Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Der Erbförster. Band 1: Dramatische Werke. Leipzig, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Erbförster.
die ganze Nacht; die Marie war schon damals mein
ganzes Leben. Den andern Morgen biet' ich das ganze
Dorf auf. Da fehlt Keiner. Sie waren Alle vernarrt
in die Marie. Ich will doch wenigstens die Leiche be-
graben. Im heimlichen Grund, weißt Du? das Tannen-
dickicht -- unter den Klippen am Lautensteg, wo der alte
Felsweg drüben hingeht über'm Bach -- daneben die
Weiden. Dasmal kriech' ich das ganze Dickicht aus. In
der Mitte ist der kleine Wiesenraum; da seh' ich endlich
was Rothes und Weißes. Gott und Herr! und sie ist's
-- und nicht etwa todt oder krank, nein, frisch und
lebendig im grünen Gras drinn und hat sich rothe Bäck-
chen geschlafen wie die Feuerblumen. Robert! -- Aber

(Er sieht sich um; leiser) Sie wird's doch nicht etwa hören?
(Er rückt näher an Robert; wenn er sich einmal vergißt, spricht er dann
desto leiser).
Ich sage: bist Du's denn? Freilich, sagt sie
und wischt sich die Augen, daß sie funkeln. Und lebst?
sag' ich, und bist nicht gestorben? sag' ich, vor Hunger
und vor Angst? sag' ich. Einen halben Tag und eine
ganze Nacht im Wald allein, im dicksten Wald? Komm',
sag' ich, daß die Mutter sich unterdeß nicht todt ängstigt,
sag' ich. Sagt sie: Wart' noch, Vater. Aber warum
und worauf? Bis das Kind wieder kommt, sagt sie.
Und nimm's auch mit; bitte Vater; das ist Dir ein
liebes Kind. Aber was denn um alle Welt für eins?
frag' ich. Das zu mir gekommen ist, sagt sie, wie ich
vorhin von Euch fortgelaufen war um den gelben Schmet-
Der Erbförſter.
die ganze Nacht; die Marie war ſchon damals mein
ganzes Leben. Den andern Morgen biet’ ich das ganze
Dorf auf. Da fehlt Keiner. Sie waren Alle vernarrt
in die Marie. Ich will doch wenigſtens die Leiche be-
graben. Im heimlichen Grund, weißt Du? das Tannen-
dickicht — unter den Klippen am Lautenſteg, wo der alte
Felsweg drüben hingeht über’m Bach — daneben die
Weiden. Dasmal kriech’ ich das ganze Dickicht aus. In
der Mitte iſt der kleine Wieſenraum; da ſeh’ ich endlich
was Rothes und Weißes. Gott und Herr! und ſie iſt’s
— und nicht etwa todt oder krank, nein, friſch und
lebendig im grünen Gras drinn und hat ſich rothe Bäck-
chen geſchlafen wie die Feuerblumen. Robert! — Aber

(Er ſieht ſich um; leiſer) Sie wird’s doch nicht etwa hören?
(Er rückt näher an Robert; wenn er ſich einmal vergißt, ſpricht er dann
deſto leiſer).
Ich ſage: biſt Du’s denn? Freilich, ſagt ſie
und wiſcht ſich die Augen, daß ſie funkeln. Und lebſt?
ſag’ ich, und biſt nicht geſtorben? ſag’ ich, vor Hunger
und vor Angſt? ſag’ ich. Einen halben Tag und eine
ganze Nacht im Wald allein, im dickſten Wald? Komm’,
ſag’ ich, daß die Mutter ſich unterdeß nicht todt ängſtigt,
ſag’ ich. Sagt ſie: Wart’ noch, Vater. Aber warum
und worauf? Bis das Kind wieder kommt, ſagt ſie.
Und nimm’s auch mit; bitte Vater; das iſt Dir ein
liebes Kind. Aber was denn um alle Welt für eins?
frag’ ich. Das zu mir gekommen iſt, ſagt ſie, wie ich
vorhin von Euch fortgelaufen war um den gelben Schmet-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#CHR">
            <p><pb facs="#f0037" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Erbför&#x017F;ter</hi>.</fw><lb/>
die ganze Nacht; die Marie war &#x017F;chon damals mein<lb/>
ganzes Leben. Den andern Morgen biet&#x2019; ich das ganze<lb/>
Dorf auf. Da fehlt Keiner. Sie waren Alle vernarrt<lb/>
in die Marie. Ich will doch wenig&#x017F;tens die Leiche be-<lb/>
graben. Im heimlichen Grund, weißt Du? das Tannen-<lb/>
dickicht &#x2014; unter den Klippen am Lauten&#x017F;teg, wo der alte<lb/>
Felsweg drüben hingeht über&#x2019;m Bach &#x2014; daneben die<lb/>
Weiden. Dasmal kriech&#x2019; ich das ganze Dickicht aus. In<lb/>
der Mitte i&#x017F;t der kleine Wie&#x017F;enraum; da &#x017F;eh&#x2019; ich endlich<lb/>
was Rothes und Weißes. Gott und Herr! und &#x017F;ie i&#x017F;t&#x2019;s<lb/>
&#x2014; und nicht etwa todt oder krank, nein, fri&#x017F;ch und<lb/>
lebendig im grünen Gras drinn und hat &#x017F;ich rothe Bäck-<lb/>
chen ge&#x017F;chlafen wie die Feuerblumen. Robert! &#x2014; Aber</p><lb/>
            <stage>(Er &#x017F;ieht &#x017F;ich um; lei&#x017F;er)</stage>
            <p>Sie wird&#x2019;s doch nicht etwa hören?</p><lb/>
            <stage>(Er rückt näher an Robert; wenn er &#x017F;ich einmal vergißt, &#x017F;pricht er dann<lb/>
de&#x017F;to lei&#x017F;er).</stage>
            <p>Ich &#x017F;age: bi&#x017F;t Du&#x2019;s denn? Freilich, &#x017F;agt &#x017F;ie<lb/>
und wi&#x017F;cht &#x017F;ich die Augen, daß &#x017F;ie funkeln. Und leb&#x017F;t?<lb/>
&#x017F;ag&#x2019; ich, und bi&#x017F;t nicht ge&#x017F;torben? &#x017F;ag&#x2019; ich, vor Hunger<lb/>
und vor Ang&#x017F;t? &#x017F;ag&#x2019; ich. Einen halben Tag und eine<lb/>
ganze Nacht im Wald allein, im dick&#x017F;ten Wald? Komm&#x2019;,<lb/>
&#x017F;ag&#x2019; ich, daß die Mutter &#x017F;ich unterdeß nicht todt äng&#x017F;tigt,<lb/>
&#x017F;ag&#x2019; ich. Sagt &#x017F;ie: Wart&#x2019; noch, Vater. Aber warum<lb/>
und worauf? Bis das Kind wieder kommt, &#x017F;agt &#x017F;ie.<lb/>
Und nimm&#x2019;s auch mit; bitte Vater; das i&#x017F;t Dir ein<lb/>
liebes Kind. Aber was denn um alle Welt für eins?<lb/>
frag&#x2019; ich. Das zu mir gekommen i&#x017F;t, &#x017F;agt &#x017F;ie, wie ich<lb/>
vorhin von Euch fortgelaufen war um den gelben Schmet-<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0037] Der Erbförſter. die ganze Nacht; die Marie war ſchon damals mein ganzes Leben. Den andern Morgen biet’ ich das ganze Dorf auf. Da fehlt Keiner. Sie waren Alle vernarrt in die Marie. Ich will doch wenigſtens die Leiche be- graben. Im heimlichen Grund, weißt Du? das Tannen- dickicht — unter den Klippen am Lautenſteg, wo der alte Felsweg drüben hingeht über’m Bach — daneben die Weiden. Dasmal kriech’ ich das ganze Dickicht aus. In der Mitte iſt der kleine Wieſenraum; da ſeh’ ich endlich was Rothes und Weißes. Gott und Herr! und ſie iſt’s — und nicht etwa todt oder krank, nein, friſch und lebendig im grünen Gras drinn und hat ſich rothe Bäck- chen geſchlafen wie die Feuerblumen. Robert! — Aber (Er ſieht ſich um; leiſer) Sie wird’s doch nicht etwa hören? (Er rückt näher an Robert; wenn er ſich einmal vergißt, ſpricht er dann deſto leiſer). Ich ſage: biſt Du’s denn? Freilich, ſagt ſie und wiſcht ſich die Augen, daß ſie funkeln. Und lebſt? ſag’ ich, und biſt nicht geſtorben? ſag’ ich, vor Hunger und vor Angſt? ſag’ ich. Einen halben Tag und eine ganze Nacht im Wald allein, im dickſten Wald? Komm’, ſag’ ich, daß die Mutter ſich unterdeß nicht todt ängſtigt, ſag’ ich. Sagt ſie: Wart’ noch, Vater. Aber warum und worauf? Bis das Kind wieder kommt, ſagt ſie. Und nimm’s auch mit; bitte Vater; das iſt Dir ein liebes Kind. Aber was denn um alle Welt für eins? frag’ ich. Das zu mir gekommen iſt, ſagt ſie, wie ich vorhin von Euch fortgelaufen war um den gelben Schmet-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_erbfoerster_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_erbfoerster_1853/37
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Der Erbförster. Band 1: Dramatische Werke. Leipzig, 1853, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_erbfoerster_1853/37>, abgerufen am 03.12.2024.