als wäre sie schon erfüllt. Wußte sie denn nicht, er war nur gekommen, um sie zu beleidigen?
Apollonius, auf den dies alles wie eine schwere Wolke drückte, wie eine unverstandene Ahnung, begriff nur das eine: der Bruder und die Schwägerin wichen ihm aus. Er vermied die Orte, die sie aufsuchten. Er hätte sie schon vermieden aus dem innersten Bedürf¬ niß seiner Natur, das auf Zusammenfassen, nicht auf Zerstreuen ging. Die Einsamkeit wurde ihm ein besser Heilmittel, als den Beiden die Zerstreuung. Er sah, wie anders die Schwägerin war, als sie ihm vordem geschienen. Er mußte sich Glück wünschen, daß seine süßesten Hoffnungen sich nicht erfüllt. Die Arbeit gab ihm genug Empfinden seiner selbst; was sie frei ließ, füllten die Kinder aus. In dem natürlichen Bedürf¬ niß ihres Alters, sich an einem fertigen Menschenbilde aufzuranken, das, Liebe gebend und nehmend, ihr Mu¬ ster wird, und ihr Maaß der Personen und Dinge, drängten sie sich um den Onkel, der ihrer so freundlich pflegte, als fremd die Aeltern sie vernachlässigten. Er wußte nicht, daß er damit die Schuld wachsen machte in seiner Rechnung beim Bruder.
Und der alte Herr im blauen Rock? Hatte er von den Wolken, die sich rings aufballten um sein Haus, in seiner Blindheit keine Ahnung? Oder war sie's, was ihn zuweilen anfaßte, wenn er, Apollonius begeg¬
als wäre ſie ſchon erfüllt. Wußte ſie denn nicht, er war nur gekommen, um ſie zu beleidigen?
Apollonius, auf den dies alles wie eine ſchwere Wolke drückte, wie eine unverſtandene Ahnung, begriff nur das eine: der Bruder und die Schwägerin wichen ihm aus. Er vermied die Orte, die ſie aufſuchten. Er hätte ſie ſchon vermieden aus dem innerſten Bedürf¬ niß ſeiner Natur, das auf Zuſammenfaſſen, nicht auf Zerſtreuen ging. Die Einſamkeit wurde ihm ein beſſer Heilmittel, als den Beiden die Zerſtreuung. Er ſah, wie anders die Schwägerin war, als ſie ihm vordem geſchienen. Er mußte ſich Glück wünſchen, daß ſeine ſüßeſten Hoffnungen ſich nicht erfüllt. Die Arbeit gab ihm genug Empfinden ſeiner ſelbſt; was ſie frei ließ, füllten die Kinder aus. In dem natürlichen Bedürf¬ niß ihres Alters, ſich an einem fertigen Menſchenbilde aufzuranken, das, Liebe gebend und nehmend, ihr Mu¬ ſter wird, und ihr Maaß der Perſonen und Dinge, drängten ſie ſich um den Onkel, der ihrer ſo freundlich pflegte, als fremd die Aeltern ſie vernachläſſigten. Er wußte nicht, daß er damit die Schuld wachſen machte in ſeiner Rechnung beim Bruder.
Und der alte Herr im blauen Rock? Hatte er von den Wolken, die ſich rings aufballten um ſein Haus, in ſeiner Blindheit keine Ahnung? Oder war ſie's, was ihn zuweilen anfaßte, wenn er, Apollonius begeg¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0094"n="85"/>
als wäre ſie ſchon erfüllt. Wußte ſie denn nicht, er<lb/>
war nur gekommen, um ſie zu beleidigen?</p><lb/><p>Apollonius, auf den dies alles wie eine ſchwere<lb/>
Wolke drückte, wie eine unverſtandene Ahnung, begriff<lb/>
nur das eine: der Bruder und die Schwägerin wichen<lb/>
ihm aus. Er vermied die Orte, die ſie aufſuchten.<lb/>
Er hätte ſie ſchon vermieden aus dem innerſten Bedürf¬<lb/>
niß ſeiner Natur, das auf Zuſammenfaſſen, nicht auf<lb/>
Zerſtreuen ging. Die Einſamkeit wurde ihm ein beſſer<lb/>
Heilmittel, als den Beiden die Zerſtreuung. Er ſah,<lb/>
wie anders die Schwägerin war, als ſie ihm vordem<lb/>
geſchienen. Er mußte ſich Glück wünſchen, daß ſeine<lb/>ſüßeſten Hoffnungen ſich nicht erfüllt. Die Arbeit gab<lb/>
ihm genug Empfinden ſeiner ſelbſt; was ſie frei ließ,<lb/>
füllten die Kinder aus. In dem natürlichen Bedürf¬<lb/>
niß ihres Alters, ſich an einem fertigen Menſchenbilde<lb/>
aufzuranken, das, Liebe gebend und nehmend, ihr Mu¬<lb/>ſter wird, und ihr Maaß der Perſonen und Dinge,<lb/>
drängten ſie ſich um den Onkel, der ihrer ſo freundlich<lb/>
pflegte, als fremd die Aeltern ſie vernachläſſigten. Er<lb/>
wußte nicht, daß er damit die Schuld wachſen machte<lb/>
in ſeiner Rechnung beim Bruder.</p><lb/><p>Und der alte Herr im blauen Rock? Hatte er von<lb/>
den Wolken, die ſich rings aufballten um ſein Haus,<lb/>
in ſeiner Blindheit keine Ahnung? Oder war ſie's,<lb/>
was ihn zuweilen anfaßte, wenn er, Apollonius begeg¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[85/0094]
als wäre ſie ſchon erfüllt. Wußte ſie denn nicht, er
war nur gekommen, um ſie zu beleidigen?
Apollonius, auf den dies alles wie eine ſchwere
Wolke drückte, wie eine unverſtandene Ahnung, begriff
nur das eine: der Bruder und die Schwägerin wichen
ihm aus. Er vermied die Orte, die ſie aufſuchten.
Er hätte ſie ſchon vermieden aus dem innerſten Bedürf¬
niß ſeiner Natur, das auf Zuſammenfaſſen, nicht auf
Zerſtreuen ging. Die Einſamkeit wurde ihm ein beſſer
Heilmittel, als den Beiden die Zerſtreuung. Er ſah,
wie anders die Schwägerin war, als ſie ihm vordem
geſchienen. Er mußte ſich Glück wünſchen, daß ſeine
ſüßeſten Hoffnungen ſich nicht erfüllt. Die Arbeit gab
ihm genug Empfinden ſeiner ſelbſt; was ſie frei ließ,
füllten die Kinder aus. In dem natürlichen Bedürf¬
niß ihres Alters, ſich an einem fertigen Menſchenbilde
aufzuranken, das, Liebe gebend und nehmend, ihr Mu¬
ſter wird, und ihr Maaß der Perſonen und Dinge,
drängten ſie ſich um den Onkel, der ihrer ſo freundlich
pflegte, als fremd die Aeltern ſie vernachläſſigten. Er
wußte nicht, daß er damit die Schuld wachſen machte
in ſeiner Rechnung beim Bruder.
Und der alte Herr im blauen Rock? Hatte er von
den Wolken, die ſich rings aufballten um ſein Haus,
in ſeiner Blindheit keine Ahnung? Oder war ſie's,
was ihn zuweilen anfaßte, wenn er, Apollonius begeg¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/94>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.