Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
liegende Wein-Trauben.

§. 4. Weilen die Seel ein gedenckend, geschäfftiges Wesen,Machen
einen je
nachdem
sie beschaf-
fen entwe-
der glück-
lich oder
unglück-
lich.

und durch begierliches anmuthiges Andencken dasjenige in sich bil-
det, woran sie gedencket; ist es GOtt, und sein allerheiligster Will
die Liebe Christi, seine Weißheit, Güte und Herrlichkeit? so wird
sie himmlisch, und stirbt der Welt ab; ist es aber menschlich Ge-
plauder, Geschichten, Thaten und allerhand Zufälle und Begeben-
heiten, die sich auf Erden zutragen? so bleibt die Seel öd und leer,
ist zerstreuet wie ein Schaaf das keinen Hirten hat; Die eitelen Ge-
dancken sind Stopplen; Sorg und Kummer über das Zeitliche
seynd Dörn; Zornige, raachgierige, häßige Gedancken seynd der
Schwefel; Geitzige seynd das Hartz und Wollüstige das Pech, so
die Seel in sich sammlet, welche Materien nach ihrem Hinscheid
aus dieser Welt angezündet werden, und lichter lohe brennen, als
das unauslöschliche Feuer, welches der Mensch an Leib und Seel
fühlet und ewig haben muß, als den Pfuhl, der mit Feur und
Schwefel brennt. Hingegen seynd liebreiche, keusche, mildthätige,
der Welt Ehr und Nutzen verläugnende Gedancken der Balsam der
Unsterblichkeit, die Seiden, das Gold und die Edelgestein zu der
Hütten GOttes, Pfläntzlein und Bächlein zum Paradieß, welches
nach des Leibes Zerbrechung auch in der Seelen offenbahr wird,
und darinnen ewig blühet, von der Sonnen der Göttlichen Freud
und Wonne überstrahlet.

Was die Seele gedenckt, das ist ihr Speiß/ davon sie entweder
den ewigen Tod, oder das ewige Leben hat; ists Unkeuschheit! so
isset sie Koth und Gestanck; seynds Sorgen! so isset sie Dornen;
ists Hochmuth! so speiset sie sich vom Wind, der sie aufblähet; ists
Haß! so schlucket sie Gall! ists Wollust, Unglaub und Geitz, so
schlucket sie Gifft in sich, davon sie endlich geschwällen und bärsten
muß; wie das Weib im Gesetz das seinem rechtmäßigen Ehemann un-
treu worden, und Staub und Fluch in sich getruncken. Ziehet hingegen
die Seel die Verheissung in sich aus den Worten des Evangelii! so isset
sie Honig; ziehet sie Gedult in sich! so trincket sie süssen Wein; dencket
sie an JEsum den gecreutzigten! so weidet sie sich mit Himmel-Brod;
neiget sie sich zur Sanfftmuth! so trincket sie Milch; erseufzet sie nach
Keuschheit und Reinigkeit! so salbet sie sich mit köstlichem wohlrie-
chenden Narden; vernichtet sie sich selbst! so wird sie erwärmt mit
köstlichem Gewürtz.

§. 5. Ein-
J i i 2
liegende Wein-Trauben.

§. 4. Weilen die Seel ein gedenckend, geſchaͤfftiges Weſen,Machen
einen je
nachdem
ſie beſchaf-
fen entwe-
der gluͤck-
lich oder
ungluͤck-
lich.

und durch begierliches anmuthiges Andencken dasjenige in ſich bil-
det, woran ſie gedencket; iſt es GOtt, und ſein allerheiligſter Will
die Liebe Chriſti, ſeine Weißheit, Guͤte und Herrlichkeit? ſo wird
ſie himmliſch, und ſtirbt der Welt ab; iſt es aber menſchlich Ge-
plauder, Geſchichten, Thaten und allerhand Zufaͤlle und Begeben-
heiten, die ſich auf Erden zutragen? ſo bleibt die Seel oͤd und leer,
iſt zerſtreuet wie ein Schaaf das keinen Hirten hat; Die eitelen Ge-
dancken ſind Stopplen; Sorg und Kummer uͤber das Zeitliche
ſeynd Doͤrn; Zornige, raachgierige, haͤßige Gedancken ſeynd der
Schwefel; Geitzige ſeynd das Hartz und Wolluͤſtige das Pech, ſo
die Seel in ſich ſammlet, welche Materien nach ihrem Hinſcheid
aus dieſer Welt angezuͤndet werden, und lichter lohe brennen, als
das unausloͤſchliche Feuer, welches der Menſch an Leib und Seel
fuͤhlet und ewig haben muß, als den Pfuhl, der mit Feur und
Schwefel brennt. Hingegen ſeynd liebreiche, keuſche, mildthaͤtige,
der Welt Ehr und Nutzen verlaͤugnende Gedancken der Balſam der
Unſterblichkeit, die Seiden, das Gold und die Edelgeſtein zu der
Huͤtten GOttes, Pflaͤntzlein und Baͤchlein zum Paradieß, welches
nach des Leibes Zerbrechung auch in der Seelen offenbahr wird,
und darinnen ewig bluͤhet, von der Sonnen der Goͤttlichen Freud
und Wonne uͤberſtrahlet.

Was die Seele gedenckt, das iſt ihr Speiß/ davon ſie entweder
den ewigen Tod, oder das ewige Leben hat; iſts Unkeuſchheit! ſo
iſſet ſie Koth und Geſtanck; ſeynds Sorgen! ſo iſſet ſie Dornen;
iſts Hochmuth! ſo ſpeiſet ſie ſich vom Wind, der ſie aufblaͤhet; iſts
Haß! ſo ſchlucket ſie Gall! iſts Wolluſt, Unglaub und Geitz, ſo
ſchlucket ſie Gifft in ſich, davon ſie endlich geſchwaͤllen und baͤrſten
muß; wie das Weib im Geſetz das ſeinem rechtmaͤßigen Ehemann un-
treu worden, und Staub und Fluch in ſich getruncken. Ziehet hingegen
die Seel die Verheiſſung in ſich aus den Worten des Evangelii! ſo iſſet
ſie Honig; ziehet ſie Gedult in ſich! ſo trincket ſie ſuͤſſen Wein; dencket
ſie an JEſum den gecreutzigten! ſo weidet ſie ſich mit Himmel-Brod;
neiget ſie ſich zur Sanfftmuth! ſo trincket ſie Milch; erſeufzet ſie nach
Keuſchheit und Reinigkeit! ſo ſalbet ſie ſich mit koͤſtlichem wohlrie-
chenden Narden; vernichtet ſie ſich ſelbſt! ſo wird ſie erwaͤrmt mit
koͤſtlichem Gewuͤrtz.

§. 5. Ein-
J i i 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0531" n="435"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">liegende Wein-Trauben.</hi> </fw><lb/>
          <p><hi rendition="#i">§.</hi> 4. Weilen die Seel ein gedenckend, ge&#x017F;cha&#x0364;fftiges We&#x017F;en,<note place="right">Machen<lb/>
einen je<lb/>
nachdem<lb/>
&#x017F;ie be&#x017F;chaf-<lb/>
fen entwe-<lb/>
der glu&#x0364;ck-<lb/>
lich oder<lb/>
unglu&#x0364;ck-<lb/>
lich.</note><lb/>
und durch begierliches anmuthiges Andencken dasjenige in &#x017F;ich bil-<lb/>
det, woran &#x017F;ie gedencket; i&#x017F;t es GOtt, und &#x017F;ein allerheilig&#x017F;ter Will<lb/>
die Liebe Chri&#x017F;ti, &#x017F;eine Weißheit, Gu&#x0364;te und Herrlichkeit? &#x017F;o wird<lb/>
&#x017F;ie himmli&#x017F;ch, und &#x017F;tirbt der Welt ab; i&#x017F;t es aber men&#x017F;chlich Ge-<lb/>
plauder, Ge&#x017F;chichten, Thaten und allerhand Zufa&#x0364;lle und Begeben-<lb/>
heiten, die &#x017F;ich auf Erden zutragen? &#x017F;o bleibt die Seel o&#x0364;d und leer,<lb/>
i&#x017F;t zer&#x017F;treuet wie ein Schaaf das keinen Hirten hat; Die eitelen Ge-<lb/>
dancken &#x017F;ind Stopplen; Sorg und Kummer u&#x0364;ber das Zeitliche<lb/>
&#x017F;eynd Do&#x0364;rn; Zornige, raachgierige, ha&#x0364;ßige Gedancken &#x017F;eynd der<lb/>
Schwefel; Geitzige &#x017F;eynd das Hartz und Wollu&#x0364;&#x017F;tige das Pech, &#x017F;o<lb/>
die Seel in &#x017F;ich &#x017F;ammlet, welche Materien nach ihrem Hin&#x017F;cheid<lb/>
aus die&#x017F;er Welt angezu&#x0364;ndet werden, und lichter lohe brennen, als<lb/>
das unauslo&#x0364;&#x017F;chliche Feuer, welches der Men&#x017F;ch an Leib und Seel<lb/>
fu&#x0364;hlet und ewig haben muß, als den Pfuhl, der mit Feur und<lb/>
Schwefel brennt. Hingegen &#x017F;eynd liebreiche, keu&#x017F;che, mildtha&#x0364;tige,<lb/>
der Welt Ehr und Nutzen verla&#x0364;ugnende Gedancken der Bal&#x017F;am der<lb/>
Un&#x017F;terblichkeit, die Seiden, das Gold und die Edelge&#x017F;tein zu der<lb/>
Hu&#x0364;tten GOttes, Pfla&#x0364;ntzlein und Ba&#x0364;chlein zum Paradieß, welches<lb/>
nach des Leibes Zerbrechung auch in der Seelen offenbahr wird,<lb/>
und darinnen ewig blu&#x0364;het, von der Sonnen der Go&#x0364;ttlichen Freud<lb/>
und Wonne u&#x0364;ber&#x017F;trahlet.</p><lb/>
          <p>Was die Seele gedenckt, das i&#x017F;t ihr Speiß/ davon &#x017F;ie entweder<lb/>
den ewigen Tod, oder das ewige Leben hat; i&#x017F;ts Unkeu&#x017F;chheit! &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ie Koth und Ge&#x017F;tanck; &#x017F;eynds Sorgen! &#x017F;o i&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ie Dornen;<lb/>
i&#x017F;ts Hochmuth! &#x017F;o &#x017F;pei&#x017F;et &#x017F;ie &#x017F;ich vom Wind, der &#x017F;ie aufbla&#x0364;het; i&#x017F;ts<lb/>
Haß! &#x017F;o &#x017F;chlucket &#x017F;ie Gall! i&#x017F;ts Wollu&#x017F;t, Unglaub und Geitz, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chlucket &#x017F;ie Gifft in &#x017F;ich, davon &#x017F;ie endlich ge&#x017F;chwa&#x0364;llen und ba&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
muß; wie das Weib im Ge&#x017F;etz das &#x017F;einem rechtma&#x0364;ßigen Ehemann un-<lb/>
treu worden, und Staub und Fluch in &#x017F;ich getruncken. Ziehet hingegen<lb/>
die Seel die Verhei&#x017F;&#x017F;ung in &#x017F;ich aus den Worten des Evangelii! &#x017F;o i&#x017F;&#x017F;et<lb/>
&#x017F;ie Honig; ziehet &#x017F;ie Gedult in &#x017F;ich! &#x017F;o trincket &#x017F;ie &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Wein; dencket<lb/>
&#x017F;ie an JE&#x017F;um den gecreutzigten! &#x017F;o weidet &#x017F;ie &#x017F;ich mit Himmel-Brod;<lb/>
neiget &#x017F;ie &#x017F;ich zur Sanfftmuth! &#x017F;o trincket &#x017F;ie Milch; er&#x017F;eufzet &#x017F;ie nach<lb/>
Keu&#x017F;chheit und Reinigkeit! &#x017F;o &#x017F;albet &#x017F;ie &#x017F;ich mit ko&#x0364;&#x017F;tlichem wohlrie-<lb/>
chenden Narden; vernichtet &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t! &#x017F;o wird &#x017F;ie erwa&#x0364;rmt mit<lb/>
ko&#x0364;&#x017F;tlichem Gewu&#x0364;rtz.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">J i i 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#i">§. 5.</hi> Ein-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0531] liegende Wein-Trauben. §. 4. Weilen die Seel ein gedenckend, geſchaͤfftiges Weſen, und durch begierliches anmuthiges Andencken dasjenige in ſich bil- det, woran ſie gedencket; iſt es GOtt, und ſein allerheiligſter Will die Liebe Chriſti, ſeine Weißheit, Guͤte und Herrlichkeit? ſo wird ſie himmliſch, und ſtirbt der Welt ab; iſt es aber menſchlich Ge- plauder, Geſchichten, Thaten und allerhand Zufaͤlle und Begeben- heiten, die ſich auf Erden zutragen? ſo bleibt die Seel oͤd und leer, iſt zerſtreuet wie ein Schaaf das keinen Hirten hat; Die eitelen Ge- dancken ſind Stopplen; Sorg und Kummer uͤber das Zeitliche ſeynd Doͤrn; Zornige, raachgierige, haͤßige Gedancken ſeynd der Schwefel; Geitzige ſeynd das Hartz und Wolluͤſtige das Pech, ſo die Seel in ſich ſammlet, welche Materien nach ihrem Hinſcheid aus dieſer Welt angezuͤndet werden, und lichter lohe brennen, als das unausloͤſchliche Feuer, welches der Menſch an Leib und Seel fuͤhlet und ewig haben muß, als den Pfuhl, der mit Feur und Schwefel brennt. Hingegen ſeynd liebreiche, keuſche, mildthaͤtige, der Welt Ehr und Nutzen verlaͤugnende Gedancken der Balſam der Unſterblichkeit, die Seiden, das Gold und die Edelgeſtein zu der Huͤtten GOttes, Pflaͤntzlein und Baͤchlein zum Paradieß, welches nach des Leibes Zerbrechung auch in der Seelen offenbahr wird, und darinnen ewig bluͤhet, von der Sonnen der Goͤttlichen Freud und Wonne uͤberſtrahlet. Machen einen je nachdem ſie beſchaf- fen entwe- der gluͤck- lich oder ungluͤck- lich. Was die Seele gedenckt, das iſt ihr Speiß/ davon ſie entweder den ewigen Tod, oder das ewige Leben hat; iſts Unkeuſchheit! ſo iſſet ſie Koth und Geſtanck; ſeynds Sorgen! ſo iſſet ſie Dornen; iſts Hochmuth! ſo ſpeiſet ſie ſich vom Wind, der ſie aufblaͤhet; iſts Haß! ſo ſchlucket ſie Gall! iſts Wolluſt, Unglaub und Geitz, ſo ſchlucket ſie Gifft in ſich, davon ſie endlich geſchwaͤllen und baͤrſten muß; wie das Weib im Geſetz das ſeinem rechtmaͤßigen Ehemann un- treu worden, und Staub und Fluch in ſich getruncken. Ziehet hingegen die Seel die Verheiſſung in ſich aus den Worten des Evangelii! ſo iſſet ſie Honig; ziehet ſie Gedult in ſich! ſo trincket ſie ſuͤſſen Wein; dencket ſie an JEſum den gecreutzigten! ſo weidet ſie ſich mit Himmel-Brod; neiget ſie ſich zur Sanfftmuth! ſo trincket ſie Milch; erſeufzet ſie nach Keuſchheit und Reinigkeit! ſo ſalbet ſie ſich mit koͤſtlichem wohlrie- chenden Narden; vernichtet ſie ſich ſelbſt! ſo wird ſie erwaͤrmt mit koͤſtlichem Gewuͤrtz. §. 5. Ein- J i i 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/531
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/531>, abgerufen am 22.11.2024.