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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Wie die Art der erregenden Einwirkung die Geruchstärke bestimmt.
fernt angenähert aus der Menge von Stoff, welche in einem gegebenen
Luftvolum enthalten war, das in der Zeiteinheit bei einer Einathmung
durch die Nase strich. Aus solchen Schätzungen schliesst Valentin *),
dass wenn gleichzeitig auf den Geruchsflächen vertheilt sind noch weni-
ger als 0,0016 Milligram Brom, 0,02 M.G. Phosphorwasserstoff, 0,002
M.G Schwefelwasserstoff, 0,00005 M.G. Rosenöl deutliche Empfindung
entstehe, dass Moschus aber in noch viel geringerer Menge schon stark
rieche. Diese Thatsachen zeigen nicht allein, dass eine grosse Feinheit
der Geruchsreaktion, sondern auch, dass eine Scala der Verschiedenheit
für die Wirksamkeit der Riechstoffe besteht; es bleibt zweifelhaft, ob die-
ses herrührt von dem Widerstand, den die Umgebungen des Nerven dem
Durchdringen der Riechstoffe entgegen stellen, oder von einem eigen-
thümlichen Verhalten der Nerven selbst. In welchem Verhältniss mit der
Menge der in der Nase vorhandenen Riechstoffe die Stärke des Geruches
wächst, wissen wir begreiflich nicht; nur das ist bekannt, dass wenn wir
mit nur einer Nasenhälfte riechen, die Empfindung schwächer ist als bei
Einziehen der Luft in beide Nasenöffnungen. -- b) Die Dauer der An-
wesenheit eines Riechstoffes wirkt nach entgegengesetzten Richtun-
gen bestimmend auf die Geruchsstärke. Einmal steigert sich, nament-
lich bei sehr verdünnten Riechstoffen mit der Dauer ihrer Anwesenheit
die Intensität des Geruchs (Valentin), dann aber nimmt allgemein
mit der Dauer der Einwirkung die Geruchsintensität ab. Diese Abstum-
pfung führen im Allgemeinen dichtere Riechstoffe eher herbei als ver-
dünnte; einzelne Substanzen, wie z. B. conzentrirter Moschus, sollen
nach Valentin so vernichtend wirken, dass der Zeitraum, in dem sie
Empfindung erregen, verschwindend klein ist. Aus dieser Eigenschaft
der Geruchswerkzeuge erläutert sich vielleicht auch die Erscheinung,
dass die von dem riechenden Individuum selbst dauernd ausströmenden
Gerüche nicht empfunden werden. g) Luftströme, welche mit riechen-
den Stoffen geschwängert sind, erzeugen vorzugsweise Empfindungen,
wenn sie mit einer grossen Beschleunigung durch die Nase in der Rich-
tung von vorn nach hinten dringen; demgemäss erweitern wir unwill-
kürlich die Nasenmündung und ziehen rasch und stossweise die Luft
ein, wenn wir einen Gegenstand auf seinen Geruch prüfen wollen. Man
darf nach den vorliegenden Thatsachen schliessen, dass die nächste
Wirkung der rascheren Luftströme darin bestehe, die Geruchsflächen
auf eine vollkommenere Art mit den Riechstoffen in Berührung zu brin-
gen indem theils durch den Anstoss des Stromes und theils durch die
Reibung desselben ein die Absorption befördernder Druck erzeugt wird.
Ob sich aus diesem Gesichtspunkt auch die Thatsache erläutern lässt,
dass die aus der Lunge kommenden Luftströme weniger geeignet sind,
die Geruchsempfindung zu erwecken, als die in die Lunge tretenden,
bedarf genauerer Untersuchungen.

*) l. c. p. 281 u. f.

Wie die Art der erregenden Einwirkung die Geruchstärke bestimmt.
fernt angenähert aus der Menge von Stoff, welche in einem gegebenen
Luftvolum enthalten war, das in der Zeiteinheit bei einer Einathmung
durch die Nase strich. Aus solchen Schätzungen schliesst Valentin *),
dass wenn gleichzeitig auf den Geruchsflächen vertheilt sind noch weni-
ger als 0,0016 Milligram Brom, 0,02 M.G. Phosphorwasserstoff, 0,002
M.G Schwefelwasserstoff, 0,00005 M.G. Rosenöl deutliche Empfindung
entstehe, dass Moschus aber in noch viel geringerer Menge schon stark
rieche. Diese Thatsachen zeigen nicht allein, dass eine grosse Feinheit
der Geruchsreaktion, sondern auch, dass eine Scala der Verschiedenheit
für die Wirksamkeit der Riechstoffe besteht; es bleibt zweifelhaft, ob die-
ses herrührt von dem Widerstand, den die Umgebungen des Nerven dem
Durchdringen der Riechstoffe entgegen stellen, oder von einem eigen-
thümlichen Verhalten der Nerven selbst. In welchem Verhältniss mit der
Menge der in der Nase vorhandenen Riechstoffe die Stärke des Geruches
wächst, wissen wir begreiflich nicht; nur das ist bekannt, dass wenn wir
mit nur einer Nasenhälfte riechen, die Empfindung schwächer ist als bei
Einziehen der Luft in beide Nasenöffnungen. — β) Die Dauer der An-
wesenheit eines Riechstoffes wirkt nach entgegengesetzten Richtun-
gen bestimmend auf die Geruchsstärke. Einmal steigert sich, nament-
lich bei sehr verdünnten Riechstoffen mit der Dauer ihrer Anwesenheit
die Intensität des Geruchs (Valentin), dann aber nimmt allgemein
mit der Dauer der Einwirkung die Geruchsintensität ab. Diese Abstum-
pfung führen im Allgemeinen dichtere Riechstoffe eher herbei als ver-
dünnte; einzelne Substanzen, wie z. B. conzentrirter Moschus, sollen
nach Valentin so vernichtend wirken, dass der Zeitraum, in dem sie
Empfindung erregen, verschwindend klein ist. Aus dieser Eigenschaft
der Geruchswerkzeuge erläutert sich vielleicht auch die Erscheinung,
dass die von dem riechenden Individuum selbst dauernd ausströmenden
Gerüche nicht empfunden werden. γ) Luftströme, welche mit riechen-
den Stoffen geschwängert sind, erzeugen vorzugsweise Empfindungen,
wenn sie mit einer grossen Beschleunigung durch die Nase in der Rich-
tung von vorn nach hinten dringen; demgemäss erweitern wir unwill-
kürlich die Nasenmündung und ziehen rasch und stossweise die Luft
ein, wenn wir einen Gegenstand auf seinen Geruch prüfen wollen. Man
darf nach den vorliegenden Thatsachen schliessen, dass die nächste
Wirkung der rascheren Luftströme darin bestehe, die Geruchsflächen
auf eine vollkommenere Art mit den Riechstoffen in Berührung zu brin-
gen indem theils durch den Anstoss des Stromes und theils durch die
Reibung desselben ein die Absorption befördernder Druck erzeugt wird.
Ob sich aus diesem Gesichtspunkt auch die Thatsache erläutern lässt,
dass die aus der Lunge kommenden Luftströme weniger geeignet sind,
die Geruchsempfindung zu erwecken, als die in die Lunge tretenden,
bedarf genauerer Untersuchungen.

*) l. c. p. 281 u. f.
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[290/0304] Wie die Art der erregenden Einwirkung die Geruchstärke bestimmt. fernt angenähert aus der Menge von Stoff, welche in einem gegebenen Luftvolum enthalten war, das in der Zeiteinheit bei einer Einathmung durch die Nase strich. Aus solchen Schätzungen schliesst Valentin *), dass wenn gleichzeitig auf den Geruchsflächen vertheilt sind noch weni- ger als 0,0016 Milligram Brom, 0,02 M.G. Phosphorwasserstoff, 0,002 M.G Schwefelwasserstoff, 0,00005 M.G. Rosenöl deutliche Empfindung entstehe, dass Moschus aber in noch viel geringerer Menge schon stark rieche. Diese Thatsachen zeigen nicht allein, dass eine grosse Feinheit der Geruchsreaktion, sondern auch, dass eine Scala der Verschiedenheit für die Wirksamkeit der Riechstoffe besteht; es bleibt zweifelhaft, ob die- ses herrührt von dem Widerstand, den die Umgebungen des Nerven dem Durchdringen der Riechstoffe entgegen stellen, oder von einem eigen- thümlichen Verhalten der Nerven selbst. In welchem Verhältniss mit der Menge der in der Nase vorhandenen Riechstoffe die Stärke des Geruches wächst, wissen wir begreiflich nicht; nur das ist bekannt, dass wenn wir mit nur einer Nasenhälfte riechen, die Empfindung schwächer ist als bei Einziehen der Luft in beide Nasenöffnungen. — β) Die Dauer der An- wesenheit eines Riechstoffes wirkt nach entgegengesetzten Richtun- gen bestimmend auf die Geruchsstärke. Einmal steigert sich, nament- lich bei sehr verdünnten Riechstoffen mit der Dauer ihrer Anwesenheit die Intensität des Geruchs (Valentin), dann aber nimmt allgemein mit der Dauer der Einwirkung die Geruchsintensität ab. Diese Abstum- pfung führen im Allgemeinen dichtere Riechstoffe eher herbei als ver- dünnte; einzelne Substanzen, wie z. B. conzentrirter Moschus, sollen nach Valentin so vernichtend wirken, dass der Zeitraum, in dem sie Empfindung erregen, verschwindend klein ist. Aus dieser Eigenschaft der Geruchswerkzeuge erläutert sich vielleicht auch die Erscheinung, dass die von dem riechenden Individuum selbst dauernd ausströmenden Gerüche nicht empfunden werden. γ) Luftströme, welche mit riechen- den Stoffen geschwängert sind, erzeugen vorzugsweise Empfindungen, wenn sie mit einer grossen Beschleunigung durch die Nase in der Rich- tung von vorn nach hinten dringen; demgemäss erweitern wir unwill- kürlich die Nasenmündung und ziehen rasch und stossweise die Luft ein, wenn wir einen Gegenstand auf seinen Geruch prüfen wollen. Man darf nach den vorliegenden Thatsachen schliessen, dass die nächste Wirkung der rascheren Luftströme darin bestehe, die Geruchsflächen auf eine vollkommenere Art mit den Riechstoffen in Berührung zu brin- gen indem theils durch den Anstoss des Stromes und theils durch die Reibung desselben ein die Absorption befördernder Druck erzeugt wird. Ob sich aus diesem Gesichtspunkt auch die Thatsache erläutern lässt, dass die aus der Lunge kommenden Luftströme weniger geeignet sind, die Geruchsempfindung zu erwecken, als die in die Lunge tretenden, bedarf genauerer Untersuchungen. *) l. c. p. 281 u. f.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/304>, abgerufen am 21.11.2024.