Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Leibwache die Flucht nehmen/ und sein gantzesKriegs-Volck im Stiche lassen; worvon aber Mithridates alle Gefangenen mit Verehrung eines Zehrpfennigs loß ließ/ um den Anfang sei- nes Sieges mit dem Ruhme seiner Gütigkeit desto herrlicher zu machen. Die Römischen Heerführer wurden durch diesen Verlust/ da nicht einst der Kern des Pontischen Heeres eine viel stärckere Macht erlegt hatte/ heftig bestürtzt; sonderlich/ da die Zeitung zugleich kam: daß die Thracier und die am Jster wohnenden Völcker Macedonien verwüsteten. Der Römische Rath erklärte hierauf den Marius zum Feld-Herrn wider Mithridaten/ Sylla aber weigerte sich ihm das Kriegs-Heer abzutreten; und rühmte sich: daß dieser Zug ihm gehörte. Sintemal ihm die zu Rom nach Cappadocischer Art verehrte Kriegs-Göttin im Traume den Blitz zuge- reicht/ und beyzustehen versprochen hätte. Allein Mithridates wartete dem blutigen Bürger- Kriege dieser zweyer verbitterten Raub-Vö- gel nicht aus; sondern kam dem Könige Pylä- menes in Paphlagonien mit anderthalb hun- dert tausend Mann so geschwind auf den Hals: daß er nicht einst Zeit hatte/ seine Kriegs-macht zusammen zu ziehen; sondern die den Vortrab habenden Deutschen hatten nur genug mit Be- setzung der verlassenen oder sich ergebenden Oerter zu thun. Mithridates richtete seinen Zug dergestalt gerade gegen dem Flusse San- gar und Bithynien. Aqvilius Maltinus/ und der entronnene Nicomedes hatten sich am Scobo- rischen Gebürge verschantzt. Weil aber ein Sar- matischer Fürst Radzivil mit hundert seiner Reuter acht hundert ihm bege gnende Bithyni- sche Reuter in die Flucht schlug/ zwey hundert gefangen brachte/ welche Mithridates aber mals mit Geschencken in ihr Vaterland schickte/ ging Nicomedes des Nachts heimlich durch/ und eilte zum Lucius Caßius über den Fluß Sangor. Als Maltinus auf den Morgen diß erfuhr; brach er ebenfalls auf mit Vorsatze sich in das Lindyni- [Spaltenumbruch] sche Gebürge zu ziehen. Allein Neoptolemus Mithridatens und Menophanes der Armeni- sche Feldherr ereilten ihn an einer Bach/ zwan- gen ihn zu schlagen; und erlegten ihm zehntau- send seiner besten Kriegs-Leute. Aqvilius ver- ließ nach erlangter Nachricht sein Läger mit al- lem Vorrathe zur Beute der ihm auf der Fersen folgenden Deutschen; und entkam mit genauer Noth über den Fluß Sangar/ und von dar nach Pergamus. Weil nun Mithridates abermahls alle Asiatische Gefangenen mit seidenen Röcken und andern Gaben von sich ließ/ ihnen die Frey- heit und die Loßlassung von dem Römischen Jo- che versprach/ gewann er in Asien mehr durch seine Leitseligkeit/ denn durch Waffen. Mehr als hundert grosse Städte schickten ihm Ge- sandten und die Schlüssel zu ihren Festungen entgegen/ hiessen ihn ihren Erhalter/ opferten ihm wie einem Gotte; also: daß nach vergebens gesuchter Hülffe in Phrygien Caßius nach A- pamea/ Maltinus nach Rhodis/ Nicomedes nach Pergamus/ ja endlich gar nach Rom sich flüchtete. Die am Munde der Thracischen Meer-Enge liegenden Schiffe giengen theils durch/ theils zum Mithridates über. Die Bi- thynischen Städte stritten mit einander gleich- sam um die Ehre und den Vorzug/ welche sich dem grossen Mithridates am ersten ergeben hätte. Also ward er in wenig Tagen Herrscher in Bithynien; Und nachdem er durch Erlas- sung aller Schulden aller Gemüther gewonnen/ alle Kriegs-Leute reichlich beschenckt hatte; hielt er seinem Heere für: Sie hätten nunmehr durch ihre Siege gelernet: daß die Römer keine unü- berwindliche Götter; sondern Menschen/ ja ge- gen Helden feige Leute wären. Pyrrhus hätte mit 5000. Macedoniern sie dreymal geschlagen. Annibal 16. Jahr sie im Hertzen Jtaliens beäng- stiget; und daß er Rom nicht gewonnen/ hätten nicht der Römer Krästen; sondern seine miß günstige Landsleute verhindert. Die Deutschen hätten Rom gar eingenommen/ und verbrennt; und die nur noch B b b b b b 3
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Leibwache die Flucht nehmen/ und ſein gantzesKriegs-Volck im Stiche laſſen; worvon aber Mithridates alle Gefangenen mit Verehrung eines Zehrpfennigs loß ließ/ um den Anfang ſei- nes Sieges mit dem Ruhme ſeiner Guͤtigkeit deſto herrlicher zu machen. Die Roͤmiſchen Heerfuͤhrer wurden durch dieſen Verluſt/ da nicht einſt der Kern des Pontiſchen Heeres eine viel ſtaͤrckere Macht erlegt hatte/ heftig beſtuͤrtzt; ſonderlich/ da die Zeitung zugleich kam: daß die Thracier und die am Jſter wohnenden Voͤlcker Macedonien verwuͤſteten. Der Roͤmiſche Rath erklaͤrte hierauf den Marius zum Feld-Herrn wider Mithridaten/ Sylla aber weigerte ſich ihm das Kriegs-Heer abzutreten; und ruͤhmte ſich: daß dieſer Zug ihm gehoͤrte. Sintemal ihm die zu Rom nach Cappadociſcher Art verehrte Kriegs-Goͤttin im Traume den Blitz zuge- reicht/ und beyzuſtehen verſprochen haͤtte. Allein Mithridates wartete dem blutigen Buͤrger- Kriege dieſer zweyer verbitterten Raub-Voͤ- gel nicht aus; ſondern kam dem Koͤnige Pylaͤ- menes in Paphlagonien mit anderthalb hun- dert tauſend Mann ſo geſchwind auf den Hals: daß er nicht einſt Zeit hatte/ ſeine Kriegs-macht zuſammen zu ziehen; ſondern die den Vortrab habenden Deutſchen hatten nur genug mit Be- ſetzung der verlaſſenen oder ſich ergebenden Oerter zu thun. Mithridates richtete ſeinen Zug dergeſtalt gerade gegen dem Fluſſe San- gar und Bithynien. Aqvilius Maltinus/ und der entroñene Nicomedes hattẽ ſich am Scobo- riſchẽ Gebuͤrge verſchantzt. Weil aber ein Sar- matiſcher Fuͤrſt Radzivil mit hundert ſeiner Reuter acht hundert ihm bege gnende Bithyni- ſche Reuter in die Flucht ſchlug/ zwey hundert gefangen brachte/ welche Mithridates aber mals mit Geſchencken in ihr Vaterland ſchickte/ ging Nicomedes des Nachts heimlich durch/ und eilte zum Lucius Caßius uͤber den Fluß Sangor. Als Maltinus auf den Morgen diß erfuhr; brach er ebenfalls auf mit Vorſatze ſich in das Lindyni- [Spaltenumbruch] ſche Gebuͤrge zu ziehen. Allein Neoptolemus Mithridatens und Menophanes der Armeni- ſche Feldherr ereilten ihn an einer Bach/ zwan- gen ihn zu ſchlagen; und erlegten ihm zehntau- ſend ſeiner beſten Kriegs-Leute. Aqvilius ver- ließ nach erlangter Nachricht ſein Laͤger mit al- lem Vorrathe zur Beute der ihm auf der Ferſen folgenden Deutſchen; und entkam mit genauer Noth uͤber den Fluß Sangar/ und von dar nach Pergamus. Weil nun Mithridates abermahls alle Aſiatiſche Gefangenen mit ſeidenen Roͤcken und andern Gaben von ſich ließ/ ihnen die Frey- heit und die Loßlaſſung von dem Roͤmiſchen Jo- che verſprach/ gewann er in Aſien mehr durch ſeine Leitſeligkeit/ denn durch Waffen. Mehr als hundert groſſe Staͤdte ſchickten ihm Ge- ſandten und die Schluͤſſel zu ihren Feſtungen entgegen/ hieſſen ihn ihren Erhalter/ opferten ihm wie einem Gotte; alſo: daß nach vergebens geſuchter Huͤlffe in Phrygien Caßius nach A- pamea/ Maltinus nach Rhodis/ Nicomedes nach Pergamus/ ja endlich gar nach Rom ſich fluͤchtete. Die am Munde der Thraciſchen Meer-Enge liegenden Schiffe giengen theils durch/ theils zum Mithridates uͤber. Die Bi- thyniſchen Staͤdte ſtritten mit einander gleich- ſam um die Ehre und den Vorzug/ welche ſich dem groſſen Mithridates am erſten ergeben haͤtte. Alſo ward er in wenig Tagen Herrſcher in Bithynien; Und nachdem er durch Erlaſ- ſung aller Schulden aller Gemuͤther gewoñen/ alle Kriegs-Leute reichlich beſchenckt hatte; hielt er ſeinem Heere fuͤr: Sie haͤtten nunmehr durch ihre Siege gelernet: daß die Roͤmer keine unuͤ- berwindliche Goͤtter; ſondern Menſchen/ ja ge- gen Helden feige Leute waͤren. Pyrrhus haͤtte mit 5000. Macedoniern ſie dreymal geſchlagen. Añibal 16. Jahr ſie im Hertzen Jtaliens beaͤng- ſtiget; uñ daß eꝛ Rom nicht gewoñen/ haͤtten nicht der Roͤmer Kraͤſten; ſondern ſeine miß guͤnſtige Landsleute verhindert. Die Deutſchen haͤtten Rom gar eingenom̃en/ und verbꝛeñt; und die nuꝛ noch B b b b b b 3
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Arminius und Thußnelda.
Leibwache die Flucht nehmen/ und ſein gantzes
Kriegs-Volck im Stiche laſſen; worvon aber
Mithridates alle Gefangenen mit Verehrung
eines Zehrpfennigs loß ließ/ um den Anfang ſei-
nes Sieges mit dem Ruhme ſeiner Guͤtigkeit
deſto herrlicher zu machen. Die Roͤmiſchen
Heerfuͤhrer wurden durch dieſen Verluſt/ da
nicht einſt der Kern des Pontiſchen Heeres eine
viel ſtaͤrckere Macht erlegt hatte/ heftig beſtuͤrtzt;
ſonderlich/ da die Zeitung zugleich kam: daß die
Thracier und die am Jſter wohnenden Voͤlcker
Macedonien verwuͤſteten. Der Roͤmiſche Rath
erklaͤrte hierauf den Marius zum Feld-Herrn
wider Mithridaten/ Sylla aber weigerte ſich
ihm das Kriegs-Heer abzutreten; und ruͤhmte
ſich: daß dieſer Zug ihm gehoͤrte. Sintemal ihm
die zu Rom nach Cappadociſcher Art verehrte
Kriegs-Goͤttin im Traume den Blitz zuge-
reicht/ und beyzuſtehen verſprochen haͤtte. Allein
Mithridates wartete dem blutigen Buͤrger-
Kriege dieſer zweyer verbitterten Raub-Voͤ-
gel nicht aus; ſondern kam dem Koͤnige Pylaͤ-
menes in Paphlagonien mit anderthalb hun-
dert tauſend Mann ſo geſchwind auf den Hals:
daß er nicht einſt Zeit hatte/ ſeine Kriegs-macht
zuſammen zu ziehen; ſondern die den Vortrab
habenden Deutſchen hatten nur genug mit Be-
ſetzung der verlaſſenen oder ſich ergebenden
Oerter zu thun. Mithridates richtete ſeinen
Zug dergeſtalt gerade gegen dem Fluſſe San-
gar und Bithynien. Aqvilius Maltinus/ und
der entroñene Nicomedes hattẽ ſich am Scobo-
riſchẽ Gebuͤrge verſchantzt. Weil aber ein Sar-
matiſcher Fuͤrſt Radzivil mit hundert ſeiner
Reuter acht hundert ihm bege gnende Bithyni-
ſche Reuter in die Flucht ſchlug/ zwey hundert
gefangen brachte/ welche Mithridates aber mals
mit Geſchencken in ihr Vaterland ſchickte/ ging
Nicomedes des Nachts heimlich durch/ und eilte
zum Lucius Caßius uͤber den Fluß Sangor. Als
Maltinus auf den Morgen diß erfuhr; brach er
ebenfalls auf mit Vorſatze ſich in das Lindyni-
ſche Gebuͤrge zu ziehen. Allein Neoptolemus
Mithridatens und Menophanes der Armeni-
ſche Feldherr ereilten ihn an einer Bach/ zwan-
gen ihn zu ſchlagen; und erlegten ihm zehntau-
ſend ſeiner beſten Kriegs-Leute. Aqvilius ver-
ließ nach erlangter Nachricht ſein Laͤger mit al-
lem Vorrathe zur Beute der ihm auf der Ferſen
folgenden Deutſchen; und entkam mit genauer
Noth uͤber den Fluß Sangar/ und von dar nach
Pergamus. Weil nun Mithridates abermahls
alle Aſiatiſche Gefangenen mit ſeidenen Roͤcken
und andern Gaben von ſich ließ/ ihnen die Frey-
heit und die Loßlaſſung von dem Roͤmiſchen Jo-
che verſprach/ gewann er in Aſien mehr durch
ſeine Leitſeligkeit/ denn durch Waffen. Mehr
als hundert groſſe Staͤdte ſchickten ihm Ge-
ſandten und die Schluͤſſel zu ihren Feſtungen
entgegen/ hieſſen ihn ihren Erhalter/ opferten
ihm wie einem Gotte; alſo: daß nach vergebens
geſuchter Huͤlffe in Phrygien Caßius nach A-
pamea/ Maltinus nach Rhodis/ Nicomedes
nach Pergamus/ ja endlich gar nach Rom ſich
fluͤchtete. Die am Munde der Thraciſchen
Meer-Enge liegenden Schiffe giengen theils
durch/ theils zum Mithridates uͤber. Die Bi-
thyniſchen Staͤdte ſtritten mit einander gleich-
ſam um die Ehre und den Vorzug/ welche ſich
dem groſſen Mithridates am erſten ergeben
haͤtte. Alſo ward er in wenig Tagen Herrſcher
in Bithynien; Und nachdem er durch Erlaſ-
ſung aller Schulden aller Gemuͤther gewoñen/
alle Kriegs-Leute reichlich beſchenckt hatte; hielt
er ſeinem Heere fuͤr: Sie haͤtten nunmehr durch
ihre Siege gelernet: daß die Roͤmer keine unuͤ-
berwindliche Goͤtter; ſondern Menſchen/ ja ge-
gen Helden feige Leute waͤren. Pyrrhus haͤtte
mit 5000. Macedoniern ſie dreymal geſchlagen.
Añibal 16. Jahr ſie im Hertzen Jtaliens beaͤng-
ſtiget; uñ daß eꝛ Rom nicht gewoñen/ haͤtten nicht
der Roͤmer Kraͤſten; ſondern ſeine miß guͤnſtige
Landsleute verhindert. Die Deutſchen haͤtten
Rom gar eingenom̃en/ und verbꝛeñt; und die nuꝛ
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 933[935]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/995>, abgerufen am 01.07.2024. |