Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Sechstes Buch [Spaltenumbruch]
Kriegs-Geräthe absacken. Wie nun Bojo-rich hierdurch verführet ward/ und folgenden Tages sein Heer gleichfalls zurücke gehen ließ/ ging Catulus des Nachts in aller Stille über des Aureolus Brücke/ und kam nach Mogrun- tiacum an den Fluß Lamber; ehe die müden Deutschen des Aufbruchs inne wurden. Bojo- rich ward hierüber unwillig: daß der Feind nir- gends stand halten wolte; ließ also den Hertzog Cesorich und Claudicus selbten verfolgen; er aber schlug oberhalb Placentz eine Brücke über den Po/ und streiffte biß an das Apenninische Gebürge gegen Hetrurien; ja der Sicambri- sche Fürst Merodach kam biß unter die Stadt- Mauer zu Ravenna. Also verfiel dieser sonst kluge Fürst durch einen geheimen Trieb des Ver- hängnüsses in die Fehler des Annibals; welcher hernach zu langsam beklagt: daß er nach der Can- nischen Schlacht nicht Rom gestürmt hatte. Allein es überfällt zuweilen auch die wach- müde/
Sechſtes Buch [Spaltenumbruch]
Kriegs-Geraͤthe abſacken. Wie nun Bojo-rich hierdurch verfuͤhret ward/ und folgenden Tages ſein Heer gleichfalls zuruͤcke gehen ließ/ ging Catulus des Nachts in aller Stille uͤber des Aureolus Bruͤcke/ und kam nach Mogrun- tiacum an den Fluß Lamber; ehe die muͤden Deutſchen des Aufbruchs inne wurden. Bojo- rich ward hieruͤber unwillig: daß der Feind nir- gends ſtand halten wolte; ließ alſo den Hertzog Ceſorich und Claudicus ſelbten verfolgen; er aber ſchlug oberhalb Placentz eine Bruͤcke uͤber den Po/ und ſtreiffte biß an das Apenniniſche Gebuͤrge gegen Hetrurien; ja der Sicambri- ſche Fuͤrſt Merodach kam biß unter die Stadt- Mauer zu Ravenna. Alſo verfiel dieſer ſonſt kluge Fuͤrſt durch einen geheimen Trieb des Ver- haͤngnuͤſſes in die Fehler des Annibals; welcher hernach zu langſam beklagt: daß er nach der Can- niſchen Schlacht nicht Rom geſtuͤrmt hatte. Allein es uͤberfaͤllt zuweilen auch die wach- muͤde/
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Sechſtes Buch
Kriegs-Geraͤthe abſacken. Wie nun Bojo-
rich hierdurch verfuͤhret ward/ und folgenden
Tages ſein Heer gleichfalls zuruͤcke gehen ließ/
ging Catulus des Nachts in aller Stille uͤber
des Aureolus Bruͤcke/ und kam nach Mogrun-
tiacum an den Fluß Lamber; ehe die muͤden
Deutſchen des Aufbruchs inne wurden. Bojo-
rich ward hieruͤber unwillig: daß der Feind nir-
gends ſtand halten wolte; ließ alſo den Hertzog
Ceſorich und Claudicus ſelbten verfolgen; er
aber ſchlug oberhalb Placentz eine Bruͤcke uͤber
den Po/ und ſtreiffte biß an das Apenniniſche
Gebuͤrge gegen Hetrurien; ja der Sicambri-
ſche Fuͤrſt Merodach kam biß unter die Stadt-
Mauer zu Ravenna. Alſo verfiel dieſer ſonſt
kluge Fuͤrſt durch einen geheimen Trieb des Ver-
haͤngnuͤſſes in die Fehler des Annibals; welcher
hernach zu langſam beklagt: daß er nach der Can-
niſchen Schlacht nicht Rom geſtuͤrmt hatte.
Allein es uͤberfaͤllt zuweilen auch die wach-
ſamſten Kriegs-Helden nach einem groſſen
Wercke eine Schlafſucht/ wie das Meer nach
heftigem Sturme eine Windſtille. Entwe-
der/ weil ſie die Geſchwindigkeit fuͤr eine Uber-
eilung der Unvorſichtigen; die Langſamkeit abeꝛ
fuͤr eine Schweſter der Klugheit/ und eine Gefer-
tin der Gluͤckſeligkeit haltẽ; oder: weil ſie die uͤber-
ſtandene Gefahr und die noch uͤbrigẽ Schwerig-
keiten durchs Vergroͤſſerungs-ihr Vermoͤgen
durchs Verkleinerungs-Glaß anſehen; und den
Sieg mehr fuͤr einen Zuwurff des Gluͤckes; als
deſſelbtẽ Ausmachung fuͤr ein moͤgliches Werck
ihrer Tugend haltẽ; und am fuͤglichſtẽ denen Voͤ-
geln zu vergleichẽ ſind: welche wol Eyer legẽ/ aber
ſie nicht ausbruͤtten. Nach welcher Art auch der
Athenienſiſche Feldherr Nicias in Sicilien/ und
der Spartaner Braſidas durch ſeine Langſam-
keit den Sieg aus den Haͤnden verſpielte/ und
ſein Thun eine unzeitige Frucht bleiben; hinge-
gen aber Kaͤyſer Julius nichts unausgemacht
ließ. Gleich als wenn nichts gethan waͤre/ wenn
noch was zu thun uͤbrig bliebe. Alſo war auch
Hermocrates mit ſeinem Vaterlande nicht ver-
gnuͤgt: daß die von Athen die Belaͤgerung der
Stadt Syracuſa aufheben muſten; ſondern er
ließ nicht nach/ biß er ſie aus gantz Sicilien ver-
jagt/ und dem gantzen Kriege ein Loch gemacht
hatte. Wie nun der einmal ins ſtecken kom-
mende Fortgang der Waffen den Siegenden
ſelbſt den Glauben ihrer Oberhand zweifelhaft;
den Feinden aber Lufft/ und den Furchtſamſten
ein Hertze macht; alſo kam auch das uͤber Bojo-
richs Einbruche bebende Rom/ als die Cimbern
nicht gleich den Apennin uͤberſtiegen/ wieder zu
ſich; und zu dieſer heilſamen Entſchluͤſſung: daß
ſie den Marius ſein Sieges-Gepraͤnge verſchie-
ben/ und mit einem maͤchtigen Heere ſich gegen
den Bojorich aufmachen lieſſen; von dem ihm
im Mogelliſchen Thale eine Geſandſchafft be-
gegnete/ welche den Roͤmern gegen Einraͤu-
mung eines auskommentlichen Erdreichs fuͤr
ſein und Koͤnig Teutobachs Volck Frieden an-
trug. Marius laͤchelte uͤber dem Vortrage der
Deutſchen; und antwortete ihnen: Die Roͤmer
haͤttẽ fuͤr ſie nichts uͤbrig; fuͤr den Teutobach und
ihre Bruͤder aber moͤchten ſie auſſer Sorgen ſte-
hen. Denn dieſe haͤtten ſchon Erde genung; wuͤꝛ-
den ſelbte auch immer behalten. Wie er nun zu-
gleich den Teutobach und etliche andere gefange-
ne Fuͤrſten ins Zelt fuͤhren ließ; erſtauneten die
von ſolcher Niederlage nichts wiſſenden Geſand-
ten ſo ſehr: daß ſie ohne fernere Wortwechſelung
zuruͤck ins Laͤger kehrten/ und dem Koͤnige Bo-
jorich hiervon die traurige Zeitung brachten.
Bojorich ſchaͤumte hieruͤber fuͤr Zorne; friſchte
ſein Kriegsheer zu gerechter Rache ihrer erwuͤr-
gten Bruͤder auf; ruͤckte dem Marius/ welcher
nun uͤber das Apenniniſche Gebuͤrge kommen
war/ entgegen/ und forderte ihn zur Schlacht
aus; mit der Andeutung: Es waͤre der Deutſchẽ
Art/ ohne Verzug umb die Oberhand zu kaͤm-
pfen; nicht aber zum Vortheil der Kriegs-Ober-
ſten/ zum Verterb des unſchuldigen Landman-
nes den Krieg zu ſchleppen/ die gemeinen Schatz-
Kammern zu erſchoͤpfen/ und ſo denn aller-
erſt/ wenn beyde Theile mit ihrer Grauſamkeit
muͤde/
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 916[918]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/978>, abgerufen am 01.07.2024. |