Daß er dir dein Eigenwillen erfülle, und darbey kein Härlein krüm- men lasse, und deine ungetödtete, ungebrochene Natur mit den al- lerköstlichsten Gaben seines Reichs noch darzu erfreue.
Einsam- keit steuret den An- sechtungen nicht.
§. 9. Sprichst du, o hätt ich Flügel wie die Tauben, so wolt ich ferne wegfliegen, und in der Wüste meine Herberg haben; Ach kön- te ich nur einsam leben, weit von den Leuten hinweg.
Antw. Es ist zwar nicht zu laugnen, daß bey dem Abfall und Ver- derben des Christenthums viele, auch Gelehrte, Weise, Hohe und Reiche alles verlassen, sich in einsamme Oerter begeben, und in äus- serster Abgeschidenheit ein streng Leben geführt, aber was harte, heis- se Kämpfe, Schweiß und Arbeit offt biß aufs Blut, was schwe- rer Anfechtungen, sie da mit denen bösen Geistern und ihrem eignen Fleisch haben müssen ausstehen, da sollte sich kein Heuchler, oder auch schwacher Anfänger nimmermehr wünschen. Darum halte nur das Maul zu, schweig und leide dich, klage und murre nicht, dann das stehet niemand wohl an. Fallest du, so gib deiner Blödigkeit und Unachtsamkeit Schuld und nicht dem Stein der im Weg ligt, dann wo du auf GOtt geschauet hättest, und in seiner Gegenwart geblieben wärest, so würde dich sein Liecht und Gnad schon erleuch- tet und gestärcket haben, daß du nicht hättest gesündiget. Kanst du JEsum nicht recht anfassen und sein habhafft werden, entrinnet dir das selig Kleinod immer wieder, so werde darum nicht maßleidig, sondern hoffe auf GOtt, so wirst du nicht immerfort zu Schanden werden, dein Harren und unverdrossenes Wiederansetzen wird zur letzten Zeit grosse Belohnung haben.
GOtt ist um den Glauben an zu- ruffen.
§. 10. Sagst du: Eben grad da fehlets mir am meisten, wann schon die Dörn nicht wären, so ist meine Glaubens-Hand zu kurtz, kan nicht hinauf langen, und JEsum, die schöne Blum, nach de- ren mein Hertz lüsterend ist, erreichen?
Antw. Bitte-den guten GOtt und lieben Vatter um die Offen- bahrung seines Sohns in dir, daß er die Rosen selber abbrechen, und JEsum den Gecreutzigten dir geben wolle, er wirds thun und wird dir auch darneben deine Glaubens-Kräfften schencken und ver- mehren, den lebendigmachenden Geruch des Geistes Christi in dein Geist einzuziehen, JEsus kans thun, wann dir schon der Sünden- Aussatz alle die geistlichen Sinnen zerrüttet und abgefressen hätte, daß du von himmlischen Dingen nichts mehr riechen köntest.
§. 11. Fragst
Der geiſtliche Fruͤhling.
Daß er dir dein Eigenwillen erfuͤlle, und darbey kein Haͤrlein kruͤm- men laſſe, und deine ungetoͤdtete, ungebrochene Natur mit den al- lerkoͤſtlichſten Gaben ſeines Reichs noch darzu erfreue.
Einſam- keit ſteuret den An- ſechtungen nicht.
§. 9. Sprichſt du, o haͤtt ich Fluͤgel wie die Tauben, ſo wolt ich ferne wegfliegen, und in der Wuͤſte meine Herberg haben; Ach koͤn- te ich nur einſam leben, weit von den Leuten hinweg.
Antw. Es iſt zwar nicht zu laugnen, daß bey dem Abfall und Ver- derben des Chriſtenthums viele, auch Gelehrte, Weiſe, Hohe und Reiche alles verlaſſen, ſich in einſamme Oerter begeben, und in aͤuſ- ſerſter Abgeſchidenheit ein ſtreng Leben gefuͤhrt, aber was harte, heiſ- ſe Kaͤmpfe, Schweiß und Arbeit offt biß aufs Blut, was ſchwe- rer Anfechtungen, ſie da mit denen boͤſen Geiſtern und ihrem eignen Fleiſch haben muͤſſen ausſtehen, da ſollte ſich kein Heuchler, oder auch ſchwacher Anfaͤnger nimmermehr wuͤnſchen. Darum halte nur das Maul zu, ſchweig und leide dich, klage und murre nicht, dann das ſtehet niemand wohl an. Falleſt du, ſo gib deiner Bloͤdigkeit und Unachtſamkeit Schuld und nicht dem Stein der im Weg ligt, dann wo du auf GOtt geſchauet haͤtteſt, und in ſeiner Gegenwart geblieben waͤreſt, ſo wuͤrde dich ſein Liecht und Gnad ſchon erleuch- tet und geſtaͤrcket haben, daß du nicht haͤtteſt geſuͤndiget. Kanſt du JEſum nicht recht anfaſſen und ſein habhafft werden, entrinnet dir das ſelig Kleinod immer wieder, ſo werde darum nicht maßleidig, ſondern hoffe auf GOtt, ſo wirſt du nicht immerfort zu Schanden werden, dein Harren und unverdroſſenes Wiederanſetzen wird zur letzten Zeit groſſe Belohnung haben.
GOtt iſt um den Glauben an zu- ruffen.
§. 10. Sagſt du: Eben grad da fehlets mir am meiſten, wann ſchon die Doͤrn nicht waͤren, ſo iſt meine Glaubens-Hand zu kurtz, kan nicht hinauf langen, und JEſum, die ſchoͤne Blum, nach de- ren mein Hertz luͤſterend iſt, erreichen?
Antw. Bitte-den guten GOtt und lieben Vatter um die Offen- bahrung ſeines Sohns in dir, daß er die Roſen ſelber abbrechen, und JEſum den Gecreutzigten dir geben wolle, er wirds thun und wird dir auch darneben deine Glaubens-Kraͤfften ſchencken und ver- mehren, den lebendigmachenden Geruch des Geiſtes Chriſti in dein Geiſt einzuziehen, JEſus kans thun, wann dir ſchon der Suͤnden- Ausſatz alle die geiſtlichen Sinnen zerruͤttet und abgefreſſen haͤtte, daß du von himmliſchen Dingen nichts mehr riechen koͤnteſt.
§. 11. Fragſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0444"n="348"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der geiſtliche Fruͤhling.</hi></fw><lb/>
Daß er dir dein Eigenwillen erfuͤlle, und darbey kein Haͤrlein kruͤm-<lb/>
men laſſe, und deine ungetoͤdtete, ungebrochene Natur mit den al-<lb/>
lerkoͤſtlichſten Gaben ſeines Reichs noch darzu erfreue.</p><lb/><noteplace="left">Einſam-<lb/>
keit ſteuret<lb/>
den An-<lb/>ſechtungen<lb/>
nicht.</note><p>§. 9. Sprichſt du, o haͤtt ich Fluͤgel wie die Tauben, ſo wolt ich<lb/>
ferne wegfliegen, und in der Wuͤſte meine Herberg haben; Ach koͤn-<lb/>
te ich nur einſam leben, weit von den Leuten hinweg.</p><lb/><p>Antw. Es iſt zwar nicht zu laugnen, daß bey dem Abfall und Ver-<lb/>
derben des Chriſtenthums viele, auch Gelehrte, Weiſe, Hohe und<lb/>
Reiche alles verlaſſen, ſich in einſamme Oerter begeben, und in aͤuſ-<lb/>ſerſter Abgeſchidenheit ein ſtreng Leben gefuͤhrt, aber was harte, heiſ-<lb/>ſe Kaͤmpfe, Schweiß und Arbeit offt biß aufs Blut, was ſchwe-<lb/>
rer Anfechtungen, ſie da mit denen boͤſen Geiſtern und ihrem eignen<lb/>
Fleiſch haben muͤſſen ausſtehen, da ſollte ſich kein Heuchler, oder<lb/>
auch ſchwacher Anfaͤnger nimmermehr wuͤnſchen. Darum halte nur<lb/>
das Maul zu, ſchweig und leide dich, klage und murre nicht, dann<lb/>
das ſtehet niemand wohl an. Falleſt du, ſo gib deiner Bloͤdigkeit<lb/>
und Unachtſamkeit Schuld und nicht dem Stein der im Weg ligt,<lb/>
dann wo du auf GOtt geſchauet haͤtteſt, und in ſeiner Gegenwart<lb/>
geblieben waͤreſt, ſo wuͤrde dich ſein Liecht und Gnad ſchon erleuch-<lb/>
tet und geſtaͤrcket haben, daß du nicht haͤtteſt geſuͤndiget. Kanſt du<lb/>
JEſum nicht recht anfaſſen und ſein habhafft werden, entrinnet dir<lb/>
das ſelig Kleinod immer wieder, ſo werde darum nicht maßleidig,<lb/>ſondern hoffe auf GOtt, ſo wirſt du nicht immerfort zu Schanden<lb/>
werden, dein Harren und unverdroſſenes Wiederanſetzen wird zur<lb/>
letzten Zeit groſſe Belohnung haben.</p><lb/><noteplace="left">GOtt iſt<lb/>
um den<lb/>
Glauben<lb/>
an zu-<lb/>
ruffen.</note><p>§. 10. Sagſt du: Eben grad da fehlets mir am meiſten, wann<lb/>ſchon die Doͤrn nicht waͤren, ſo iſt meine Glaubens-Hand zu kurtz,<lb/>
kan nicht hinauf langen, und JEſum, die ſchoͤne Blum, nach de-<lb/>
ren mein Hertz luͤſterend iſt, erreichen?</p><lb/><p>Antw. Bitte-den guten GOtt und lieben Vatter um die Offen-<lb/>
bahrung ſeines Sohns in dir, daß er die Roſen ſelber abbrechen,<lb/>
und JEſum den Gecreutzigten dir geben wolle, er wirds thun und<lb/>
wird dir auch darneben deine Glaubens-Kraͤfften ſchencken und ver-<lb/>
mehren, den lebendigmachenden Geruch des Geiſtes Chriſti in dein<lb/>
Geiſt einzuziehen, JEſus kans thun, wann dir ſchon der Suͤnden-<lb/>
Ausſatz alle die geiſtlichen Sinnen zerruͤttet und abgefreſſen haͤtte,<lb/>
daß du von himmliſchen Dingen nichts mehr riechen koͤnteſt.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 11. Fragſt</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[348/0444]
Der geiſtliche Fruͤhling.
Daß er dir dein Eigenwillen erfuͤlle, und darbey kein Haͤrlein kruͤm-
men laſſe, und deine ungetoͤdtete, ungebrochene Natur mit den al-
lerkoͤſtlichſten Gaben ſeines Reichs noch darzu erfreue.
§. 9. Sprichſt du, o haͤtt ich Fluͤgel wie die Tauben, ſo wolt ich
ferne wegfliegen, und in der Wuͤſte meine Herberg haben; Ach koͤn-
te ich nur einſam leben, weit von den Leuten hinweg.
Antw. Es iſt zwar nicht zu laugnen, daß bey dem Abfall und Ver-
derben des Chriſtenthums viele, auch Gelehrte, Weiſe, Hohe und
Reiche alles verlaſſen, ſich in einſamme Oerter begeben, und in aͤuſ-
ſerſter Abgeſchidenheit ein ſtreng Leben gefuͤhrt, aber was harte, heiſ-
ſe Kaͤmpfe, Schweiß und Arbeit offt biß aufs Blut, was ſchwe-
rer Anfechtungen, ſie da mit denen boͤſen Geiſtern und ihrem eignen
Fleiſch haben muͤſſen ausſtehen, da ſollte ſich kein Heuchler, oder
auch ſchwacher Anfaͤnger nimmermehr wuͤnſchen. Darum halte nur
das Maul zu, ſchweig und leide dich, klage und murre nicht, dann
das ſtehet niemand wohl an. Falleſt du, ſo gib deiner Bloͤdigkeit
und Unachtſamkeit Schuld und nicht dem Stein der im Weg ligt,
dann wo du auf GOtt geſchauet haͤtteſt, und in ſeiner Gegenwart
geblieben waͤreſt, ſo wuͤrde dich ſein Liecht und Gnad ſchon erleuch-
tet und geſtaͤrcket haben, daß du nicht haͤtteſt geſuͤndiget. Kanſt du
JEſum nicht recht anfaſſen und ſein habhafft werden, entrinnet dir
das ſelig Kleinod immer wieder, ſo werde darum nicht maßleidig,
ſondern hoffe auf GOtt, ſo wirſt du nicht immerfort zu Schanden
werden, dein Harren und unverdroſſenes Wiederanſetzen wird zur
letzten Zeit groſſe Belohnung haben.
§. 10. Sagſt du: Eben grad da fehlets mir am meiſten, wann
ſchon die Doͤrn nicht waͤren, ſo iſt meine Glaubens-Hand zu kurtz,
kan nicht hinauf langen, und JEſum, die ſchoͤne Blum, nach de-
ren mein Hertz luͤſterend iſt, erreichen?
Antw. Bitte-den guten GOtt und lieben Vatter um die Offen-
bahrung ſeines Sohns in dir, daß er die Roſen ſelber abbrechen,
und JEſum den Gecreutzigten dir geben wolle, er wirds thun und
wird dir auch darneben deine Glaubens-Kraͤfften ſchencken und ver-
mehren, den lebendigmachenden Geruch des Geiſtes Chriſti in dein
Geiſt einzuziehen, JEſus kans thun, wann dir ſchon der Suͤnden-
Ausſatz alle die geiſtlichen Sinnen zerruͤttet und abgefreſſen haͤtte,
daß du von himmliſchen Dingen nichts mehr riechen koͤnteſt.
§. 11. Fragſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/444>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.