§. 12. Solche neue Ohren einer aufmercksamen Seele hat der na- türliche Mensch nicht, wie Moses klagt a. Sondern er schnarchet sicher dahin in seinem Sünden-Schlaff. Nun höret ein Schlaffen- der den Donner nicht, noch viel weniger ein Todter, auch nicht die allerschönste Music, ja er vernimmet auch nicht die Stimme der Creaturen, die ihne zum Schöpffer einladen b, wider ihne seuffzen, und zu GOtt um Rache schreyen, haue ihn ab c; Wie sollte er dann auch nur verstehen, was das seye: Den Vatter hören.
Wie kräff- tig diese Stimm eine auf- geweckte Seel ü- berzeuge.
§. 13. Dieses verstehet niemand, als der es selbsten erfahren, und wer es erfahren, kan es nicht genugsam mit Worten ausdrucken, was das für eine kräfftige Stimme seye des Allmächtigen, die in der See- len geschiehet, dann da wird das Wort GOttes so lebendig im Her- tzen/ daß es Marck und Bein durchdringet/ Leib und Seele zer- schneidetd. Da gehet in diesem dunckelen Kercker ein heller Mor- gen-Stern auf e, der mit seinem Glantz alle zuvor verborgene und unbekannte Greuel des Hertzens entdecket, daß der zuvor sichere und sorglose Sünder sihet, wie er mitten im Reich der Sünden, der Fin- sternuß und des Unglaubens seye verstricket und verknüttelt in den Banden der fleischlichen Lüsten, die ihne nach dem Abgrund schlep- pen.
Jnsonder- heit von dem Zorn GOttes.
§. 14. Er sihet GOtt gantz lebendig ob ihm als einen erzörnten Richter, der den Blut-Stab schon längsten über ihne hätte brechen können. Da wachet das bißher tieff schlaffende Gewissen auff, und zeigt ihm ein schwartzes Register von allerhand Sünden, Verdor- benheiten und Unarten, die ihme nicht anderst vorkommen als unge- heure unersteigliche Berge. Es schweben ihme vor allerhand süsse Einladungen des Vatters, welche er aber allezeit so schändlich ver- achtet, ja mit Füssen von sich gestossen, die Träber seiner Lüsten Chri- sto der safftigsten Seelen-Speise vorgezogen, wider alle Güte des liebreichsten Vatters mit lauter Bosheit gestritten, ihm gleichsam die Hölle abgezwungen, und den Himmel aus eigenem Willen ver- schertzet. Da höret der Sünder die Stimme aller Geschöpffen, wie sie ihme den Tod und Untergang drohen, massen es heisset: Ach! alle Creaturen, sie seyen wie sie wollen, gehorchen ihrem Schöpffer, die kleinen Jmmen tragen ihren Honig ein, die Spinnenweben bauen
sich
aDeut. XXIX. 4.
bPsalm. XIX. 2. Rom. I. 20. VIII. 22.
cLuc. XIII.
dHebt. IV. 12.
e 2 Petr. I. 19.
Wunder-Geheimnuß des
Der na- tuͤrliche Menſch hoͤret dieſe Stimm nicht.
§. 12. Solche neue Ohren einer aufmerckſamen Seele hat der na- tuͤrliche Menſch nicht, wie Moſes klagt a. Sondern er ſchnarchet ſicher dahin in ſeinem Suͤnden-Schlaff. Nun hoͤret ein Schlaffen- der den Donner nicht, noch viel weniger ein Todter, auch nicht die allerſchoͤnſte Muſic, ja er vernimmet auch nicht die Stimme der Creaturen, die ihne zum Schoͤpffer einladen b, wider ihne ſeuffzen, und zu GOtt um Rache ſchreyen, haue ihn ab c; Wie ſollte er dann auch nur verſtehen, was das ſeye: Den Vatter hoͤren.
Wie kraͤff- tig dieſe Stimm eine auf- geweckte Seel uͤ- berzeuge.
§. 13. Dieſes verſtehet niemand, als der es ſelbſten erfahren, und wer es erfahren, kan es nicht genugſam mit Worten ausdrucken, was das fuͤr eine kraͤfftige Stimme ſeye des Allmaͤchtigen, die in der See- len geſchiehet, dann da wird das Wort GOttes ſo lebendig im Her- tzen/ daß es Marck und Bein durchdringet/ Leib und Seele zer- ſchneidetd. Da gehet in dieſem dunckelen Kercker ein heller Mor- gen-Stern auf e, der mit ſeinem Glantz alle zuvor verborgene und unbekannte Greuel des Hertzens entdecket, daß der zuvor ſichere und ſorgloſe Suͤnder ſihet, wie er mitten im Reich der Suͤnden, der Fin- ſternuß und des Unglaubens ſeye verſtricket und verknuͤttelt in den Banden der fleiſchlichen Luͤſten, die ihne nach dem Abgrund ſchlep- pen.
Jnſonder- heit von dem Zorn GOttes.
§. 14. Er ſihet GOtt gantz lebendig ob ihm als einen erzoͤrnten Richter, der den Blut-Stab ſchon laͤngſten uͤber ihne haͤtte brechen koͤnnen. Da wachet das bißher tieff ſchlaffende Gewiſſen auff, und zeigt ihm ein ſchwartzes Regiſter von allerhand Suͤnden, Verdor- benheiten und Unarten, die ihme nicht anderſt vorkommen als unge- heure unerſteigliche Berge. Es ſchweben ihme vor allerhand ſuͤſſe Einladungen des Vatters, welche er aber allezeit ſo ſchaͤndlich ver- achtet, ja mit Fuͤſſen von ſich geſtoſſen, die Traͤber ſeiner Luͤſten Chri- ſto der ſafftigſten Seelen-Speiſe vorgezogen, wider alle Guͤte des liebreichſten Vatters mit lauter Bosheit geſtritten, ihm gleichſam die Hoͤlle abgezwungen, und den Himmel aus eigenem Willen ver- ſchertzet. Da hoͤret der Suͤnder die Stimme aller Geſchoͤpffen, wie ſie ihme den Tod und Untergang drohen, maſſen es heiſſet: Ach! alle Creaturen, ſie ſeyen wie ſie wollen, gehorchen ihrem Schoͤpffer, die kleinen Jmmen tragen ihren Honig ein, die Spinnenweben bauen
ſich
aDeut. XXIX. 4.
bPſalm. XIX. 2. Rom. I. 20. VIII. 22.
cLuc. XIII.
dHebt. IV. 12.
e 2 Petr. I. 19.
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Wunder-Geheimnuß des
§. 12. Solche neue Ohren einer aufmerckſamen Seele hat der na-
tuͤrliche Menſch nicht, wie Moſes klagt a. Sondern er ſchnarchet
ſicher dahin in ſeinem Suͤnden-Schlaff. Nun hoͤret ein Schlaffen-
der den Donner nicht, noch viel weniger ein Todter, auch nicht
die allerſchoͤnſte Muſic, ja er vernimmet auch nicht die Stimme der
Creaturen, die ihne zum Schoͤpffer einladen b, wider ihne ſeuffzen,
und zu GOtt um Rache ſchreyen, haue ihn ab c; Wie ſollte er dann
auch nur verſtehen, was das ſeye: Den Vatter hoͤren.
§. 13. Dieſes verſtehet niemand, als der es ſelbſten erfahren, und
wer es erfahren, kan es nicht genugſam mit Worten ausdrucken, was
das fuͤr eine kraͤfftige Stimme ſeye des Allmaͤchtigen, die in der See-
len geſchiehet, dann da wird das Wort GOttes ſo lebendig im Her-
tzen/ daß es Marck und Bein durchdringet/ Leib und Seele zer-
ſchneidet d. Da gehet in dieſem dunckelen Kercker ein heller Mor-
gen-Stern auf e, der mit ſeinem Glantz alle zuvor verborgene und
unbekannte Greuel des Hertzens entdecket, daß der zuvor ſichere und
ſorgloſe Suͤnder ſihet, wie er mitten im Reich der Suͤnden, der Fin-
ſternuß und des Unglaubens ſeye verſtricket und verknuͤttelt in den
Banden der fleiſchlichen Luͤſten, die ihne nach dem Abgrund ſchlep-
pen.
§. 14. Er ſihet GOtt gantz lebendig ob ihm als einen erzoͤrnten
Richter, der den Blut-Stab ſchon laͤngſten uͤber ihne haͤtte brechen
koͤnnen. Da wachet das bißher tieff ſchlaffende Gewiſſen auff, und
zeigt ihm ein ſchwartzes Regiſter von allerhand Suͤnden, Verdor-
benheiten und Unarten, die ihme nicht anderſt vorkommen als unge-
heure unerſteigliche Berge. Es ſchweben ihme vor allerhand ſuͤſſe
Einladungen des Vatters, welche er aber allezeit ſo ſchaͤndlich ver-
achtet, ja mit Fuͤſſen von ſich geſtoſſen, die Traͤber ſeiner Luͤſten Chri-
ſto der ſafftigſten Seelen-Speiſe vorgezogen, wider alle Guͤte des
liebreichſten Vatters mit lauter Bosheit geſtritten, ihm gleichſam
die Hoͤlle abgezwungen, und den Himmel aus eigenem Willen ver-
ſchertzet. Da hoͤret der Suͤnder die Stimme aller Geſchoͤpffen, wie
ſie ihme den Tod und Untergang drohen, maſſen es heiſſet: Ach! alle
Creaturen, ſie ſeyen wie ſie wollen, gehorchen ihrem Schoͤpffer, die
kleinen Jmmen tragen ihren Honig ein, die Spinnenweben bauen
ſich
a Deut. XXIX. 4.
b Pſalm. XIX. 2. Rom. I. 20. VIII. 22.
c Luc. XIII.
d Hebt. IV. 12.
e 2 Petr. I. 19.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/118>, abgerufen am 21.11.2024.
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