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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Proportionaler Gesammtverlust.
[Tabelle]

Am letzten Tage sank die Temperatur sehr rasch; war sie auf 26° angelangt, so
gingen die Thiere zu Grunde.

Die Zählung der Athembewegungen stellte fest:

[Tabelle]

Vereinigt man alle Zählungen der Athembewegung bis zum Tage vor dem Hun-
gertode, so erhält man um Mittag 22 und um Mitternacht 24 Athemzüge in der Minute;
während der hinreichenden Ernährung athmeten die Tauben am Mittag 36 mal und
um Mitternacht 32 mal in der Minute. Das auffallende Ergebniss, dass bei der ver-
hungernden Taube in der Nacht die Athemfolge rascher wurde, ist nach Chossat
wahrscheinlich in einem Beobachtungsfehler begründet, der eingeführt wurde durch
das Aufschrecken der Thiere aus dem leisen Schlafe, den sie während der Hunger-
zeit geniessen. Am letzten Lebenstage sank das Minutenmittel der Athemzüge auf
19 herab.

2. Der proportionale Gesammtverlust, oder der Quotient aus der
Gewichtsabnahme des Thieres während der ganzen Hungerzeit in das
Körpergewicht vor Beginn der letzteren, ist ebenfalls sehr veränderlich
gefunden worden, und insbesondere haben die Beobachtungen von Chos-
sat
aufgedeckt, dass junge magere Turteltauben (mittleres Anfangsge-
wicht = 110 Gr.) im Mittel schon bei einem proportionalen Gesammt-
verlust von 0,25 starben, während er bei älteren fetten (mittleres An-
fangsgewicht = 189 Gr.) den Werth von 0,46 erreichen musste, bevor
sie zu Grunde gingen. Diese Erscheinung findet ihre Erklärung darin,
dass eine gleichwerthige Abzehrung verschiedener Organe des Thierkör-
pers von ganz ungleichen Folgen für das Bestehen des Lebens sein
muss, wie z. B. offenbar die Abmagerung der Herzmuskeln und des
Hirns viel eingreifender wirkt, als die des Fettes, des Bindegewebes, des
Skeletts und seiner Muskeln. Da aber die Thiere, welche einen gerin-
geren proportionalen Gesammtverlust ertrugen, auch nach viel kürzerer
Zeit (nach 3 Tagen) hinstarben, als die alten und fetten (nach 13 Ta-
gen), so folgt auch aus den gemachten Mittheilungen, dass ein Reich-
thum an Skelettmuskeln und Fett die wichtigeren Organe vor wesentli-
chem Verlust zu schützen vermag, sei es, dass die umsetzenden Einflüsse
nicht eher die letzteren Gebilde angreifen, bevor die ersteren bis zu einem
gewissen Grade aufgezehrt sind, oder sei es, wie wahrscheinlicher, dass

Proportionaler Gesammtverlust.
[Tabelle]

Am letzten Tage sank die Temperatur sehr rasch; war sie auf 26° angelangt, so
gingen die Thiere zu Grunde.

Die Zählung der Athembewegungen stellte fest:

[Tabelle]

Vereinigt man alle Zählungen der Athembewegung bis zum Tage vor dem Hun-
gertode, so erhält man um Mittag 22 und um Mitternacht 24 Athemzüge in der Minute;
während der hinreichenden Ernährung athmeten die Tauben am Mittag 36 mal und
um Mitternacht 32 mal in der Minute. Das auffallende Ergebniss, dass bei der ver-
hungernden Taube in der Nacht die Athemfolge rascher wurde, ist nach Chossat
wahrscheinlich in einem Beobachtungsfehler begründet, der eingeführt wurde durch
das Aufschrecken der Thiere aus dem leisen Schlafe, den sie während der Hunger-
zeit geniessen. Am letzten Lebenstage sank das Minutenmittel der Athemzüge auf
19 herab.

2. Der proportionale Gesammtverlust, oder der Quotient aus der
Gewichtsabnahme des Thieres während der ganzen Hungerzeit in das
Körpergewicht vor Beginn der letzteren, ist ebenfalls sehr veränderlich
gefunden worden, und insbesondere haben die Beobachtungen von Chos-
sat
aufgedeckt, dass junge magere Turteltauben (mittleres Anfangsge-
wicht = 110 Gr.) im Mittel schon bei einem proportionalen Gesammt-
verlust von 0,25 starben, während er bei älteren fetten (mittleres An-
fangsgewicht = 189 Gr.) den Werth von 0,46 erreichen musste, bevor
sie zu Grunde gingen. Diese Erscheinung findet ihre Erklärung darin,
dass eine gleichwerthige Abzehrung verschiedener Organe des Thierkör-
pers von ganz ungleichen Folgen für das Bestehen des Lebens sein
muss, wie z. B. offenbar die Abmagerung der Herzmuskeln und des
Hirns viel eingreifender wirkt, als die des Fettes, des Bindegewebes, des
Skeletts und seiner Muskeln. Da aber die Thiere, welche einen gerin-
geren proportionalen Gesammtverlust ertrugen, auch nach viel kürzerer
Zeit (nach 3 Tagen) hinstarben, als die alten und fetten (nach 13 Ta-
gen), so folgt auch aus den gemachten Mittheilungen, dass ein Reich-
thum an Skelettmuskeln und Fett die wichtigeren Organe vor wesentli-
chem Verlust zu schützen vermag, sei es, dass die umsetzenden Einflüsse
nicht eher die letzteren Gebilde angreifen, bevor die ersteren bis zu einem
gewissen Grade aufgezehrt sind, oder sei es, wie wahrscheinlicher, dass

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[434/0450] Proportionaler Gesammtverlust. Am letzten Tage sank die Temperatur sehr rasch; war sie auf 26° angelangt, so gingen die Thiere zu Grunde. Die Zählung der Athembewegungen stellte fest: Vereinigt man alle Zählungen der Athembewegung bis zum Tage vor dem Hun- gertode, so erhält man um Mittag 22 und um Mitternacht 24 Athemzüge in der Minute; während der hinreichenden Ernährung athmeten die Tauben am Mittag 36 mal und um Mitternacht 32 mal in der Minute. Das auffallende Ergebniss, dass bei der ver- hungernden Taube in der Nacht die Athemfolge rascher wurde, ist nach Chossat wahrscheinlich in einem Beobachtungsfehler begründet, der eingeführt wurde durch das Aufschrecken der Thiere aus dem leisen Schlafe, den sie während der Hunger- zeit geniessen. Am letzten Lebenstage sank das Minutenmittel der Athemzüge auf 19 herab. 2. Der proportionale Gesammtverlust, oder der Quotient aus der Gewichtsabnahme des Thieres während der ganzen Hungerzeit in das Körpergewicht vor Beginn der letzteren, ist ebenfalls sehr veränderlich gefunden worden, und insbesondere haben die Beobachtungen von Chos- sat aufgedeckt, dass junge magere Turteltauben (mittleres Anfangsge- wicht = 110 Gr.) im Mittel schon bei einem proportionalen Gesammt- verlust von 0,25 starben, während er bei älteren fetten (mittleres An- fangsgewicht = 189 Gr.) den Werth von 0,46 erreichen musste, bevor sie zu Grunde gingen. Diese Erscheinung findet ihre Erklärung darin, dass eine gleichwerthige Abzehrung verschiedener Organe des Thierkör- pers von ganz ungleichen Folgen für das Bestehen des Lebens sein muss, wie z. B. offenbar die Abmagerung der Herzmuskeln und des Hirns viel eingreifender wirkt, als die des Fettes, des Bindegewebes, des Skeletts und seiner Muskeln. Da aber die Thiere, welche einen gerin- geren proportionalen Gesammtverlust ertrugen, auch nach viel kürzerer Zeit (nach 3 Tagen) hinstarben, als die alten und fetten (nach 13 Ta- gen), so folgt auch aus den gemachten Mittheilungen, dass ein Reich- thum an Skelettmuskeln und Fett die wichtigeren Organe vor wesentli- chem Verlust zu schützen vermag, sei es, dass die umsetzenden Einflüsse nicht eher die letzteren Gebilde angreifen, bevor die ersteren bis zu einem gewissen Grade aufgezehrt sind, oder sei es, wie wahrscheinlicher, dass

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/450>, abgerufen am 22.11.2024.