Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

begannen schon die Schiefer unter der Lücke zu glüh'n;
nicht lang, und sie rollten sich schmelzend, und die bren¬
nenden Schlacken trugen das Verderben fliegend
weiter. Apollonius zog die Klaue aus dem Gürtel;
wenig Stöße mit dem Werkzeug, und die Schiefer
fielen abgestreift in die Tiefe. Nun übersah er deutlich
den geringen Umfang der brennenden Fläche; seine
Zuversicht wuchs. Zwei Züge an dem Schlauch, und
die Spritze begann zu wirken. Er hielt das Rohr erst
gegen die Lücke, um die Verschalung oberhalb des
Brandes noch geschickter zum Widerstande zu machen.
Die Spritze bewies sich kräftig; wo ihr Strahl unter
den Rand der Schiefer sich einzwängte, splitterten diese
krachend von den Nägeln. Die Flammen des Brandes
knisterten und hüpften zornig unter dem herabfließenden
Wasser; erst dem unmittelbar gegen sie gerichteten
Strahl gelang es, und auch diesem mehr durch seine
erstickende Gewalt, als durch die Natur seines Stoffes,
die hartnäckigen zu bezwingen. Die Brandfläche lag
schwarz vor ihm, dem Strahl der Spritze antwortete
kein Zischen mehr. Da rasselte das Getriebe der Uhr
tief unter ihm. Es schlug Zwei. Zwei Schläge!
Zwei! Und er stand und er stürzte nicht! Wie anders
war es nun in der Wirklichkeit gekommen, als die
fieberischen Ahnungen gedroht! Wenn er oben war,
da schlug es Zwei, da packte ihn der Schwindel und
riß ihn hinab, eine dunkle Schuld zu büßen. Das

begannen ſchon die Schiefer unter der Lücke zu glüh'n;
nicht lang, und ſie rollten ſich ſchmelzend, und die bren¬
nenden Schlacken trugen das Verderben fliegend
weiter. Apollonius zog die Klaue aus dem Gürtel;
wenig Stöße mit dem Werkzeug, und die Schiefer
fielen abgeſtreift in die Tiefe. Nun überſah er deutlich
den geringen Umfang der brennenden Fläche; ſeine
Zuverſicht wuchs. Zwei Züge an dem Schlauch, und
die Spritze begann zu wirken. Er hielt das Rohr erſt
gegen die Lücke, um die Verſchalung oberhalb des
Brandes noch geſchickter zum Widerſtande zu machen.
Die Spritze bewies ſich kräftig; wo ihr Strahl unter
den Rand der Schiefer ſich einzwängte, ſplitterten dieſe
krachend von den Nägeln. Die Flammen des Brandes
kniſterten und hüpften zornig unter dem herabfließenden
Waſſer; erſt dem unmittelbar gegen ſie gerichteten
Strahl gelang es, und auch dieſem mehr durch ſeine
erſtickende Gewalt, als durch die Natur ſeines Stoffes,
die hartnäckigen zu bezwingen. Die Brandfläche lag
ſchwarz vor ihm, dem Strahl der Spritze antwortete
kein Ziſchen mehr. Da raſſelte das Getriebe der Uhr
tief unter ihm. Es ſchlug Zwei. Zwei Schläge!
Zwei! Und er ſtand und er ſtürzte nicht! Wie anders
war es nun in der Wirklichkeit gekommen, als die
fieberiſchen Ahnungen gedroht! Wenn er oben war,
da ſchlug es Zwei, da packte ihn der Schwindel und
riß ihn hinab, eine dunkle Schuld zu büßen. Das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0310" n="301"/>
begannen &#x017F;chon die Schiefer unter der Lücke zu glüh'n;<lb/>
nicht lang, und &#x017F;ie rollten &#x017F;ich &#x017F;chmelzend, und die bren¬<lb/>
nenden Schlacken trugen das Verderben fliegend<lb/>
weiter. Apollonius zog die Klaue aus dem Gürtel;<lb/>
wenig Stöße mit dem Werkzeug, und die Schiefer<lb/>
fielen abge&#x017F;treift in die Tiefe. Nun über&#x017F;ah er deutlich<lb/>
den geringen Umfang der brennenden Fläche; &#x017F;eine<lb/>
Zuver&#x017F;icht wuchs. Zwei Züge an dem Schlauch, und<lb/>
die Spritze begann zu wirken. Er hielt das Rohr er&#x017F;t<lb/>
gegen die Lücke, um die Ver&#x017F;chalung oberhalb des<lb/>
Brandes noch ge&#x017F;chickter zum Wider&#x017F;tande zu machen.<lb/>
Die Spritze bewies &#x017F;ich kräftig; wo ihr Strahl unter<lb/>
den Rand der Schiefer &#x017F;ich einzwängte, &#x017F;plitterten die&#x017F;e<lb/>
krachend von den Nägeln. Die Flammen des Brandes<lb/>
kni&#x017F;terten und hüpften zornig unter dem herabfließenden<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er; er&#x017F;t dem unmittelbar gegen &#x017F;ie gerichteten<lb/>
Strahl gelang es, und auch die&#x017F;em mehr durch &#x017F;eine<lb/>
er&#x017F;tickende Gewalt, als durch die Natur &#x017F;eines Stoffes,<lb/>
die hartnäckigen zu bezwingen. Die Brandfläche lag<lb/>
&#x017F;chwarz vor ihm, dem Strahl der Spritze antwortete<lb/>
kein Zi&#x017F;chen mehr. Da ra&#x017F;&#x017F;elte das Getriebe der Uhr<lb/>
tief unter ihm. Es &#x017F;chlug Zwei. Zwei Schläge!<lb/>
Zwei! Und er &#x017F;tand und er &#x017F;türzte nicht! Wie anders<lb/>
war es nun in der Wirklichkeit gekommen, als die<lb/>
fieberi&#x017F;chen Ahnungen gedroht! Wenn er oben war,<lb/>
da &#x017F;chlug es Zwei, da packte ihn der Schwindel und<lb/>
riß ihn hinab, eine dunkle Schuld zu büßen. Das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0310] begannen ſchon die Schiefer unter der Lücke zu glüh'n; nicht lang, und ſie rollten ſich ſchmelzend, und die bren¬ nenden Schlacken trugen das Verderben fliegend weiter. Apollonius zog die Klaue aus dem Gürtel; wenig Stöße mit dem Werkzeug, und die Schiefer fielen abgeſtreift in die Tiefe. Nun überſah er deutlich den geringen Umfang der brennenden Fläche; ſeine Zuverſicht wuchs. Zwei Züge an dem Schlauch, und die Spritze begann zu wirken. Er hielt das Rohr erſt gegen die Lücke, um die Verſchalung oberhalb des Brandes noch geſchickter zum Widerſtande zu machen. Die Spritze bewies ſich kräftig; wo ihr Strahl unter den Rand der Schiefer ſich einzwängte, ſplitterten dieſe krachend von den Nägeln. Die Flammen des Brandes kniſterten und hüpften zornig unter dem herabfließenden Waſſer; erſt dem unmittelbar gegen ſie gerichteten Strahl gelang es, und auch dieſem mehr durch ſeine erſtickende Gewalt, als durch die Natur ſeines Stoffes, die hartnäckigen zu bezwingen. Die Brandfläche lag ſchwarz vor ihm, dem Strahl der Spritze antwortete kein Ziſchen mehr. Da raſſelte das Getriebe der Uhr tief unter ihm. Es ſchlug Zwei. Zwei Schläge! Zwei! Und er ſtand und er ſtürzte nicht! Wie anders war es nun in der Wirklichkeit gekommen, als die fieberiſchen Ahnungen gedroht! Wenn er oben war, da ſchlug es Zwei, da packte ihn der Schwindel und riß ihn hinab, eine dunkle Schuld zu büßen. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/310
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/310>, abgerufen am 21.11.2024.