übrig geblieben war, erhöhte noch die sichere Männlich¬ keit, deren Ausdruck es milderte.
Ja, er wußte, daß er des Vetters Schwiegersohn werden konnte, wenn er wollte. Das Mädchen war hübsch, brav und ihm zugethan wie eine Schwester. Aber nur als eine Schwester sah er sie an; es war ihm nie der Wunsch gekommen, sie möchte ihm mehr sein. Die Neigung zu Christianen meinte er besiegt zu haben; er wußte nicht, daß doch nur sie es war, die zwischen ihm und des Vetters Tochter stand und zwischen ihm und jeder andern gestanden hätte. Als er erfuhr, Christiane liebte seinen Bruder, hatte er die kleine Blechkapsel mit der Blume von der Brust genom¬ men, wo er sie seit jenem Abende trug, da er sie irrend als für ihn hingelegt aufgehoben. Als Christiane sei¬ nes Bruders Weib geworden war, packte er die Kapsel mit der Blume ein und schickte sie dem Bruder. Weg¬ werfen konnte er nicht, was ihm einmal theuer gewe¬ sen, aber besitzen durfte er die Blume nicht mehr. Besitzen durfte sie nur der, für den sie bestimmt gewe¬ sen, dem die Hand gehörte, die sie gegeben hatte.
Der Vater rief ihn zurück; er mußte gehorchen. Aber es war mehr als der bloße Gehorsam in ihm lebendig. Er ging nicht allein; er ging gern. Des Vaters Wort war ihm mehr eine Erlaubniß, als ein Befehl. Wenn die Frühlingssonne in ein Gemach dringt, das den Winter über unbewohnt und verschlos¬
Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 3
übrig geblieben war, erhöhte noch die ſichere Männlich¬ keit, deren Ausdruck es milderte.
Ja, er wußte, daß er des Vetters Schwiegerſohn werden konnte, wenn er wollte. Das Mädchen war hübſch, brav und ihm zugethan wie eine Schweſter. Aber nur als eine Schweſter ſah er ſie an; es war ihm nie der Wunſch gekommen, ſie möchte ihm mehr ſein. Die Neigung zu Chriſtianen meinte er beſiegt zu haben; er wußte nicht, daß doch nur ſie es war, die zwiſchen ihm und des Vetters Tochter ſtand und zwiſchen ihm und jeder andern geſtanden hätte. Als er erfuhr, Chriſtiane liebte ſeinen Bruder, hatte er die kleine Blechkapſel mit der Blume von der Bruſt genom¬ men, wo er ſie ſeit jenem Abende trug, da er ſie irrend als für ihn hingelegt aufgehoben. Als Chriſtiane ſei¬ nes Bruders Weib geworden war, packte er die Kapſel mit der Blume ein und ſchickte ſie dem Bruder. Weg¬ werfen konnte er nicht, was ihm einmal theuer gewe¬ ſen, aber beſitzen durfte er die Blume nicht mehr. Beſitzen durfte ſie nur der, für den ſie beſtimmt gewe¬ ſen, dem die Hand gehörte, die ſie gegeben hatte.
Der Vater rief ihn zurück; er mußte gehorchen. Aber es war mehr als der bloße Gehorſam in ihm lebendig. Er ging nicht allein; er ging gern. Des Vaters Wort war ihm mehr eine Erlaubniß, als ein Befehl. Wenn die Frühlingsſonne in ein Gemach dringt, das den Winter über unbewohnt und verſchloſ¬
Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="33"/>
übrig geblieben war, erhöhte noch die ſichere Männlich¬<lb/>
keit, deren Ausdruck es milderte.</p><lb/><p>Ja, er wußte, daß er des Vetters Schwiegerſohn<lb/>
werden konnte, wenn er wollte. Das Mädchen war<lb/>
hübſch, brav und ihm zugethan wie eine Schweſter.<lb/>
Aber nur als eine Schweſter ſah er ſie an; es war<lb/>
ihm nie der Wunſch gekommen, ſie möchte ihm mehr<lb/>ſein. Die Neigung zu Chriſtianen meinte er beſiegt<lb/>
zu haben; er wußte nicht, daß doch nur ſie es war,<lb/>
die zwiſchen ihm und des Vetters Tochter ſtand und<lb/>
zwiſchen ihm und jeder andern geſtanden hätte. Als<lb/>
er erfuhr, Chriſtiane liebte ſeinen Bruder, hatte er die<lb/>
kleine Blechkapſel mit der Blume von der Bruſt genom¬<lb/>
men, wo er ſie ſeit jenem Abende trug, da er ſie irrend<lb/>
als für ihn hingelegt aufgehoben. Als Chriſtiane ſei¬<lb/>
nes Bruders Weib geworden war, packte er die Kapſel<lb/>
mit der Blume ein und ſchickte ſie dem Bruder. Weg¬<lb/>
werfen konnte er nicht, was ihm einmal theuer gewe¬<lb/>ſen, aber beſitzen durfte er die Blume nicht mehr.<lb/>
Beſitzen durfte ſie nur der, für den ſie beſtimmt gewe¬<lb/>ſen, dem die Hand gehörte, die ſie gegeben hatte.</p><lb/><p>Der Vater rief ihn zurück; er mußte gehorchen.<lb/>
Aber es war mehr als der bloße Gehorſam in ihm<lb/>
lebendig. Er ging nicht allein; er ging gern. Des<lb/>
Vaters Wort war ihm mehr eine Erlaubniß, als ein<lb/>
Befehl. Wenn die Frühlingsſonne in ein Gemach<lb/>
dringt, das den Winter über unbewohnt und verſchloſ¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Ludwig</hi>, Zwiſchen Himmel und Erde. 3<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[33/0042]
übrig geblieben war, erhöhte noch die ſichere Männlich¬
keit, deren Ausdruck es milderte.
Ja, er wußte, daß er des Vetters Schwiegerſohn
werden konnte, wenn er wollte. Das Mädchen war
hübſch, brav und ihm zugethan wie eine Schweſter.
Aber nur als eine Schweſter ſah er ſie an; es war
ihm nie der Wunſch gekommen, ſie möchte ihm mehr
ſein. Die Neigung zu Chriſtianen meinte er beſiegt
zu haben; er wußte nicht, daß doch nur ſie es war,
die zwiſchen ihm und des Vetters Tochter ſtand und
zwiſchen ihm und jeder andern geſtanden hätte. Als
er erfuhr, Chriſtiane liebte ſeinen Bruder, hatte er die
kleine Blechkapſel mit der Blume von der Bruſt genom¬
men, wo er ſie ſeit jenem Abende trug, da er ſie irrend
als für ihn hingelegt aufgehoben. Als Chriſtiane ſei¬
nes Bruders Weib geworden war, packte er die Kapſel
mit der Blume ein und ſchickte ſie dem Bruder. Weg¬
werfen konnte er nicht, was ihm einmal theuer gewe¬
ſen, aber beſitzen durfte er die Blume nicht mehr.
Beſitzen durfte ſie nur der, für den ſie beſtimmt gewe¬
ſen, dem die Hand gehörte, die ſie gegeben hatte.
Der Vater rief ihn zurück; er mußte gehorchen.
Aber es war mehr als der bloße Gehorſam in ihm
lebendig. Er ging nicht allein; er ging gern. Des
Vaters Wort war ihm mehr eine Erlaubniß, als ein
Befehl. Wenn die Frühlingsſonne in ein Gemach
dringt, das den Winter über unbewohnt und verſchloſ¬
Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/42>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.