"Das nicht. Aber wenn Sie nur so lang bleiben wollten, bis der alte Herr zurückkommt, daß ich meiner Verantwortlichkeit ledig bin." Dem Alten war's nicht allein um sich zu thun. Er hoffte zugleich, der alte Herr würde in seiner Geistesgegenwart ein Mittel finden, wodurch sie von ihrem Vorhaben abzubringen sei. Die Frau nickte ihm zu. ""So lang will ich warten,"" entgegnete sie. Den Alten trieb Sorge und Hoffnung hinaus, zu sehn, ob Herr Nettenmair noch immer nicht komme. Christiane holte ihr Gesangbuch vom Pulte und setzte sich damit an den Tisch.
Der Valentin blieb länger aus, als er selbst gedacht hatte. Als er wieder hereinkam, war er nicht mehr der, der vorhin hinausgegangen. Er war verwirrt und verlegen, aber ganz anders verwirrt als vorhin. Er stand immer im Begriff, etwas zu thun oder zu sagen, worüber er erschrack, und etwas anderes that oder sagte und wiederum ungewiß schien, ob er nicht auch darüber erschrecken sollte. Immer, und wenn er gar nichts gesagt hatte, meinte er, er habe zuviel ge¬ sagt. Manchmal war's, als ob er lachte; dann sah er wieder desto trauriger aus. Und das paßte nicht zu dem, was er sprach; denn er redete vom Wetter. Da¬ zwischen machte er sich viel an der Thür zu schaffen, die er immer wieder einmal öffnete; zuletzt blieb er im Hausflur stehn, wo er den Gang nach dem Schuppen hin übersehen konnte; und es waren die wunderlichsten
„Das nicht. Aber wenn Sie nur ſo lang bleiben wollten, bis der alte Herr zurückkommt, daß ich meiner Verantwortlichkeit ledig bin.“ Dem Alten war's nicht allein um ſich zu thun. Er hoffte zugleich, der alte Herr würde in ſeiner Geiſtesgegenwart ein Mittel finden, wodurch ſie von ihrem Vorhaben abzubringen ſei. Die Frau nickte ihm zu. „„So lang will ich warten,““ entgegnete ſie. Den Alten trieb Sorge und Hoffnung hinaus, zu ſehn, ob Herr Nettenmair noch immer nicht komme. Chriſtiane holte ihr Geſangbuch vom Pulte und ſetzte ſich damit an den Tiſch.
Der Valentin blieb länger aus, als er ſelbſt gedacht hatte. Als er wieder hereinkam, war er nicht mehr der, der vorhin hinausgegangen. Er war verwirrt und verlegen, aber ganz anders verwirrt als vorhin. Er ſtand immer im Begriff, etwas zu thun oder zu ſagen, worüber er erſchrack, und etwas anderes that oder ſagte und wiederum ungewiß ſchien, ob er nicht auch darüber erſchrecken ſollte. Immer, und wenn er gar nichts geſagt hatte, meinte er, er habe zuviel ge¬ ſagt. Manchmal war's, als ob er lachte; dann ſah er wieder deſto trauriger aus. Und das paßte nicht zu dem, was er ſprach; denn er redete vom Wetter. Da¬ zwiſchen machte er ſich viel an der Thür zu ſchaffen, die er immer wieder einmal öffnete; zuletzt blieb er im Hausflur ſtehn, wo er den Gang nach dem Schuppen hin überſehen konnte; und es waren die wunderlichſten
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„Das nicht. Aber wenn Sie nur ſo lang bleiben
wollten, bis der alte Herr zurückkommt, daß ich meiner
Verantwortlichkeit ledig bin.“ Dem Alten war's nicht
allein um ſich zu thun. Er hoffte zugleich, der alte
Herr würde in ſeiner Geiſtesgegenwart ein Mittel
finden, wodurch ſie von ihrem Vorhaben abzubringen
ſei. Die Frau nickte ihm zu. „„So lang will ich
warten,““ entgegnete ſie. Den Alten trieb Sorge und
Hoffnung hinaus, zu ſehn, ob Herr Nettenmair noch
immer nicht komme. Chriſtiane holte ihr Geſangbuch
vom Pulte und ſetzte ſich damit an den Tiſch.
Der Valentin blieb länger aus, als er ſelbſt gedacht
hatte. Als er wieder hereinkam, war er nicht mehr
der, der vorhin hinausgegangen. Er war verwirrt
und verlegen, aber ganz anders verwirrt als vorhin.
Er ſtand immer im Begriff, etwas zu thun oder zu
ſagen, worüber er erſchrack, und etwas anderes that
oder ſagte und wiederum ungewiß ſchien, ob er nicht
auch darüber erſchrecken ſollte. Immer, und wenn er
gar nichts geſagt hatte, meinte er, er habe zuviel ge¬
ſagt. Manchmal war's, als ob er lachte; dann ſah er
wieder deſto trauriger aus. Und das paßte nicht zu
dem, was er ſprach; denn er redete vom Wetter. Da¬
zwiſchen machte er ſich viel an der Thür zu ſchaffen,
die er immer wieder einmal öffnete; zuletzt blieb er im
Hausflur ſtehn, wo er den Gang nach dem Schuppen
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/238>, abgerufen am 11.12.2024.
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