Denselben Morgen hatte eine Deputation des Raths Apollonius den Dank der Stadt gebracht; hatten die angesehensten Leute der Stadt gewetteifert, ihm ihre Achtung und Aufmerksamkeit zu beweisen. Ursache genug, eine ehrgeizige Seele zur Ueberhebung zu reizen, Grund genug für den alten Herrn, dem Apollonius als eine solche Seele galt, an dessen Ueberhebung zu glauben. Der alte Herr mußte die Unentbehrlichkeit des Trotzen¬ den anerkennen und durfte weder ein Recht noch eine Macht gegen ihn behaupten. Die Gemüthsbewegung und geistige Ueberanstrengung an dem Tag vor dem Tode seines älteren Sohnes hatten seine letzte Kraft untergraben; nun brach sie vollends zusammen. Von Tag zu Tag wurde er wunderlicher und empfindlicher. Er verlangte von Apollonius keine Unterwerfung mehr; er fand eine selbstquälerische Lust, in seiner diplomatischen Weise dem Sohne dessen Unkindlichkeit vorzuwerfen, indem er beständig sein grimmiges Be¬ dauern aussprach, daß der tüchtige Sohn von einem alten herrschsüchtigen Vater, der nichts mehr sei und nichts mehr könne, sich soviel gefallen lassen müsse. Vergeblich war alles Bemüh'n des Sohnes, der Alte glaubte nicht an die Aufrichtigkeit desselben. Dabei konnte er sich in seiner Wunderlichkeit gleichwohl der Tüchtigkeit des Sohnes und der wachsenden Ehre und des steigenden Wohlstandes seines Hauses freu'n; wenn er sich dies auch nicht merken ließ. Er erlebte
Denſelben Morgen hatte eine Deputation des Raths Apollonius den Dank der Stadt gebracht; hatten die angeſehenſten Leute der Stadt gewetteifert, ihm ihre Achtung und Aufmerkſamkeit zu beweiſen. Urſache genug, eine ehrgeizige Seele zur Ueberhebung zu reizen, Grund genug für den alten Herrn, dem Apollonius als eine ſolche Seele galt, an deſſen Ueberhebung zu glauben. Der alte Herr mußte die Unentbehrlichkeit des Trotzen¬ den anerkennen und durfte weder ein Recht noch eine Macht gegen ihn behaupten. Die Gemüthsbewegung und geiſtige Ueberanſtrengung an dem Tag vor dem Tode ſeines älteren Sohnes hatten ſeine letzte Kraft untergraben; nun brach ſie vollends zuſammen. Von Tag zu Tag wurde er wunderlicher und empfindlicher. Er verlangte von Apollonius keine Unterwerfung mehr; er fand eine ſelbſtquäleriſche Luſt, in ſeiner diplomatiſchen Weiſe dem Sohne deſſen Unkindlichkeit vorzuwerfen, indem er beſtändig ſein grimmiges Be¬ dauern ausſprach, daß der tüchtige Sohn von einem alten herrſchſüchtigen Vater, der nichts mehr ſei und nichts mehr könne, ſich ſoviel gefallen laſſen müſſe. Vergeblich war alles Bemüh'n des Sohnes, der Alte glaubte nicht an die Aufrichtigkeit deſſelben. Dabei konnte er ſich in ſeiner Wunderlichkeit gleichwohl der Tüchtigkeit des Sohnes und der wachſenden Ehre und des ſteigenden Wohlſtandes ſeines Hauſes freu'n; wenn er ſich dies auch nicht merken ließ. Er erlebte
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Denſelben Morgen hatte eine Deputation des Raths
Apollonius den Dank der Stadt gebracht; hatten die
angeſehenſten Leute der Stadt gewetteifert, ihm ihre
Achtung und Aufmerkſamkeit zu beweiſen. Urſache
genug, eine ehrgeizige Seele zur Ueberhebung zu reizen,
Grund genug für den alten Herrn, dem Apollonius als
eine ſolche Seele galt, an deſſen Ueberhebung zu glauben.
Der alte Herr mußte die Unentbehrlichkeit des Trotzen¬
den anerkennen und durfte weder ein Recht noch eine
Macht gegen ihn behaupten. Die Gemüthsbewegung
und geiſtige Ueberanſtrengung an dem Tag vor dem
Tode ſeines älteren Sohnes hatten ſeine letzte Kraft
untergraben; nun brach ſie vollends zuſammen. Von
Tag zu Tag wurde er wunderlicher und empfindlicher.
Er verlangte von Apollonius keine Unterwerfung
mehr; er fand eine ſelbſtquäleriſche Luſt, in ſeiner
diplomatiſchen Weiſe dem Sohne deſſen Unkindlichkeit
vorzuwerfen, indem er beſtändig ſein grimmiges Be¬
dauern ausſprach, daß der tüchtige Sohn von einem
alten herrſchſüchtigen Vater, der nichts mehr ſei und
nichts mehr könne, ſich ſoviel gefallen laſſen müſſe.
Vergeblich war alles Bemüh'n des Sohnes, der Alte
glaubte nicht an die Aufrichtigkeit deſſelben. Dabei
konnte er ſich in ſeiner Wunderlichkeit gleichwohl der
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/323>, abgerufen am 24.11.2024.
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