"der macht auch, solchen Ernst." Die Frau zitterte so heftig an allen Gliedern, daß der Alte seine Angst um Apollonius über der Angst um sie vergaß. Er mußte sie halten, daß sie nicht umfiel. Aber sie stieß ihn von sich und flehte und drohte zugleich: ""Rett' ihn, Valentin, rett' ihn. Hilf, Valentin! Ach Gott, sonst hab ich's gethan."" Und betete zu Gott um Rettung und jammerte immer dazwischen auf: er sei todt und sie sei die Schuld. Sie rief Apollonius selbst mit den zärtlichsten Namen, er solle nicht sterben. Valentin suchte in der Angst nach einer Beruhigung für sie und fand ein Etwas davon für sich selbst mit. Wenn es auch nicht beruhigen konnte, so gab es doch Hoffnung, daß Apollonius schon auf dem Rückweg sein müsse. Daß er gewiß das Tauwerk noch einmal untersucht habe. Daß man, wär' er verunglückt, es nunmehr wissen müßte. Er mußte ihr das zehnmal vorsagen, eh' sie nur verstand, was er meinte. Und nun erwartete sie den Boten, der die gräßliche Nach¬ richt bringen konnte, und schrack auf bei jedem Laut. Ihr eigenes Schluchzen hielt sie für die Stimme des Boten. Valentin lief endlich, da ihre Angst und Rathlosigkeit ihn selber mit ergriff, zu dem alten Herrn, ihn herein¬ zuholen zu der Frau. Er wußte nicht, was beginnen; und vielleicht war noch zu retten, wenn man etwas that; vielleicht wußte der alte Herr, was zu thun war, um zu retten.
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„der macht auch, ſolchen Ernſt.“ Die Frau zitterte ſo heftig an allen Gliedern, daß der Alte ſeine Angſt um Apollonius über der Angſt um ſie vergaß. Er mußte ſie halten, daß ſie nicht umfiel. Aber ſie ſtieß ihn von ſich und flehte und drohte zugleich: „„Rett' ihn, Valentin, rett' ihn. Hilf, Valentin! Ach Gott, ſonſt hab ich's gethan.““ Und betete zu Gott um Rettung und jammerte immer dazwiſchen auf: er ſei todt und ſie ſei die Schuld. Sie rief Apollonius ſelbſt mit den zärtlichſten Namen, er ſolle nicht ſterben. Valentin ſuchte in der Angſt nach einer Beruhigung für ſie und fand ein Etwas davon für ſich ſelbſt mit. Wenn es auch nicht beruhigen konnte, ſo gab es doch Hoffnung, daß Apollonius ſchon auf dem Rückweg ſein müſſe. Daß er gewiß das Tauwerk noch einmal unterſucht habe. Daß man, wär' er verunglückt, es nunmehr wiſſen müßte. Er mußte ihr das zehnmal vorſagen, eh' ſie nur verſtand, was er meinte. Und nun erwartete ſie den Boten, der die gräßliche Nach¬ richt bringen konnte, und ſchrack auf bei jedem Laut. Ihr eigenes Schluchzen hielt ſie für die Stimme des Boten. Valentin lief endlich, da ihre Angſt und Rathloſigkeit ihn ſelber mit ergriff, zu dem alten Herrn, ihn herein¬ zuholen zu der Frau. Er wußte nicht, was beginnen; und vielleicht war noch zu retten, wenn man etwas that; vielleicht wußte der alte Herr, was zu thun war, um zu retten.
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„der macht auch, ſolchen Ernſt.“ Die Frau zitterte ſo
heftig an allen Gliedern, daß der Alte ſeine Angſt
um Apollonius über der Angſt um ſie vergaß. Er
mußte ſie halten, daß ſie nicht umfiel. Aber ſie ſtieß
ihn von ſich und flehte und drohte zugleich: „„Rett'
ihn, Valentin, rett' ihn. Hilf, Valentin! Ach Gott,
ſonſt hab ich's gethan.““ Und betete zu Gott um
Rettung und jammerte immer dazwiſchen auf: er ſei
todt und ſie ſei die Schuld. Sie rief Apollonius ſelbſt
mit den zärtlichſten Namen, er ſolle nicht ſterben.
Valentin ſuchte in der Angſt nach einer Beruhigung
für ſie und fand ein Etwas davon für ſich ſelbſt mit.
Wenn es auch nicht beruhigen konnte, ſo gab es doch
Hoffnung, daß Apollonius ſchon auf dem Rückweg
ſein müſſe. Daß er gewiß das Tauwerk noch einmal
unterſucht habe. Daß man, wär' er verunglückt, es
nunmehr wiſſen müßte. Er mußte ihr das zehnmal
vorſagen, eh' ſie nur verſtand, was er meinte. Und
nun erwartete ſie den Boten, der die gräßliche Nach¬
richt bringen konnte, und ſchrack auf bei jedem Laut. Ihr
eigenes Schluchzen hielt ſie für die Stimme des Boten.
Valentin lief endlich, da ihre Angſt und Rathloſigkeit
ihn ſelber mit ergriff, zu dem alten Herrn, ihn herein¬
zuholen zu der Frau. Er wußte nicht, was beginnen;
und vielleicht war noch zu retten, wenn man etwas
that; vielleicht wußte der alte Herr, was zu thun
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/204>, abgerufen am 04.12.2024.
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