars Gemuͤthe ward durch
ſolche Freymuͤthigkeit dieſes Fuͤrſten/ und die
der Stadt Carthago zuwachſende Huͤlffe bey die-
ſer erſten Umarmung bewogen/ demſelben nun
nicht mehr ſeine Tochter vorzuhalten/ oder ſich
ſelbſt und ſein gantzes Gluͤcke einer fremden
Stadt zuzueignen/ ſondern ſelbte vielmehr dem
Fuͤrſten Narvas durch einen theuern Eyd zu
verſprechen. Welche Entſchluͤſſung eine un-
maͤßige Freude in beyder fuͤrlaͤngſt verliebter
Hertzen/ und die demuͤthigſte Ehrenbezeugung
gegen Amilcarn verurſachte. Denn es koͤnnen
auch die beſtaͤndigſtẽ Seelen eine unvermuthete
Freude ſo wenig in ihrem Hertzen/ als die tief-
ſten Bette der Stroͤme einen ploͤtzlichen Wol-
ckenbruch in ihren Ufern beſchluͤſſen. Wie nun
Amilcar ſeine erſte Krieges-Klugheit darinnen
erwieß: daß er an dem Einfluſſe des Fluſſes
Macar ins Meer wahrnahm/ wie ſelbter zu
gewiſſer Tages-Zeit gleichſam gantz verſaͤndet
war/ und daher uͤber dieſen Sand und das Schilf
ſein gantzes Heer zu hoͤchſter Veſtuͤrtzung des
Mathos uͤberſetzte/ als welcher den Strom und
das Gebuͤrge allenthalben ſtarck beſetzt hielt/ ja
dem Spendius bey der verſchantzten Bruͤcke in
Ruͤcken gieng/ ſechs tauſend Mann erlegte/
zwey tauſend gefangen nahm/ die vom Mathos
neugebaute/ und mehr andere verlohrne Staͤd-
te wieder eroberte; alſo beſiegelte Fuͤrſt Narvas
ſeine Treue mit klugem Rathe und unglaubli-
cher Tapfferkeit/ als Amilcarn die Africaner
vor-die Numidier hinterwaͤrts/ Spendius aber
auf der Seite umſetzte. Denn er machte mit
ſeinen Edlen Numidiern Amilcarn einen ſol-
chen Muth: daß er mit ſeinen wol zweyfach ſtaͤr-
ckern Feinden eine Schlacht wagte/ in welcher
ihrer 10000. auf der Wallſtatt blieben/ 4000.
gefangen/ Autaritus von Amilcarn/ Spendius
vom Narvas gefaͤhrlich verwundet wurden.
Alleine dieſes herrlichen Sieges Furcht ver-
derbte die zwiſchen Amilcarn und dem neidiſchen
Hanno ſich entſpinnende Zwytracht/ die Miß-
geburt der ruhmwuͤrdigſten Thaten/ und die
Stiefmutter des geneigten Gluͤckes. Denn
Mathos und Spendius erholeten ſich nicht al-
leine bey dieſer Windſtille/ ſondern der von Lie-
be und Rache brennende Fuͤrſt Autaritus brach-
te durch ſeine durchdringende Annehmligkeit die
zwey vorhin getreueſten Staͤdte Utica und Hip-
pacrita zum Abfall; ja Carthago ward vom
Mathos Spendius/ und denen Africanern/
welche der Koͤnig des innern Libyens Zarxas
aufs neue zu Huͤlffe bracht hatte/ belaͤgert. Als
aber Hanno zuruͤck geruffen/ und Hannibal A-
milcarn zugegeben ward/ wandte ſich das Gluͤ-
cke abermals. Denn Fuͤrſt Narvas ſchnitt mit
ſeiner Reuterey den Belaͤgerten alle Zufuhr ab/
alſo: daß ſie ſelbſt mehr fuͤr belaͤgert zu achten wa-
ren/ und die Gefangenen und Knechte ſelbſt fuͤr
Hunger aufffraſſen/ und endlich ſich Autaritus/
Zarxas und Spendius bey der Stadt Prion
Amilcarn mit Bedingung: daß er zehn Raͤdels-
fuͤhrer nach Belieben ſtraffen/ alle andere aber
mit ſchlechten Kitteln fortſchicken moͤchte/ erge-
ben muſten. Weil aber das feindliche Heer/ wel-
ches von dieſer Behandlung nichts wuſte/ zu den
Waffen grief/ die noch uͤbrigen wenigen Sem-
noner und Celten auch die Gefaͤngnuͤß ihres
Fuͤrſten Autaritus nicht erdulten konten/ grief-
fen ſie zur Unzeit nach den Waffen; ihrer aber
ward wol 40000. theils von den Elefanten und
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 806[808]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/868>, abgerufen am 01.07.2024. |