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Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747.

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der Verführung der Jugend.
Wann die Visite (der Gesellschaffts-Besuch) nach hiesigem"
Gebrauch in meinem Haufe seyn solle; so gewahret man"
schon den Tag vorher an ihr nichts als Aechzen und Seuf-"
zen: Kommt dann die Gesellschafft würcklich bey mir zu-"
sammen; so hütet sie sich wohl einigen Zeit-Vertreib mit-"
zumachen; suchet vielmehr Gelegenheit, wie sie diese und"
jene Person unter den Gästen etwan an ein Fenster oder"
sonst an ein Ort besonders nehmen, und von der Busse,"
Wiedergeburt, Rechtfertigung, Heiligung, Glauben und"
dergleichen ernsthafften Dingen mit ihnen reden möge."
Jn einem gantzen Jahr habe ich sie nicht ein eintzig mahl"
lachen gesehen, und wann sich andere ihres gleichen mit"
allerhand Schertzen ergötzen: so bezeuget sie sich eben als"
ob sie von Holtz und Steinen zusammen gesetzet wäre:"
Sie verschliesset sich des Tages etliche mahl in ihr Zimmer,"
und kommt insgemein mit nassen Augen wieder heraus:"
Erinnere ich sie etwa an ihren Freyherrlichen Stand, mit"
der Vorstellung, daß sich diese ihre Aufführung für ein"
Adeliches Frauenzimmer nur gar nicht schicke; so giebet"
sie mit unerschrockenem Muth zur Antwort, wie sie von"
keinem andern als dem Adel der Kinder GOttes"
wisse/ gegen welchen ihr alle andere Adeliche Her-"
kunfft als ein Schatten an der Wand zu seyn schei-"
ne/ und auch aller Streit wegen dem Rang und"
Oberstelle; eben so kindisch vorkomme/ als wann"
die Knaben auf den Stecken reiten und die Mäd-"
gen mit Puppen spielen/ und dieselben bald an-"
bald wieder ausziehen.
Wann ich ihr etwa auch le"
beau monde,
oder die manierliche Mode-Welt vorstellen"
will, um sie von ihren melancholischen Gedancken abzu-"
bringen, so wendet sie alsobald ein: Sie habe noch nie"
in der Bibel gelesen daß die Welt schön seye/ wohl"
aber/ daß sie im Argen liege; woferne nun die"
Franzosen und die ihnen nachäfferen/ einen beson-"
dern Himmel für ihren
beau Monde hätten; so ver-"
lange sie nicht hinein, nachdem sie denjenigen Him-"
mel erwehlet habe/ zu welchem man durch die en-"
ge Pforte und nicht durch hohe Thürm eingehe etc.
"
Solche Worte muß ich von meiner ungerathenen Tochter"
täglich hören; daher ich alle Gelegenheit ausweiche, mich"
mit ihr, weiters einzulassen. Ohnlängst schenckte ich ihr"

einen"

der Verfuͤhrung der Jugend.
Wann die Viſite (der Geſellſchaffts-Beſuch) nach hieſigem“
Gebrauch in meinem Haufe ſeyn ſolle; ſo gewahret man“
ſchon den Tag vorher an ihr nichts als Aechzen und Seuf-“
zen: Kommt dann die Geſellſchafft wuͤrcklich bey mir zu-“
ſammen; ſo huͤtet ſie ſich wohl einigen Zeit-Vertreib mit-“
zumachen; ſuchet vielmehr Gelegenheit, wie ſie dieſe und“
jene Perſon unter den Gaͤſten etwan an ein Fenſter oder“
ſonſt an ein Ort beſonders nehmen, und von der Buſſe,“
Wiedergeburt, Rechtfertigung, Heiligung, Glauben und“
dergleichen ernſthafften Dingen mit ihnen reden moͤge.“
Jn einem gantzen Jahr habe ich ſie nicht ein eintzig mahl“
lachen geſehen, und wann ſich andere ihres gleichen mit“
allerhand Schertzen ergoͤtzen: ſo bezeuget ſie ſich eben als“
ob ſie von Holtz und Steinen zuſammen geſetzet waͤre:“
Sie verſchlieſſet ſich des Tages etliche mahl in ihr Zimmer,“
und kommt insgemein mit naſſen Augen wieder heraus:“
Erinnere ich ſie etwa an ihren Freyherrlichen Stand, mit“
der Vorſtellung, daß ſich dieſe ihre Auffuͤhrung fuͤr ein“
Adeliches Frauenzimmer nur gar nicht ſchicke; ſo giebet“
ſie mit unerſchrockenem Muth zur Antwort, wie ſie von“
keinem andern als dem Adel der Kinder GOttes“
wiſſe/ gegen welchen ihr alle andere Adeliche Her-“
kunfft als ein Schatten an der Wand zu ſeyn ſchei-“
ne/ und auch aller Streit wegen dem Rang und“
Oberſtelle; eben ſo kindiſch vorkomme/ als wann“
die Knaben auf den Stecken reiten und die Maͤd-“
gen mit Puppen ſpielen/ und dieſelben bald an-“
bald wieder ausziehen.
Wann ich ihr etwa auch le“
beau monde,
oder die manierliche Mode-Welt vorſtellen“
will, um ſie von ihren melancholiſchen Gedancken abzu-“
bringen, ſo wendet ſie alſobald ein: Sie habe noch nie“
in der Bibel geleſen daß die Welt ſchoͤn ſeye/ wohl“
aber/ daß ſie im Argen liege; woferne nun die“
Franzoſen und die ihnen nachaͤfferen/ einen beſon-“
dern Himmel fuͤr ihren
beau Monde haͤtten; ſo ver-“
lange ſie nicht hinein, nachdem ſie denjenigen Him-“
mel erwehlet habe/ zu welchem man durch die en-“
ge Pforte und nicht durch hohe Thuͤrm eingehe ꝛc.

Solche Worte muß ich von meiner ungerathenen Tochter“
taͤglich hoͤren; daher ich alle Gelegenheit ausweiche, mich“
mit ihr, weiters einzulaſſen. Ohnlaͤngſt ſchenckte ich ihr“

einen“
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[95/0113] der Verfuͤhrung der Jugend. Wann die Viſite (der Geſellſchaffts-Beſuch) nach hieſigem“ Gebrauch in meinem Haufe ſeyn ſolle; ſo gewahret man“ ſchon den Tag vorher an ihr nichts als Aechzen und Seuf-“ zen: Kommt dann die Geſellſchafft wuͤrcklich bey mir zu-“ ſammen; ſo huͤtet ſie ſich wohl einigen Zeit-Vertreib mit-“ zumachen; ſuchet vielmehr Gelegenheit, wie ſie dieſe und“ jene Perſon unter den Gaͤſten etwan an ein Fenſter oder“ ſonſt an ein Ort beſonders nehmen, und von der Buſſe,“ Wiedergeburt, Rechtfertigung, Heiligung, Glauben und“ dergleichen ernſthafften Dingen mit ihnen reden moͤge.“ Jn einem gantzen Jahr habe ich ſie nicht ein eintzig mahl“ lachen geſehen, und wann ſich andere ihres gleichen mit“ allerhand Schertzen ergoͤtzen: ſo bezeuget ſie ſich eben als“ ob ſie von Holtz und Steinen zuſammen geſetzet waͤre:“ Sie verſchlieſſet ſich des Tages etliche mahl in ihr Zimmer,“ und kommt insgemein mit naſſen Augen wieder heraus:“ Erinnere ich ſie etwa an ihren Freyherrlichen Stand, mit“ der Vorſtellung, daß ſich dieſe ihre Auffuͤhrung fuͤr ein“ Adeliches Frauenzimmer nur gar nicht ſchicke; ſo giebet“ ſie mit unerſchrockenem Muth zur Antwort, wie ſie von“ keinem andern als dem Adel der Kinder GOttes“ wiſſe/ gegen welchen ihr alle andere Adeliche Her-“ kunfft als ein Schatten an der Wand zu ſeyn ſchei-“ ne/ und auch aller Streit wegen dem Rang und“ Oberſtelle; eben ſo kindiſch vorkomme/ als wann“ die Knaben auf den Stecken reiten und die Maͤd-“ gen mit Puppen ſpielen/ und dieſelben bald an-“ bald wieder ausziehen. Wann ich ihr etwa auch le“ beau monde, oder die manierliche Mode-Welt vorſtellen“ will, um ſie von ihren melancholiſchen Gedancken abzu-“ bringen, ſo wendet ſie alſobald ein: Sie habe noch nie“ in der Bibel geleſen daß die Welt ſchoͤn ſeye/ wohl“ aber/ daß ſie im Argen liege; woferne nun die“ Franzoſen und die ihnen nachaͤfferen/ einen beſon-“ dern Himmel fuͤr ihren beau Monde haͤtten; ſo ver-“ lange ſie nicht hinein, nachdem ſie denjenigen Him-“ mel erwehlet habe/ zu welchem man durch die en-“ ge Pforte und nicht durch hohe Thuͤrm eingehe ꝛc.“ Solche Worte muß ich von meiner ungerathenen Tochter“ taͤglich hoͤren; daher ich alle Gelegenheit ausweiche, mich“ mit ihr, weiters einzulaſſen. Ohnlaͤngſt ſchenckte ich ihr“ einen“

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/113>, abgerufen am 27.11.2024.