Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Antheil an diesen Thränen. Sie sah des geliebten
Mannes Zustand stündlich sich verschlimmern und konnte
darüber nicht im Irrthum sein, daß die Heirath die
Schuld davon trug. Je blasser und hinfälliger er wurde,
desto milder und achtungsvoller wurde sein Benehmen
gegen sie. Ja, es war etwas darin, was wie schmerz¬
liches Mitleid und unausgesprochene Abbitte eines Un¬
rechts oder einer Beleidigung aussah, deren er sich
gegen sie schuldig wisse. Sie wußte nicht, was sie da¬
von denken sollte; nur, daß sie nichts denken durfte,
was des Bildes, das sie von ihm in ihrer Seele trug,
unwürdig gewesen wäre. In seiner Gegenwart war
sie still wie er. Sie sah sein stummes schmerzliches
Brüten; aber erst, wenn sie allein war, und ihre Kin¬
der neben ihr schliefen, hatte sie den Muth, ihn zu
bitten. Stundenlang bat sie dann wie ein Kind, er
soll ihr doch sagen, was ihm fehlt. Sie will es mit
ihm tragen; sie muß ja; ist sie nicht sein?

Und Apollonius selbst? Bis jetzt hatte er den
Druck dunkeln Schuldgefühls, der sich an den Gedanken
der Heirath knüpfte, zu schwächen vermocht, wenn er
unentschieden den Entschluß in unbestimmte Ferne hin¬
auswies. Dabei hatte ihm die Hoffnung geholfen,
jenes Gefühl sei eine krankhafte Anwandelung, die
vorübergehen werde. Nun der alte Herr sein Macht¬
wort gesprochen, war ihm jenes Mittel genommen. Das
Ziel war bestimmt; mit jedem Tage, mit jeder Stunde

Antheil an dieſen Thränen. Sie ſah des geliebten
Mannes Zuſtand ſtündlich ſich verſchlimmern und konnte
darüber nicht im Irrthum ſein, daß die Heirath die
Schuld davon trug. Je blaſſer und hinfälliger er wurde,
deſto milder und achtungsvoller wurde ſein Benehmen
gegen ſie. Ja, es war etwas darin, was wie ſchmerz¬
liches Mitleid und unausgeſprochene Abbitte eines Un¬
rechts oder einer Beleidigung ausſah, deren er ſich
gegen ſie ſchuldig wiſſe. Sie wußte nicht, was ſie da¬
von denken ſollte; nur, daß ſie nichts denken durfte,
was des Bildes, das ſie von ihm in ihrer Seele trug,
unwürdig geweſen wäre. In ſeiner Gegenwart war
ſie ſtill wie er. Sie ſah ſein ſtummes ſchmerzliches
Brüten; aber erſt, wenn ſie allein war, und ihre Kin¬
der neben ihr ſchliefen, hatte ſie den Muth, ihn zu
bitten. Stundenlang bat ſie dann wie ein Kind, er
ſoll ihr doch ſagen, was ihm fehlt. Sie will es mit
ihm tragen; ſie muß ja; iſt ſie nicht ſein?

Und Apollonius ſelbſt? Bis jetzt hatte er den
Druck dunkeln Schuldgefühls, der ſich an den Gedanken
der Heirath knüpfte, zu ſchwächen vermocht, wenn er
unentſchieden den Entſchluß in unbeſtimmte Ferne hin¬
auswies. Dabei hatte ihm die Hoffnung geholfen,
jenes Gefühl ſei eine krankhafte Anwandelung, die
vorübergehen werde. Nun der alte Herr ſein Macht¬
wort geſprochen, war ihm jenes Mittel genommen. Das
Ziel war beſtimmt; mit jedem Tage, mit jeder Stunde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0290" n="281"/>
Antheil an die&#x017F;en Thränen. Sie &#x017F;ah des geliebten<lb/>
Mannes Zu&#x017F;tand &#x017F;tündlich &#x017F;ich ver&#x017F;chlimmern und konnte<lb/>
darüber nicht im Irrthum &#x017F;ein, daß die Heirath die<lb/>
Schuld davon trug. Je bla&#x017F;&#x017F;er und hinfälliger er wurde,<lb/>
de&#x017F;to milder und achtungsvoller wurde &#x017F;ein Benehmen<lb/>
gegen &#x017F;ie. Ja, es war etwas darin, was wie &#x017F;chmerz¬<lb/>
liches Mitleid und unausge&#x017F;prochene Abbitte eines Un¬<lb/>
rechts oder einer Beleidigung aus&#x017F;ah, deren er &#x017F;ich<lb/>
gegen &#x017F;ie &#x017F;chuldig wi&#x017F;&#x017F;e. Sie wußte nicht, was &#x017F;ie da¬<lb/>
von denken &#x017F;ollte; nur, daß &#x017F;ie nichts denken durfte,<lb/>
was des Bildes, das &#x017F;ie von ihm in ihrer Seele trug,<lb/>
unwürdig gewe&#x017F;en wäre. In &#x017F;einer Gegenwart war<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;till wie er. Sie &#x017F;ah &#x017F;ein &#x017F;tummes &#x017F;chmerzliches<lb/>
Brüten; aber er&#x017F;t, wenn &#x017F;ie allein war, und ihre Kin¬<lb/>
der neben ihr &#x017F;chliefen, hatte &#x017F;ie den Muth, ihn zu<lb/>
bitten. Stundenlang bat &#x017F;ie dann wie ein Kind, er<lb/>
&#x017F;oll ihr doch &#x017F;agen, was ihm fehlt. Sie will es mit<lb/>
ihm tragen; &#x017F;ie muß ja; i&#x017F;t &#x017F;ie nicht &#x017F;ein?</p><lb/>
        <p>Und Apollonius &#x017F;elb&#x017F;t? Bis jetzt hatte er den<lb/>
Druck dunkeln Schuldgefühls, der &#x017F;ich an den Gedanken<lb/>
der Heirath knüpfte, zu &#x017F;chwächen vermocht, wenn er<lb/>
unent&#x017F;chieden den Ent&#x017F;chluß in unbe&#x017F;timmte Ferne hin¬<lb/>
auswies. Dabei hatte ihm die Hoffnung geholfen,<lb/>
jenes Gefühl &#x017F;ei eine krankhafte Anwandelung, die<lb/>
vorübergehen werde. Nun der alte Herr &#x017F;ein Macht¬<lb/>
wort ge&#x017F;prochen, war ihm jenes Mittel genommen. Das<lb/>
Ziel war be&#x017F;timmt; mit jedem Tage, mit jeder Stunde<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0290] Antheil an dieſen Thränen. Sie ſah des geliebten Mannes Zuſtand ſtündlich ſich verſchlimmern und konnte darüber nicht im Irrthum ſein, daß die Heirath die Schuld davon trug. Je blaſſer und hinfälliger er wurde, deſto milder und achtungsvoller wurde ſein Benehmen gegen ſie. Ja, es war etwas darin, was wie ſchmerz¬ liches Mitleid und unausgeſprochene Abbitte eines Un¬ rechts oder einer Beleidigung ausſah, deren er ſich gegen ſie ſchuldig wiſſe. Sie wußte nicht, was ſie da¬ von denken ſollte; nur, daß ſie nichts denken durfte, was des Bildes, das ſie von ihm in ihrer Seele trug, unwürdig geweſen wäre. In ſeiner Gegenwart war ſie ſtill wie er. Sie ſah ſein ſtummes ſchmerzliches Brüten; aber erſt, wenn ſie allein war, und ihre Kin¬ der neben ihr ſchliefen, hatte ſie den Muth, ihn zu bitten. Stundenlang bat ſie dann wie ein Kind, er ſoll ihr doch ſagen, was ihm fehlt. Sie will es mit ihm tragen; ſie muß ja; iſt ſie nicht ſein? Und Apollonius ſelbſt? Bis jetzt hatte er den Druck dunkeln Schuldgefühls, der ſich an den Gedanken der Heirath knüpfte, zu ſchwächen vermocht, wenn er unentſchieden den Entſchluß in unbeſtimmte Ferne hin¬ auswies. Dabei hatte ihm die Hoffnung geholfen, jenes Gefühl ſei eine krankhafte Anwandelung, die vorübergehen werde. Nun der alte Herr ſein Macht¬ wort geſprochen, war ihm jenes Mittel genommen. Das Ziel war beſtimmt; mit jedem Tage, mit jeder Stunde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/290
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/290>, abgerufen am 18.12.2024.