Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Denselben Morgen hatte eine Deputation des Raths
Apollonius den Dank der Stadt gebracht; hatten die
angesehensten Leute der Stadt gewetteifert, ihm ihre
Achtung und Aufmerksamkeit zu beweisen. Ursache
genug, eine ehrgeizige Seele zur Ueberhebung zu reizen,
Grund genug für den alten Herrn, dem Apollonius als
eine solche Seele galt, an dessen Ueberhebung zu glauben.
Der alte Herr mußte die Unentbehrlichkeit des Trotzen¬
den anerkennen und durfte weder ein Recht noch eine
Macht gegen ihn behaupten. Die Gemüthsbewegung
und geistige Ueberanstrengung an dem Tag vor dem
Tode seines älteren Sohnes hatten seine letzte Kraft
untergraben; nun brach sie vollends zusammen. Von
Tag zu Tag wurde er wunderlicher und empfindlicher.
Er verlangte von Apollonius keine Unterwerfung
mehr; er fand eine selbstquälerische Lust, in seiner
diplomatischen Weise dem Sohne dessen Unkindlichkeit
vorzuwerfen, indem er beständig sein grimmiges Be¬
dauern aussprach, daß der tüchtige Sohn von einem
alten herrschsüchtigen Vater, der nichts mehr sei und
nichts mehr könne, sich soviel gefallen lassen müsse.
Vergeblich war alles Bemüh'n des Sohnes, der Alte
glaubte nicht an die Aufrichtigkeit desselben. Dabei
konnte er sich in seiner Wunderlichkeit gleichwohl der
Tüchtigkeit des Sohnes und der wachsenden Ehre und
des steigenden Wohlstandes seines Hauses freu'n;
wenn er sich dies auch nicht merken ließ. Er erlebte

Denſelben Morgen hatte eine Deputation des Raths
Apollonius den Dank der Stadt gebracht; hatten die
angeſehenſten Leute der Stadt gewetteifert, ihm ihre
Achtung und Aufmerkſamkeit zu beweiſen. Urſache
genug, eine ehrgeizige Seele zur Ueberhebung zu reizen,
Grund genug für den alten Herrn, dem Apollonius als
eine ſolche Seele galt, an deſſen Ueberhebung zu glauben.
Der alte Herr mußte die Unentbehrlichkeit des Trotzen¬
den anerkennen und durfte weder ein Recht noch eine
Macht gegen ihn behaupten. Die Gemüthsbewegung
und geiſtige Ueberanſtrengung an dem Tag vor dem
Tode ſeines älteren Sohnes hatten ſeine letzte Kraft
untergraben; nun brach ſie vollends zuſammen. Von
Tag zu Tag wurde er wunderlicher und empfindlicher.
Er verlangte von Apollonius keine Unterwerfung
mehr; er fand eine ſelbſtquäleriſche Luſt, in ſeiner
diplomatiſchen Weiſe dem Sohne deſſen Unkindlichkeit
vorzuwerfen, indem er beſtändig ſein grimmiges Be¬
dauern ausſprach, daß der tüchtige Sohn von einem
alten herrſchſüchtigen Vater, der nichts mehr ſei und
nichts mehr könne, ſich ſoviel gefallen laſſen müſſe.
Vergeblich war alles Bemüh'n des Sohnes, der Alte
glaubte nicht an die Aufrichtigkeit deſſelben. Dabei
konnte er ſich in ſeiner Wunderlichkeit gleichwohl der
Tüchtigkeit des Sohnes und der wachſenden Ehre und
des ſteigenden Wohlſtandes ſeines Hauſes freu'n;
wenn er ſich dies auch nicht merken ließ. Er erlebte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0323" n="314"/>
Den&#x017F;elben Morgen hatte eine Deputation des Raths<lb/>
Apollonius den Dank der Stadt gebracht; hatten die<lb/>
ange&#x017F;ehen&#x017F;ten Leute der Stadt gewetteifert, ihm ihre<lb/>
Achtung und Aufmerk&#x017F;amkeit zu bewei&#x017F;en. Ur&#x017F;ache<lb/>
genug, eine ehrgeizige Seele zur Ueberhebung zu reizen,<lb/>
Grund genug für den alten Herrn, dem Apollonius als<lb/>
eine &#x017F;olche Seele galt, an de&#x017F;&#x017F;en Ueberhebung zu glauben.<lb/>
Der alte Herr mußte die Unentbehrlichkeit des Trotzen¬<lb/>
den anerkennen und durfte weder ein Recht noch eine<lb/>
Macht gegen ihn behaupten. Die Gemüthsbewegung<lb/>
und gei&#x017F;tige Ueberan&#x017F;trengung an dem Tag vor dem<lb/>
Tode &#x017F;eines älteren Sohnes hatten &#x017F;eine letzte Kraft<lb/>
untergraben; nun brach &#x017F;ie vollends zu&#x017F;ammen. Von<lb/>
Tag zu Tag wurde er wunderlicher und empfindlicher.<lb/>
Er verlangte von Apollonius keine Unterwerfung<lb/>
mehr; er fand eine &#x017F;elb&#x017F;tquäleri&#x017F;che Lu&#x017F;t, in &#x017F;einer<lb/>
diplomati&#x017F;chen Wei&#x017F;e dem Sohne de&#x017F;&#x017F;en Unkindlichkeit<lb/>
vorzuwerfen, indem er be&#x017F;tändig &#x017F;ein grimmiges Be¬<lb/>
dauern aus&#x017F;prach, daß der tüchtige Sohn von einem<lb/>
alten herr&#x017F;ch&#x017F;üchtigen Vater, der nichts mehr &#x017F;ei und<lb/>
nichts mehr könne, &#x017F;ich &#x017F;oviel gefallen la&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Vergeblich war alles Bemüh'n des Sohnes, der Alte<lb/>
glaubte nicht an die Aufrichtigkeit de&#x017F;&#x017F;elben. Dabei<lb/>
konnte er &#x017F;ich in &#x017F;einer Wunderlichkeit gleichwohl der<lb/>
Tüchtigkeit des Sohnes und der wach&#x017F;enden Ehre und<lb/>
des &#x017F;teigenden Wohl&#x017F;tandes &#x017F;eines Hau&#x017F;es freu'n;<lb/>
wenn er &#x017F;ich dies auch nicht merken ließ. Er erlebte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0323] Denſelben Morgen hatte eine Deputation des Raths Apollonius den Dank der Stadt gebracht; hatten die angeſehenſten Leute der Stadt gewetteifert, ihm ihre Achtung und Aufmerkſamkeit zu beweiſen. Urſache genug, eine ehrgeizige Seele zur Ueberhebung zu reizen, Grund genug für den alten Herrn, dem Apollonius als eine ſolche Seele galt, an deſſen Ueberhebung zu glauben. Der alte Herr mußte die Unentbehrlichkeit des Trotzen¬ den anerkennen und durfte weder ein Recht noch eine Macht gegen ihn behaupten. Die Gemüthsbewegung und geiſtige Ueberanſtrengung an dem Tag vor dem Tode ſeines älteren Sohnes hatten ſeine letzte Kraft untergraben; nun brach ſie vollends zuſammen. Von Tag zu Tag wurde er wunderlicher und empfindlicher. Er verlangte von Apollonius keine Unterwerfung mehr; er fand eine ſelbſtquäleriſche Luſt, in ſeiner diplomatiſchen Weiſe dem Sohne deſſen Unkindlichkeit vorzuwerfen, indem er beſtändig ſein grimmiges Be¬ dauern ausſprach, daß der tüchtige Sohn von einem alten herrſchſüchtigen Vater, der nichts mehr ſei und nichts mehr könne, ſich ſoviel gefallen laſſen müſſe. Vergeblich war alles Bemüh'n des Sohnes, der Alte glaubte nicht an die Aufrichtigkeit deſſelben. Dabei konnte er ſich in ſeiner Wunderlichkeit gleichwohl der Tüchtigkeit des Sohnes und der wachſenden Ehre und des ſteigenden Wohlſtandes ſeines Hauſes freu'n; wenn er ſich dies auch nicht merken ließ. Er erlebte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/323
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/323>, abgerufen am 24.11.2024.