Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

er könne die Tochter nicht zwingen, ja er würde aufhören, den Mann zu achten, dem eine erzwungene Ehe noch wünschenswerth scheine. Hierauf trennten sie sich mit stillem Verdruß. Doch dieser Same des Unmuths war gar bald aus dem offenen Gemüth des Einen verschwunden, während er in der Brust des Anderen Wurzel faßte und eine giftige Pflanze trieb.

Mariane schlief die ganze Nacht nicht. Immer tönten Börner's Worte vor ihren Ohren. Was konnte er meinen? Ueber sie selbst vermochte er kein Unheil zu bringen, nur durch die, die sie liebte, konnte er ihr Herz verwunden. Ihre Einbildungskraft rang mit furchtbaren Bildern. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater jenes Mal von Sorgen sprach, deren Last ihn allein drücke, wie er sagte: Börner hat mein ganzes Vertrauen. -- Namenlose Angst faßte sie, sie strebte vergebens, sich durch den Gedanken zu stärken: es könne kein Unrecht an dem Vater zu finden sein, seine Seele, sein Wandel könne keinen Flecken haben. Zuweilen ergriff sie die Reue, daß sie nicht Alles gewagt hatte, den Sinn des Räthsels zu lösen, Zweifel quälten sie: ob sie sich dem Vater entdecken solle, vor dessen erstem Wiedersehen ihr ohnedem bangte. Endlich fand sie Ruhe, indem sie Gott um Schutz gegen wahres und eingebildetes Schrecken anrief, und mit dem Grau des Morgens hatte der Schlaf ihre Augen zugedrückt. Beim Frühstück war Ellinger kalt und finster, er ging aus, ohne einen freundlichen Abschied von ihr. -- Um Mittag kamen zwei preußische

er könne die Tochter nicht zwingen, ja er würde aufhören, den Mann zu achten, dem eine erzwungene Ehe noch wünschenswerth scheine. Hierauf trennten sie sich mit stillem Verdruß. Doch dieser Same des Unmuths war gar bald aus dem offenen Gemüth des Einen verschwunden, während er in der Brust des Anderen Wurzel faßte und eine giftige Pflanze trieb.

Mariane schlief die ganze Nacht nicht. Immer tönten Börner's Worte vor ihren Ohren. Was konnte er meinen? Ueber sie selbst vermochte er kein Unheil zu bringen, nur durch die, die sie liebte, konnte er ihr Herz verwunden. Ihre Einbildungskraft rang mit furchtbaren Bildern. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater jenes Mal von Sorgen sprach, deren Last ihn allein drücke, wie er sagte: Börner hat mein ganzes Vertrauen. — Namenlose Angst faßte sie, sie strebte vergebens, sich durch den Gedanken zu stärken: es könne kein Unrecht an dem Vater zu finden sein, seine Seele, sein Wandel könne keinen Flecken haben. Zuweilen ergriff sie die Reue, daß sie nicht Alles gewagt hatte, den Sinn des Räthsels zu lösen, Zweifel quälten sie: ob sie sich dem Vater entdecken solle, vor dessen erstem Wiedersehen ihr ohnedem bangte. Endlich fand sie Ruhe, indem sie Gott um Schutz gegen wahres und eingebildetes Schrecken anrief, und mit dem Grau des Morgens hatte der Schlaf ihre Augen zugedrückt. Beim Frühstück war Ellinger kalt und finster, er ging aus, ohne einen freundlichen Abschied von ihr. — Um Mittag kamen zwei preußische

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="4">
        <p><pb facs="#f0050"/>
er könne die Tochter nicht zwingen, ja er würde aufhören, den Mann zu achten,                dem eine erzwungene Ehe noch wünschenswerth scheine. Hierauf trennten sie sich mit                stillem Verdruß. Doch dieser Same des Unmuths war gar bald aus dem offenen Gemüth des                Einen verschwunden, während er in der Brust des Anderen Wurzel faßte und eine giftige                Pflanze trieb.</p><lb/>
        <p>Mariane schlief die ganze Nacht nicht. Immer tönten Börner's Worte vor ihren Ohren.                Was konnte er meinen? Ueber sie selbst vermochte er kein Unheil zu bringen, nur durch                die, die sie liebte, konnte er ihr Herz verwunden. Ihre Einbildungskraft rang mit                furchtbaren Bildern. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater jenes Mal von Sorgen sprach,                deren Last ihn allein drücke, wie er sagte: Börner hat mein ganzes Vertrauen. &#x2014;                Namenlose Angst faßte sie, sie strebte vergebens, sich durch den Gedanken zu stärken:                es könne kein Unrecht an dem Vater zu finden sein, seine Seele, sein Wandel könne                keinen Flecken haben. Zuweilen ergriff sie die Reue, daß sie nicht Alles gewagt                hatte, den Sinn des Räthsels zu lösen, Zweifel quälten sie: ob sie sich dem Vater                entdecken solle, vor dessen erstem Wiedersehen ihr ohnedem bangte. Endlich fand sie                Ruhe, indem sie Gott um Schutz gegen wahres und eingebildetes Schrecken anrief, und                mit dem Grau des Morgens hatte der Schlaf ihre Augen zugedrückt. Beim Frühstück war                Ellinger kalt und finster, er ging aus, ohne einen freundlichen Abschied von ihr. &#x2014;                Um Mittag kamen zwei preußische<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] er könne die Tochter nicht zwingen, ja er würde aufhören, den Mann zu achten, dem eine erzwungene Ehe noch wünschenswerth scheine. Hierauf trennten sie sich mit stillem Verdruß. Doch dieser Same des Unmuths war gar bald aus dem offenen Gemüth des Einen verschwunden, während er in der Brust des Anderen Wurzel faßte und eine giftige Pflanze trieb. Mariane schlief die ganze Nacht nicht. Immer tönten Börner's Worte vor ihren Ohren. Was konnte er meinen? Ueber sie selbst vermochte er kein Unheil zu bringen, nur durch die, die sie liebte, konnte er ihr Herz verwunden. Ihre Einbildungskraft rang mit furchtbaren Bildern. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater jenes Mal von Sorgen sprach, deren Last ihn allein drücke, wie er sagte: Börner hat mein ganzes Vertrauen. — Namenlose Angst faßte sie, sie strebte vergebens, sich durch den Gedanken zu stärken: es könne kein Unrecht an dem Vater zu finden sein, seine Seele, sein Wandel könne keinen Flecken haben. Zuweilen ergriff sie die Reue, daß sie nicht Alles gewagt hatte, den Sinn des Räthsels zu lösen, Zweifel quälten sie: ob sie sich dem Vater entdecken solle, vor dessen erstem Wiedersehen ihr ohnedem bangte. Endlich fand sie Ruhe, indem sie Gott um Schutz gegen wahres und eingebildetes Schrecken anrief, und mit dem Grau des Morgens hatte der Schlaf ihre Augen zugedrückt. Beim Frühstück war Ellinger kalt und finster, er ging aus, ohne einen freundlichen Abschied von ihr. — Um Mittag kamen zwei preußische

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:20:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:20:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/50
Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/50>, abgerufen am 29.03.2024.