trat es ihm näher. Er mußte sich entscheiden. Er konnte nicht. Die Entzweiung seines Innern klaffte immer weiter auf. Wollte er dem Glücke entsagen, dann wich das Gespenst der Schuld, aber das Glück streckte immer verlockendere Arme nach ihm aus. Es nahm seine Ehre zum Bündner. Der Vater entfernte ihn dann; wie sollte er sein Wort halten? Wo war ein Vorwurf, wenn er das Glück in seine Arme nahm? Der Vater wollte es; sie liebt ihn und hat ihn immer geliebt, nur ihn; alle Menschen billigen es, ja sie for¬ dern es von ihm. Dann sah er sie, eh' sie ihm geraubt wurde, wie sie das Glöckchen hinlegte für ihn, rosig unter der braunen, krausen Locke, die sich immer frei macht; dann bleich unter der Locke von den Mißhand¬ lungen des Bruders, der sie ihm geraubt, bleich um ihn; dann zitternd vor des Bruders Drohungen, zit¬ ternd um ihn; dann lachend, weinend, voll Angst und voll Glück in seinen Armen. Und so soll er sie halten dür¬ fen, vorwurfslos, die ihm gehört! Aber durch ihr schwel¬ lendes Umfangen, durch alle Bilder stillen sanften Glücks hindurch fröstelt ihn der alte Schauder wieder an. So war's schon in seinem Traume, als er mit dem Bruder kämpfte um sie, und ihn hinabstieß von der fliegenden Rüstung in den Tod. Er sagt sich, das war nur im Traum; was man im Traume that, hat man nicht gethan. Aber wachend hallten die wilden Gefühle des Traumes nach. Die bösen Gedanken
trat es ihm näher. Er mußte ſich entſcheiden. Er konnte nicht. Die Entzweiung ſeines Innern klaffte immer weiter auf. Wollte er dem Glücke entſagen, dann wich das Geſpenſt der Schuld, aber das Glück ſtreckte immer verlockendere Arme nach ihm aus. Es nahm ſeine Ehre zum Bündner. Der Vater entfernte ihn dann; wie ſollte er ſein Wort halten? Wo war ein Vorwurf, wenn er das Glück in ſeine Arme nahm? Der Vater wollte es; ſie liebt ihn und hat ihn immer geliebt, nur ihn; alle Menſchen billigen es, ja ſie for¬ dern es von ihm. Dann ſah er ſie, eh' ſie ihm geraubt wurde, wie ſie das Glöckchen hinlegte für ihn, roſig unter der braunen, krauſen Locke, die ſich immer frei macht; dann bleich unter der Locke von den Mißhand¬ lungen des Bruders, der ſie ihm geraubt, bleich um ihn; dann zitternd vor des Bruders Drohungen, zit¬ ternd um ihn; dann lachend, weinend, voll Angſt und voll Glück in ſeinen Armen. Und ſo ſoll er ſie halten dür¬ fen, vorwurfslos, die ihm gehört! Aber durch ihr ſchwel¬ lendes Umfangen, durch alle Bilder ſtillen ſanften Glücks hindurch fröſtelt ihn der alte Schauder wieder an. So war's ſchon in ſeinem Traume, als er mit dem Bruder kämpfte um ſie, und ihn hinabſtieß von der fliegenden Rüſtung in den Tod. Er ſagt ſich, das war nur im Traum; was man im Traume that, hat man nicht gethan. Aber wachend hallten die wilden Gefühle des Traumes nach. Die böſen Gedanken
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trat es ihm näher. Er mußte ſich entſcheiden. Er
konnte nicht. Die Entzweiung ſeines Innern klaffte
immer weiter auf. Wollte er dem Glücke entſagen,
dann wich das Geſpenſt der Schuld, aber das Glück
ſtreckte immer verlockendere Arme nach ihm aus. Es
nahm ſeine Ehre zum Bündner. Der Vater entfernte
ihn dann; wie ſollte er ſein Wort halten? Wo war
ein Vorwurf, wenn er das Glück in ſeine Arme nahm?
Der Vater wollte es; ſie liebt ihn und hat ihn immer
geliebt, nur ihn; alle Menſchen billigen es, ja ſie for¬
dern es von ihm. Dann ſah er ſie, eh' ſie ihm geraubt
wurde, wie ſie das Glöckchen hinlegte für ihn, roſig
unter der braunen, krauſen Locke, die ſich immer frei
macht; dann bleich unter der Locke von den Mißhand¬
lungen des Bruders, der ſie ihm geraubt, bleich um
ihn; dann zitternd vor des Bruders Drohungen, zit¬
ternd um ihn; dann lachend, weinend, voll Angſt und
voll Glück in ſeinen Armen. Und ſo ſoll er ſie halten dür¬
fen, vorwurfslos, die ihm gehört! Aber durch ihr ſchwel¬
lendes Umfangen, durch alle Bilder ſtillen ſanften
Glücks hindurch fröſtelt ihn der alte Schauder wieder
an. So war's ſchon in ſeinem Traume, als er mit
dem Bruder kämpfte um ſie, und ihn hinabſtieß von
der fliegenden Rüſtung in den Tod. Er ſagt ſich, das
war nur im Traum; was man im Traume that, hat
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/291>, abgerufen am 18.12.2024.
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