heit und Wahrheit in ihr lag, war gegen ihren Gatten empört. Nicht die Leute hatten ihn belogen; er war selber falsch. Er hatte sie belogen und Apollonius belogen und sie hatte irrend Apollonius gekränkt. Apollonius, der so brav war, daß er nicht über die Anne spotten hören konnte, hatte auch ihrer nie gespottet. Alles war Lüge gewesen von Anfang an. Ihr Gatte verfolgte Apollonius, weil er falsch war, und Apollonius brav. Ihr innerstes Herz wandte sich von dem Verfolger ab, und dem Verfolgten zu. Aus dem Aufruhr all ihrer Gefühle stieg ein neues heiliges siegend auf, und sie gab sich ihm in der vollen Unbe¬ fangenheit der Unschuld hin. Sie kannte es nicht. Daß sie es nie kennen lernte! Sobald sie es kennen lernt, wird es Sünde. -- Und schon rauschen die Schritte durch's Gras, auf denen die unselige Erkennt¬ niß naht.
Fritz Nettenmair mußte seine neue Scheidemauer aufbau'n, eh' er den Bruder zu seinem Weibe führte. Deßhalb kam er. Sein Gang war ungleich; er wählte noch und konnte sich nicht entscheiden. Er wurde noch ungewisser, als er vor ihr stand. Er las, was sie fühlte, von ihrem Antlitz. Es war zu ehrlich, um etwas zu verschweigen. Es kannte zu wenig, wovon es sprach, um zu denken, es müßte dies verbergen. Er fühlte, mit den alten Verleumdungen werde er nichts mehr bei ihr vermögen. Er konnte sie über ihre
heit und Wahrheit in ihr lag, war gegen ihren Gatten empört. Nicht die Leute hatten ihn belogen; er war ſelber falſch. Er hatte ſie belogen und Apollonius belogen und ſie hatte irrend Apollonius gekränkt. Apollonius, der ſo brav war, daß er nicht über die Anne ſpotten hören konnte, hatte auch ihrer nie geſpottet. Alles war Lüge geweſen von Anfang an. Ihr Gatte verfolgte Apollonius, weil er falſch war, und Apollonius brav. Ihr innerſtes Herz wandte ſich von dem Verfolger ab, und dem Verfolgten zu. Aus dem Aufruhr all ihrer Gefühle ſtieg ein neues heiliges ſiegend auf, und ſie gab ſich ihm in der vollen Unbe¬ fangenheit der Unſchuld hin. Sie kannte es nicht. Daß ſie es nie kennen lernte! Sobald ſie es kennen lernt, wird es Sünde. — Und ſchon rauſchen die Schritte durch's Gras, auf denen die unſelige Erkennt¬ niß naht.
Fritz Nettenmair mußte ſeine neue Scheidemauer aufbau'n, eh' er den Bruder zu ſeinem Weibe führte. Deßhalb kam er. Sein Gang war ungleich; er wählte noch und konnte ſich nicht entſcheiden. Er wurde noch ungewiſſer, als er vor ihr ſtand. Er las, was ſie fühlte, von ihrem Antlitz. Es war zu ehrlich, um etwas zu verſchweigen. Es kannte zu wenig, wovon es ſprach, um zu denken, es müßte dies verbergen. Er fühlte, mit den alten Verleumdungen werde er nichts mehr bei ihr vermögen. Er konnte ſie über ihre
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heit und Wahrheit in ihr lag, war gegen ihren
Gatten empört. Nicht die Leute hatten ihn belogen;
er war ſelber falſch. Er hatte ſie belogen und Apollonius
belogen und ſie hatte irrend Apollonius gekränkt.
Apollonius, der ſo brav war, daß er nicht über
die Anne ſpotten hören konnte, hatte auch ihrer nie
geſpottet. Alles war Lüge geweſen von Anfang an.
Ihr Gatte verfolgte Apollonius, weil er falſch war, und
Apollonius brav. Ihr innerſtes Herz wandte ſich von
dem Verfolger ab, und dem Verfolgten zu. Aus dem
Aufruhr all ihrer Gefühle ſtieg ein neues heiliges
ſiegend auf, und ſie gab ſich ihm in der vollen Unbe¬
fangenheit der Unſchuld hin. Sie kannte es nicht.
Daß ſie es nie kennen lernte! Sobald ſie es kennen
lernt, wird es Sünde. — Und ſchon rauſchen die
Schritte durch's Gras, auf denen die unſelige Erkennt¬
niß naht.
Fritz Nettenmair mußte ſeine neue Scheidemauer
aufbau'n, eh' er den Bruder zu ſeinem Weibe führte.
Deßhalb kam er. Sein Gang war ungleich; er wählte
noch und konnte ſich nicht entſcheiden. Er wurde noch
ungewiſſer, als er vor ihr ſtand. Er las, was ſie
fühlte, von ihrem Antlitz. Es war zu ehrlich, um
etwas zu verſchweigen. Es kannte zu wenig, wovon es
ſprach, um zu denken, es müßte dies verbergen. Er
fühlte, mit den alten Verleumdungen werde er nichts
mehr bei ihr vermögen. Er konnte ſie über ihre
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/118>, abgerufen am 21.11.2024.
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