Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die himmlische Barmherzigkeit allda über zwei verirrte Seelen hatte ergehen lassen. Johannes drückte sein Weib mit einem unsäglich dankbaren Blicke zum Himmel an seine Brust; er trug sie triumphirend noch einige Schritte fort und hätte sie am liebsten durch den ganzen Wald, durch das ganze Leben so getragen. Jetzt war sie ja erst richtig sein, die Rose-Marie und die Bäuerin vom Weidenhof dazu. So übermüthig und doch dabei so fromm war er selbst in seinen Bräutigamstagen nicht gewesen. Er lachte ihres ohnmächtigen Widerstandes, indem er sie nur um so fester hielt, und zu gleicher Zeit standen ihm bei ihren sanften Bemühungen, sich von ihm loszumachen, die Thränen in den Augen. Laß mich -- bat sie -- ich kann es jetzt allein erwachen -- das mit dem Gehen -- meinte sie erröthend, und mehr von ihrem Tone, als von ihren Worten bezwungen, ließ er sie augenblicklich zur Erde niedergleiten. Ich dachte -- sagte er -- du wärest mein Kind -- nun bin ich deines -- sieh! so kannst du mit mir machen, was du willst. Aber du blutest -- rief sie tödtlich erschrocken aus und wies mit der Hand nach seinem rechten Fuße, an dem der Stiefelschaft der Länge nach aufgeschnitten erschien, während durch den Schnitt einzelne rothe Tropfen quollen. Wieder mußte sich Johannes erst besinnen. Freilich -- sagte er -- das ist es ja gewesen, was mich in die Hütte trieb, kurz vor dir. Ich habe mir den Fuß untersuchen und verbinden wollen, ehe ich weiter ging, und war gerade bei dem Geschäfte, als du kamst. Kaum, daß ich die himmlische Barmherzigkeit allda über zwei verirrte Seelen hatte ergehen lassen. Johannes drückte sein Weib mit einem unsäglich dankbaren Blicke zum Himmel an seine Brust; er trug sie triumphirend noch einige Schritte fort und hätte sie am liebsten durch den ganzen Wald, durch das ganze Leben so getragen. Jetzt war sie ja erst richtig sein, die Rose-Marie und die Bäuerin vom Weidenhof dazu. So übermüthig und doch dabei so fromm war er selbst in seinen Bräutigamstagen nicht gewesen. Er lachte ihres ohnmächtigen Widerstandes, indem er sie nur um so fester hielt, und zu gleicher Zeit standen ihm bei ihren sanften Bemühungen, sich von ihm loszumachen, die Thränen in den Augen. Laß mich — bat sie — ich kann es jetzt allein erwachen — das mit dem Gehen — meinte sie erröthend, und mehr von ihrem Tone, als von ihren Worten bezwungen, ließ er sie augenblicklich zur Erde niedergleiten. Ich dachte — sagte er — du wärest mein Kind — nun bin ich deines — sieh! so kannst du mit mir machen, was du willst. Aber du blutest — rief sie tödtlich erschrocken aus und wies mit der Hand nach seinem rechten Fuße, an dem der Stiefelschaft der Länge nach aufgeschnitten erschien, während durch den Schnitt einzelne rothe Tropfen quollen. Wieder mußte sich Johannes erst besinnen. Freilich — sagte er — das ist es ja gewesen, was mich in die Hütte trieb, kurz vor dir. Ich habe mir den Fuß untersuchen und verbinden wollen, ehe ich weiter ging, und war gerade bei dem Geschäfte, als du kamst. Kaum, daß ich <TEI> <text> <body> <div n="0"> <p><pb facs="#f0052"/> die himmlische Barmherzigkeit allda über zwei verirrte Seelen hatte ergehen lassen.</p><lb/> <p>Johannes drückte sein Weib mit einem unsäglich dankbaren Blicke zum Himmel an seine Brust; er trug sie triumphirend noch einige Schritte fort und hätte sie am liebsten durch den ganzen Wald, durch das ganze Leben so getragen. Jetzt war sie ja erst richtig sein, die Rose-Marie und die Bäuerin vom Weidenhof dazu. So übermüthig und doch dabei so fromm war er selbst in seinen Bräutigamstagen nicht gewesen. Er lachte ihres ohnmächtigen Widerstandes, indem er sie nur um so fester hielt, und zu gleicher Zeit standen ihm bei ihren sanften Bemühungen, sich von ihm loszumachen, die Thränen in den Augen.</p><lb/> <p>Laß mich — bat sie — ich kann es jetzt allein erwachen — das mit dem Gehen — meinte sie erröthend, und mehr von ihrem Tone, als von ihren Worten bezwungen, ließ er sie augenblicklich zur Erde niedergleiten. Ich dachte — sagte er — du wärest mein Kind — nun bin ich deines — sieh! so kannst du mit mir machen, was du willst.</p><lb/> <p>Aber du blutest — rief sie tödtlich erschrocken aus und wies mit der Hand nach seinem rechten Fuße, an dem der Stiefelschaft der Länge nach aufgeschnitten erschien, während durch den Schnitt einzelne rothe Tropfen quollen. Wieder mußte sich Johannes erst besinnen. Freilich — sagte er — das ist es ja gewesen, was mich in die Hütte trieb, kurz vor dir. Ich habe mir den Fuß untersuchen und verbinden wollen, ehe ich weiter ging, und war gerade bei dem Geschäfte, als du kamst. Kaum, daß ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
die himmlische Barmherzigkeit allda über zwei verirrte Seelen hatte ergehen lassen.
Johannes drückte sein Weib mit einem unsäglich dankbaren Blicke zum Himmel an seine Brust; er trug sie triumphirend noch einige Schritte fort und hätte sie am liebsten durch den ganzen Wald, durch das ganze Leben so getragen. Jetzt war sie ja erst richtig sein, die Rose-Marie und die Bäuerin vom Weidenhof dazu. So übermüthig und doch dabei so fromm war er selbst in seinen Bräutigamstagen nicht gewesen. Er lachte ihres ohnmächtigen Widerstandes, indem er sie nur um so fester hielt, und zu gleicher Zeit standen ihm bei ihren sanften Bemühungen, sich von ihm loszumachen, die Thränen in den Augen.
Laß mich — bat sie — ich kann es jetzt allein erwachen — das mit dem Gehen — meinte sie erröthend, und mehr von ihrem Tone, als von ihren Worten bezwungen, ließ er sie augenblicklich zur Erde niedergleiten. Ich dachte — sagte er — du wärest mein Kind — nun bin ich deines — sieh! so kannst du mit mir machen, was du willst.
Aber du blutest — rief sie tödtlich erschrocken aus und wies mit der Hand nach seinem rechten Fuße, an dem der Stiefelschaft der Länge nach aufgeschnitten erschien, während durch den Schnitt einzelne rothe Tropfen quollen. Wieder mußte sich Johannes erst besinnen. Freilich — sagte er — das ist es ja gewesen, was mich in die Hütte trieb, kurz vor dir. Ich habe mir den Fuß untersuchen und verbinden wollen, ehe ich weiter ging, und war gerade bei dem Geschäfte, als du kamst. Kaum, daß ich
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Zitationshilfe: | Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/52>, abgerufen am 27.07.2024. |