Vorwände, durch die er all diese Thätigkeiten recht¬ fertigte. Die junge Frau bemerkte erst die Veränderung nicht, dann beobachtete sie ihn verwundert und immer ahnungsvoller. Zuletzt hatte er sie angesteckt mit seinem Wesen. Wenn er unwillkührlich lachte, glühte sie in Hoffnung auf, wenn er dann sein trauriges Gesicht machte, drückte sie die Hände zusammen und wurde wieder bleich. Sie folgte seinen Augen, ihm selbst nach der Thür und erschrack, so oft er sie öffnete. Dabei sprachen sie immer vom Wetter; wären sie ruhig gewesen, sie hätten über ihre eigenen Reden lachen müssen; aber man sah, er fürchtete sich, etwas zu sagen, sie fürchtete sich, nach dem Etwas zu fragen. Zuletzt preßte sie beide Hände bald gegen das Herz, das das Mieder durchschlagen wollte, bald gegen die brennenden, hämmernden Schläfe. Der Alte meinte sie endlich vor¬ bereitet genug, das Wetter fahren zu lassen. "Ja," sagte er, "es ist ein Tag, wo die Todten aufstehen möchten, und wer weiß -- aber thun Sie mir noch das zulieb und erschrecken Sie nicht." Sie erschrack dennoch. Sie sagte zu sich: "Aber es ist ja nicht möglich!" Und sie erschrack doch eben, weil es mehr als möglich, weil es gewiß war. "Da sehn Sie ein¬ mal dahinter," schluchzte der Alte, der nur lachen wollte. Sie sah den Gang hin; sie hatt' es gethan, eh' der Alte sie dazu aufforderte. Der alte Valentin eilte aus der Vorderthür, dem alten Herrn die Freuden¬
Vorwände, durch die er all dieſe Thätigkeiten recht¬ fertigte. Die junge Frau bemerkte erſt die Veränderung nicht, dann beobachtete ſie ihn verwundert und immer ahnungsvoller. Zuletzt hatte er ſie angeſteckt mit ſeinem Weſen. Wenn er unwillkührlich lachte, glühte ſie in Hoffnung auf, wenn er dann ſein trauriges Geſicht machte, drückte ſie die Hände zuſammen und wurde wieder bleich. Sie folgte ſeinen Augen, ihm ſelbſt nach der Thür und erſchrack, ſo oft er ſie öffnete. Dabei ſprachen ſie immer vom Wetter; wären ſie ruhig geweſen, ſie hätten über ihre eigenen Reden lachen müſſen; aber man ſah, er fürchtete ſich, etwas zu ſagen, ſie fürchtete ſich, nach dem Etwas zu fragen. Zuletzt preßte ſie beide Hände bald gegen das Herz, das das Mieder durchſchlagen wollte, bald gegen die brennenden, hämmernden Schläfe. Der Alte meinte ſie endlich vor¬ bereitet genug, das Wetter fahren zu laſſen. „Ja,“ ſagte er, „es iſt ein Tag, wo die Todten aufſtehen möchten, und wer weiß — aber thun Sie mir noch das zulieb und erſchrecken Sie nicht.“ Sie erſchrack dennoch. Sie ſagte zu ſich: „Aber es iſt ja nicht möglich!“ Und ſie erſchrack doch eben, weil es mehr als möglich, weil es gewiß war. „Da ſehn Sie ein¬ mal dahinter,“ ſchluchzte der Alte, der nur lachen wollte. Sie ſah den Gang hin; ſie hatt' es gethan, eh' der Alte ſie dazu aufforderte. Der alte Valentin eilte aus der Vorderthür, dem alten Herrn die Freuden¬
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Vorwände, durch die er all dieſe Thätigkeiten recht¬
fertigte. Die junge Frau bemerkte erſt die Veränderung
nicht, dann beobachtete ſie ihn verwundert und immer
ahnungsvoller. Zuletzt hatte er ſie angeſteckt mit ſeinem
Weſen. Wenn er unwillkührlich lachte, glühte ſie in
Hoffnung auf, wenn er dann ſein trauriges Geſicht
machte, drückte ſie die Hände zuſammen und wurde
wieder bleich. Sie folgte ſeinen Augen, ihm ſelbſt
nach der Thür und erſchrack, ſo oft er ſie öffnete.
Dabei ſprachen ſie immer vom Wetter; wären ſie ruhig
geweſen, ſie hätten über ihre eigenen Reden lachen
müſſen; aber man ſah, er fürchtete ſich, etwas zu ſagen,
ſie fürchtete ſich, nach dem Etwas zu fragen. Zuletzt
preßte ſie beide Hände bald gegen das Herz, das das
Mieder durchſchlagen wollte, bald gegen die brennenden,
hämmernden Schläfe. Der Alte meinte ſie endlich vor¬
bereitet genug, das Wetter fahren zu laſſen. „Ja,“
ſagte er, „es iſt ein Tag, wo die Todten aufſtehen
möchten, und wer weiß — aber thun Sie mir noch
das zulieb und erſchrecken Sie nicht.“ Sie erſchrack
dennoch. Sie ſagte zu ſich: „Aber es iſt ja nicht
möglich!“ Und ſie erſchrack doch eben, weil es mehr
als möglich, weil es gewiß war. „Da ſehn Sie ein¬
mal dahinter,“ ſchluchzte der Alte, der nur lachen
wollte. Sie ſah den Gang hin; ſie hatt' es gethan,
eh' der Alte ſie dazu aufforderte. Der alte Valentin
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/239>, abgerufen am 04.12.2024.
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