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Lüders, Else: Das Interesse des Staates am Frauenstimmrecht. Berlin, 1908.

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die diese Forderung der Gerechtigkeit erfüllt haben, bekundet, daß
das geistige und sittliche Niveau der Parlamente eine Steigerung
erfahren habe, weil die weiblichen Wähler nicht als blindes
Stimmvieh für die von den Parteien aufgestellten Kandidaten
zu haben sind, sondern einen strengen Maßstab an die Per-
sönlichkeit
des zu Wählenden zu legen. Man macht den
Frauen oft zum Vorwurf, daß sie zu "persönlich" seien,
aber jeder Fehler, außer vielleicht Neid und Geiz, enthält auch
in sich eine Lichtseite, und es hat sich oft schon gezeigt, daß
Frauen ein schnelleres Erkennen für den Charakter eines Menschen
haben, als Männer. Wenn sie diese ihre Eigenschaft, auf das
Persönliche Wert zu legen, dazu anwenden, um geistig und sittlich
hochstehende Persönlichkeiten ins Parlament zu bringen, und
wenn sie namentlich Kandidaten, die in der Sittlichkeitsfrage
nicht intakt sind, einmütig ablehnen, ohne Rücksicht auf Partei-
stellung oder Parteikommando, so leisten sie damit dem Staate
für sein Parlament einen großen Dienst.

Aber die Frauen werden nicht nur Wert legen auf die
Persönlichkeiten der Vertreter, die sie in die Parlamente schicken,
auch ihre eigenen Persönlichkeiten werden wachsen, und das,
meine ich, liegt auch im Jnteresse des Staates, wenn diejenigen,
die dem Staate neue Bürger schenken und erziehen sollen, nicht
unreifen Kindern gleichen, sondern entwickelte Persönlichkeiten
sind. Der Mitarbeiter Steins, Frey, ein Schüler Kants, der
eigentliche Verfasser des Entwurfs der Städteordnung, begann
seinen Entwurf mit den Worten: "Zutrauen veredelt den Menschen,
ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen, " Paßt dies Wort
nicht genau auf das Schicksal der Frauen? Man sagt ja aller-
dings oft: Politik verdirbt den Charakter und darum will
man die Frauen vor der Berührung mit der Politik behüten.
Aber das muß ein jämmerlicher Charakter sein, der durch die
Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegenheiten, mit dem
Wohle seines Vaterlandes verdorben wird - der war schon
vorher durch und durch morsch. Und wo bei der Tätigkeit im
öffentlichen Leben persönlicher Ehrgeiz und Eitelkeit zu Tage
treten, da waren diese Charakterfehler schon vorher vorhanden.
Nein, es gibt viele, viele Frauen gerade in den Reihen der

die diese Forderung der Gerechtigkeit erfüllt haben, bekundet, daß
das geistige und sittliche Niveau der Parlamente eine Steigerung
erfahren habe, weil die weiblichen Wähler nicht als blindes
Stimmvieh für die von den Parteien aufgestellten Kandidaten
zu haben sind, sondern einen strengen Maßstab an die Per-
sönlichkeit
des zu Wählenden zu legen. Man macht den
Frauen oft zum Vorwurf, daß sie zu „persönlich“ seien,
aber jeder Fehler, außer vielleicht Neid und Geiz, enthält auch
in sich eine Lichtseite, und es hat sich oft schon gezeigt, daß
Frauen ein schnelleres Erkennen für den Charakter eines Menschen
haben, als Männer. Wenn sie diese ihre Eigenschaft, auf das
Persönliche Wert zu legen, dazu anwenden, um geistig und sittlich
hochstehende Persönlichkeiten ins Parlament zu bringen, und
wenn sie namentlich Kandidaten, die in der Sittlichkeitsfrage
nicht intakt sind, einmütig ablehnen, ohne Rücksicht auf Partei-
stellung oder Parteikommando, so leisten sie damit dem Staate
für sein Parlament einen großen Dienst.

Aber die Frauen werden nicht nur Wert legen auf die
Persönlichkeiten der Vertreter, die sie in die Parlamente schicken,
auch ihre eigenen Persönlichkeiten werden wachsen, und das,
meine ich, liegt auch im Jnteresse des Staates, wenn diejenigen,
die dem Staate neue Bürger schenken und erziehen sollen, nicht
unreifen Kindern gleichen, sondern entwickelte Persönlichkeiten
sind. Der Mitarbeiter Steins, Frey, ein Schüler Kants, der
eigentliche Verfasser des Entwurfs der Städteordnung, begann
seinen Entwurf mit den Worten: „Zutrauen veredelt den Menschen,
ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen, “ Paßt dies Wort
nicht genau auf das Schicksal der Frauen? Man sagt ja aller-
dings oft: Politik verdirbt den Charakter und darum will
man die Frauen vor der Berührung mit der Politik behüten.
Aber das muß ein jämmerlicher Charakter sein, der durch die
Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegenheiten, mit dem
Wohle seines Vaterlandes verdorben wird – der war schon
vorher durch und durch morsch. Und wo bei der Tätigkeit im
öffentlichen Leben persönlicher Ehrgeiz und Eitelkeit zu Tage
treten, da waren diese Charakterfehler schon vorher vorhanden.
Nein, es gibt viele, viele Frauen gerade in den Reihen der

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[11/0014] die diese Forderung der Gerechtigkeit erfüllt haben, bekundet, daß das geistige und sittliche Niveau der Parlamente eine Steigerung erfahren habe, weil die weiblichen Wähler nicht als blindes Stimmvieh für die von den Parteien aufgestellten Kandidaten zu haben sind, sondern einen strengen Maßstab an die Per- sönlichkeit des zu Wählenden zu legen. Man macht den Frauen oft zum Vorwurf, daß sie zu „persönlich“ seien, aber jeder Fehler, außer vielleicht Neid und Geiz, enthält auch in sich eine Lichtseite, und es hat sich oft schon gezeigt, daß Frauen ein schnelleres Erkennen für den Charakter eines Menschen haben, als Männer. Wenn sie diese ihre Eigenschaft, auf das Persönliche Wert zu legen, dazu anwenden, um geistig und sittlich hochstehende Persönlichkeiten ins Parlament zu bringen, und wenn sie namentlich Kandidaten, die in der Sittlichkeitsfrage nicht intakt sind, einmütig ablehnen, ohne Rücksicht auf Partei- stellung oder Parteikommando, so leisten sie damit dem Staate für sein Parlament einen großen Dienst. Aber die Frauen werden nicht nur Wert legen auf die Persönlichkeiten der Vertreter, die sie in die Parlamente schicken, auch ihre eigenen Persönlichkeiten werden wachsen, und das, meine ich, liegt auch im Jnteresse des Staates, wenn diejenigen, die dem Staate neue Bürger schenken und erziehen sollen, nicht unreifen Kindern gleichen, sondern entwickelte Persönlichkeiten sind. Der Mitarbeiter Steins, Frey, ein Schüler Kants, der eigentliche Verfasser des Entwurfs der Städteordnung, begann seinen Entwurf mit den Worten: „Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen, “ Paßt dies Wort nicht genau auf das Schicksal der Frauen? Man sagt ja aller- dings oft: Politik verdirbt den Charakter und darum will man die Frauen vor der Berührung mit der Politik behüten. Aber das muß ein jämmerlicher Charakter sein, der durch die Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegenheiten, mit dem Wohle seines Vaterlandes verdorben wird – der war schon vorher durch und durch morsch. Und wo bei der Tätigkeit im öffentlichen Leben persönlicher Ehrgeiz und Eitelkeit zu Tage treten, da waren diese Charakterfehler schon vorher vorhanden. Nein, es gibt viele, viele Frauen gerade in den Reihen der

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-08-18T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-08-18T15:22:18Z)

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Zitationshilfe: Lüders, Else: Das Interesse des Staates am Frauenstimmrecht. Berlin, 1908, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lueders_interesse_1908/14>, abgerufen am 28.03.2024.