Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 2. Die zweyte Quelle
"einen sauber eingebundenen Roman/ in Hoffnung, daß
"sie sich daraus erbauen und lernen werde, wie sie in der
"Welt leben solle: So bald sie aber nur den Titul er-
"blickte, gab sie mir dieses schöne Buch wieder, mit Bitte,
"daß ich es doch je eher je lieber verbrennen und also ver-
"hüten möchte, daß niemand mehr dadurch geärgert wer-
"de. Mit denen Bettlern kan sie offt gantze Stunden re-
"den, und wird durch den Umgang mit diesen und andern
"gemeinen Leuten nicht nur immer unartiger, sondern ma-
"chet mir auch noch die Sorge, daß sie zu meines vorneh-
"men Geschlechts ewiger Schande ihren Stand endlich völ-
"lig verläugnen werde. Wäre ich dann, wofern dieses
"Unglück geschehen sollte, nicht weit glückseliger gewesen,
"wann meine ungehorsame Tochter als ein Wickel-Kind in
"der Wiegen gestorben wäre? Was ich noch am allermei-
"sten besorge, ist dieses: Daß sie meine übrigen Kinder
"auch nach und nach anstecken und verführen möchte. Ver-
"giebe mir, allerliebste Schwester, daß ich so weitläufftig
"bin, dir meine Noth und unerträgliches Haus-Creutz zu
"klagen, nicht zweiffelnde, du werdest ein hertzliches Mitlei-
"den mit mir in meinen betrübten Umständen haben, und
"übrigens glauben, daß ich aufrichtig verharre.

Deine
ergebenste Dienerin.
§. 11.

Also höhnisch und verächtlich urtheilet und
redet man von dem seligsten Gnaden-Werck GOt-
tes in der theuren Seelen eines Kinds. Es ist al-
so noch immer das alte Trauer-Spiel: JESUS
wurde verachtet, verjaget, vor einen Verführer,
ja von seinen nächsten Verwandten für unsinnig
gehalten Marc. 3, 21. Anjetzo ist er auch im
Himmel vor seinen Christen nicht sicher; Er sitzet

ihnen

Cap. 2. Die zweyte Quelle
“einen ſauber eingebundenen Roman/ in Hoffnung, daß
“ſie ſich daraus erbauen und lernen werde, wie ſie in der
“Welt leben ſolle: So bald ſie aber nur den Titul er-
“blickte, gab ſie mir dieſes ſchoͤne Buch wieder, mit Bitte,
“daß ich es doch je eher je lieber verbrennen und alſo ver-
“huͤten moͤchte, daß niemand mehr dadurch geaͤrgert wer-
“de. Mit denen Bettlern kan ſie offt gantze Stunden re-
“den, und wird durch den Umgang mit dieſen und andern
“gemeinen Leuten nicht nur immer unartiger, ſondern ma-
“chet mir auch noch die Sorge, daß ſie zu meines vorneh-
“men Geſchlechts ewiger Schande ihren Stand endlich voͤl-
“lig verlaͤugnen werde. Waͤre ich dann, wofern dieſes
“Ungluͤck geſchehen ſollte, nicht weit gluͤckſeliger geweſen,
“wann meine ungehorſame Tochter als ein Wickel-Kind in
“der Wiegen geſtorben waͤre? Was ich noch am allermei-
“ſten beſorge, iſt dieſes: Daß ſie meine uͤbrigen Kinder
“auch nach und nach anſtecken und verfuͤhren moͤchte. Ver-
“giebe mir, allerliebſte Schweſter, daß ich ſo weitlaͤufftig
“bin, dir meine Noth und unertraͤgliches Haus-Creutz zu
“klagen, nicht zweiffelnde, du werdeſt ein hertzliches Mitlei-
“den mit mir in meinen betruͤbten Umſtaͤnden haben, und
“uͤbrigens glauben, daß ich aufrichtig verharre.

Deine
ergebenſte Dienerin.
§. 11.

Alſo hoͤhniſch und veraͤchtlich urtheilet und
redet man von dem ſeligſten Gnaden-Werck GOt-
tes in der theuren Seelen eines Kinds. Es iſt al-
ſo noch immer das alte Trauer-Spiel: JESUS
wurde verachtet, verjaget, vor einen Verfuͤhrer,
ja von ſeinen naͤchſten Verwandten fuͤr unſinnig
gehalten Marc. 3, 21. Anjetzo iſt er auch im
Himmel vor ſeinen Chriſten nicht ſicher; Er ſitzet

ihnen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <floatingText>
              <body>
                <div type="letter">
                  <p><pb facs="#f0114" n="96"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 2. Die zweyte Quelle</hi></fw><lb/>
&#x201C;einen &#x017F;auber eingebundenen <hi rendition="#fr">Roman/</hi> in Hoffnung, daß<lb/>
&#x201C;&#x017F;ie &#x017F;ich daraus erbauen und lernen werde, wie &#x017F;ie in der<lb/>
&#x201C;Welt leben &#x017F;olle: So bald &#x017F;ie aber nur den Titul er-<lb/>
&#x201C;blickte, gab &#x017F;ie mir die&#x017F;es &#x017F;cho&#x0364;ne Buch wieder, mit Bitte,<lb/>
&#x201C;daß ich es doch je eher je lieber verbrennen und al&#x017F;o ver-<lb/>
&#x201C;hu&#x0364;ten mo&#x0364;chte, daß niemand mehr dadurch gea&#x0364;rgert wer-<lb/>
&#x201C;de. Mit denen Bettlern kan &#x017F;ie offt gantze Stunden re-<lb/>
&#x201C;den, und wird durch den Umgang mit die&#x017F;en und andern<lb/>
&#x201C;gemeinen Leuten nicht nur immer unartiger, &#x017F;ondern ma-<lb/>
&#x201C;chet mir auch noch die Sorge, daß &#x017F;ie zu meines vorneh-<lb/>
&#x201C;men Ge&#x017F;chlechts ewiger Schande ihren Stand endlich vo&#x0364;l-<lb/>
&#x201C;lig verla&#x0364;ugnen werde. Wa&#x0364;re ich dann, wofern die&#x017F;es<lb/>
&#x201C;Unglu&#x0364;ck ge&#x017F;chehen &#x017F;ollte, nicht weit glu&#x0364;ck&#x017F;eliger gewe&#x017F;en,<lb/>
&#x201C;wann meine ungehor&#x017F;ame Tochter als ein Wickel-Kind in<lb/>
&#x201C;der Wiegen ge&#x017F;torben wa&#x0364;re? Was ich noch am allermei-<lb/>
&#x201C;&#x017F;ten be&#x017F;orge, i&#x017F;t die&#x017F;es: Daß &#x017F;ie meine u&#x0364;brigen Kinder<lb/>
&#x201C;auch nach und nach an&#x017F;tecken und verfu&#x0364;hren mo&#x0364;chte. Ver-<lb/>
&#x201C;giebe mir, allerlieb&#x017F;te Schwe&#x017F;ter, daß ich &#x017F;o weitla&#x0364;ufftig<lb/>
&#x201C;bin, dir meine Noth und unertra&#x0364;gliches Haus-Creutz zu<lb/>
&#x201C;klagen, nicht zweiffelnde, du werde&#x017F;t ein hertzliches Mitlei-<lb/>
&#x201C;den mit mir in meinen betru&#x0364;bten Um&#x017F;ta&#x0364;nden haben, und<lb/>
&#x201C;u&#x0364;brigens glauben, daß ich aufrichtig verharre.</p><lb/>
                  <closer>
                    <salute> <hi rendition="#et">Deine<lb/>
ergeben&#x017F;te Dienerin.</hi> </salute>
                  </closer>
                </div>
              </body>
            </floatingText>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 11.</head><lb/>
            <p>Al&#x017F;o ho&#x0364;hni&#x017F;ch und vera&#x0364;chtlich urtheilet und<lb/>
redet man von dem &#x017F;elig&#x017F;ten Gnaden-Werck GOt-<lb/>
tes in der theuren Seelen eines Kinds. Es i&#x017F;t al-<lb/>
&#x017F;o noch immer das alte Trauer-Spiel: JESUS<lb/>
wurde verachtet, verjaget, vor einen Verfu&#x0364;hrer,<lb/>
ja von &#x017F;einen na&#x0364;ch&#x017F;ten Verwandten fu&#x0364;r un&#x017F;innig<lb/>
gehalten Marc. 3, 21. Anjetzo i&#x017F;t er auch im<lb/>
Himmel vor &#x017F;einen Chri&#x017F;ten nicht &#x017F;icher; Er &#x017F;itzet<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihnen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0114] Cap. 2. Die zweyte Quelle “einen ſauber eingebundenen Roman/ in Hoffnung, daß “ſie ſich daraus erbauen und lernen werde, wie ſie in der “Welt leben ſolle: So bald ſie aber nur den Titul er- “blickte, gab ſie mir dieſes ſchoͤne Buch wieder, mit Bitte, “daß ich es doch je eher je lieber verbrennen und alſo ver- “huͤten moͤchte, daß niemand mehr dadurch geaͤrgert wer- “de. Mit denen Bettlern kan ſie offt gantze Stunden re- “den, und wird durch den Umgang mit dieſen und andern “gemeinen Leuten nicht nur immer unartiger, ſondern ma- “chet mir auch noch die Sorge, daß ſie zu meines vorneh- “men Geſchlechts ewiger Schande ihren Stand endlich voͤl- “lig verlaͤugnen werde. Waͤre ich dann, wofern dieſes “Ungluͤck geſchehen ſollte, nicht weit gluͤckſeliger geweſen, “wann meine ungehorſame Tochter als ein Wickel-Kind in “der Wiegen geſtorben waͤre? Was ich noch am allermei- “ſten beſorge, iſt dieſes: Daß ſie meine uͤbrigen Kinder “auch nach und nach anſtecken und verfuͤhren moͤchte. Ver- “giebe mir, allerliebſte Schweſter, daß ich ſo weitlaͤufftig “bin, dir meine Noth und unertraͤgliches Haus-Creutz zu “klagen, nicht zweiffelnde, du werdeſt ein hertzliches Mitlei- “den mit mir in meinen betruͤbten Umſtaͤnden haben, und “uͤbrigens glauben, daß ich aufrichtig verharre. Deine ergebenſte Dienerin. §. 11. Alſo hoͤhniſch und veraͤchtlich urtheilet und redet man von dem ſeligſten Gnaden-Werck GOt- tes in der theuren Seelen eines Kinds. Es iſt al- ſo noch immer das alte Trauer-Spiel: JESUS wurde verachtet, verjaget, vor einen Verfuͤhrer, ja von ſeinen naͤchſten Verwandten fuͤr unſinnig gehalten Marc. 3, 21. Anjetzo iſt er auch im Himmel vor ſeinen Chriſten nicht ſicher; Er ſitzet ihnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/114
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/114>, abgerufen am 23.11.2024.