Ludwig, Otto: Der Erbförster. Band 1: Dramatische Werke. Leipzig, 1853.Der Erbförster. Förster. Hörst Du, Andres, was der Mann da sagt? Er will Euch Geld geben. Dafür kauft Euch eine Leierorgel. Damit zieht auf den Märkten umher und singt von dem alten Mordkerl, der sein Kind erschoß. Um nichts, um gar nichts, auf der Welt um nichts. Ihr braucht kein Bild. Nehmt die alte Frau da mit; so malt Euch kein Maler die Geschichte, wie sie auf ihrem Gesicht geschrie- ben steht. Streicht mir das Kind heraus. Beschreibt sie schöner als sie war -- wenn Ihr das könnt, wie Ihr Euch den schönsten Engel denkt, und dann sagt: Sie war doch noch tausendmal schöner. Und den alten Mord- kerl stellt mir hin, daß über das Kind ein Wasserfall kommt von Thränen und auf den Alten jeder Gassen- junge die Fäuste ballt. Das wär' ein Herz, wie's der alte Mordkerl hatte, der's erschoß, das die Geschichte hörte und Euch nicht mit klappernden Zähnen den letzten Pfennig gäb' und hätt's zehn verhungernde Kinder zu Haus, und nicht zu Gott betete für das Kind und dem alten Mordkerl fluchte, der's erschoß. Sagt nicht: der Mann war redlich sein Leben lang und hat sich gehütet vor dem Bösen und hat einen Gott geglaubt und hat kein Stäubchen gelitten an seiner Ehre, sonst glauben sie's Euch nicht. Sagt, er sah aus wie ein Wolf, sagt nicht, sein Bart war weiß, wie er's that, sonst gibt Euch Niemand was. Das glaubt Euch Niemand, daß einer so alt sein kann und doch so ein Bösewicht. Und unten hin Der Erbförſter. Förſter. Hörſt Du, Andres, was der Mann da ſagt? Er will Euch Geld geben. Dafür kauft Euch eine Leierorgel. Damit zieht auf den Märkten umher und ſingt von dem alten Mordkerl, der ſein Kind erſchoß. Um nichts, um gar nichts, auf der Welt um nichts. Ihr braucht kein Bild. Nehmt die alte Frau da mit; ſo malt Euch kein Maler die Geſchichte, wie ſie auf ihrem Geſicht geſchrie- ben ſteht. Streicht mir das Kind heraus. Beſchreibt ſie ſchöner als ſie war — wenn Ihr das könnt, wie Ihr Euch den ſchönſten Engel denkt, und dann ſagt: Sie war doch noch tauſendmal ſchöner. Und den alten Mord- kerl ſtellt mir hin, daß über das Kind ein Waſſerfall kommt von Thränen und auf den Alten jeder Gaſſen- junge die Fäuſte ballt. Das wär’ ein Herz, wie’s der alte Mordkerl hatte, der’s erſchoß, das die Geſchichte hörte und Euch nicht mit klappernden Zähnen den letzten Pfennig gäb’ und hätt’s zehn verhungernde Kinder zu Haus, und nicht zu Gott betete für das Kind und dem alten Mordkerl fluchte, der’s erſchoß. Sagt nicht: der Mann war redlich ſein Leben lang und hat ſich gehütet vor dem Böſen und hat einen Gott geglaubt und hat kein Stäubchen gelitten an ſeiner Ehre, ſonſt glauben ſie’s Euch nicht. Sagt, er ſah aus wie ein Wolf, ſagt nicht, ſein Bart war weiß, wie er’s that, ſonſt gibt Euch Niemand was. Das glaubt Euch Niemand, daß einer ſo alt ſein kann und doch ſo ein Böſewicht. Und unten hin <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0188" n="174"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Erbförſter</hi>.</fw><lb/> <sp who="#CHR"> <speaker> <hi rendition="#b">Förſter.</hi> </speaker><lb/> <p>Hörſt Du, Andres, was der Mann da ſagt? Er will<lb/> Euch Geld geben. Dafür kauft Euch eine Leierorgel.<lb/> Damit zieht auf den Märkten umher und ſingt von dem<lb/> alten Mordkerl, der ſein Kind erſchoß. Um nichts, um<lb/> gar nichts, auf der Welt um nichts. Ihr braucht kein<lb/> Bild. Nehmt die alte Frau da mit; ſo malt Euch kein<lb/> Maler die Geſchichte, wie ſie auf ihrem Geſicht geſchrie-<lb/> ben ſteht. Streicht mir das Kind heraus. Beſchreibt ſie<lb/> ſchöner als ſie war — wenn Ihr das könnt, wie Ihr<lb/> Euch den ſchönſten Engel denkt, und dann ſagt: Sie<lb/> war doch noch tauſendmal ſchöner. Und den alten Mord-<lb/> kerl ſtellt mir hin, daß über das Kind ein Waſſerfall<lb/> kommt von Thränen und auf den Alten jeder Gaſſen-<lb/> junge die Fäuſte ballt. Das wär’ ein Herz, wie’s der<lb/> alte Mordkerl hatte, der’s erſchoß, das die Geſchichte<lb/> hörte und Euch nicht mit klappernden Zähnen den letzten<lb/> Pfennig gäb’ und hätt’s zehn verhungernde Kinder zu<lb/> Haus, und nicht zu Gott betete für das Kind und dem<lb/> alten Mordkerl fluchte, der’s erſchoß. Sagt nicht: der<lb/> Mann war redlich ſein Leben lang und hat ſich gehütet<lb/> vor dem Böſen und hat einen Gott geglaubt und hat<lb/> kein Stäubchen gelitten an ſeiner Ehre, ſonſt glauben<lb/> ſie’s Euch nicht. Sagt, er ſah aus wie ein Wolf, ſagt<lb/> nicht, ſein Bart war weiß, wie er’s that, ſonſt gibt Euch<lb/> Niemand was. Das glaubt Euch Niemand, daß einer ſo<lb/> alt ſein kann und doch ſo ein Böſewicht. Und unten hin<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [174/0188]
Der Erbförſter.
Förſter.
Hörſt Du, Andres, was der Mann da ſagt? Er will
Euch Geld geben. Dafür kauft Euch eine Leierorgel.
Damit zieht auf den Märkten umher und ſingt von dem
alten Mordkerl, der ſein Kind erſchoß. Um nichts, um
gar nichts, auf der Welt um nichts. Ihr braucht kein
Bild. Nehmt die alte Frau da mit; ſo malt Euch kein
Maler die Geſchichte, wie ſie auf ihrem Geſicht geſchrie-
ben ſteht. Streicht mir das Kind heraus. Beſchreibt ſie
ſchöner als ſie war — wenn Ihr das könnt, wie Ihr
Euch den ſchönſten Engel denkt, und dann ſagt: Sie
war doch noch tauſendmal ſchöner. Und den alten Mord-
kerl ſtellt mir hin, daß über das Kind ein Waſſerfall
kommt von Thränen und auf den Alten jeder Gaſſen-
junge die Fäuſte ballt. Das wär’ ein Herz, wie’s der
alte Mordkerl hatte, der’s erſchoß, das die Geſchichte
hörte und Euch nicht mit klappernden Zähnen den letzten
Pfennig gäb’ und hätt’s zehn verhungernde Kinder zu
Haus, und nicht zu Gott betete für das Kind und dem
alten Mordkerl fluchte, der’s erſchoß. Sagt nicht: der
Mann war redlich ſein Leben lang und hat ſich gehütet
vor dem Böſen und hat einen Gott geglaubt und hat
kein Stäubchen gelitten an ſeiner Ehre, ſonſt glauben
ſie’s Euch nicht. Sagt, er ſah aus wie ein Wolf, ſagt
nicht, ſein Bart war weiß, wie er’s that, ſonſt gibt Euch
Niemand was. Das glaubt Euch Niemand, daß einer ſo
alt ſein kann und doch ſo ein Böſewicht. Und unten hin
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