Lütkemann, Joachim: Harpffe Von zehen Seyten. Frankfurt/Leipzig, 1674.Die erste Betrachtung. wir auß einer Noth in die ander fallen/ stehen wir als in der Kelter/ und werden wie die Trau- ben gepresset/ daß Safft und Krafft sich verlie- ret. Hie/ sage ich/ werden auch heilige Leute zu Thoren/ und thun allezeit nicht was das beste ist. Die Noth entschuldiget zwar viel/ aber nicht alles. Nach dem gemeinen Sprüchwort hat die Noth kein Gesetz. Ich aber halte dafür/ daß die Noth Thorheit lehre/ so offt sie sich nicht wil vom Gesetz regieren lassen. Also lässet sich nicht alles damit entschüldigen/ daß es auß Noth geschehen. Doch bekenne ich dabey/ daß für Weißheit zu achten/ sich zu rechter Zeit thöricht stellen. Wir wandeln hie/ als auff einem öffentlichen Schau- platz/ darauff wir mit all erhand Kleidung zu be- kleiden seyn. Ein kluger Mann ists/ der in alle Zeit sich recht zu schicken weiß. Diese Thorheit/ der wir hier unterworffen seyn/ soll die Heiligen bewegen/ auß dieser Welt als auß dem Narren- Hause zu eilen/ und sich nach der Freyheit zu sehnen. Eins ist hie insonderheit zu mercken/ daß die Gläu-
Die erſte Betrachtung. wir auß einer Noth in die ander fallen/ ſtehen wir als in der Kelter/ und werden wie die Trau- ben gepreſſet/ daß Safft und Krafft ſich verlie- ret. Hie/ ſage ich/ werden auch heilige Leute zu Thoren/ und thun allezeit nicht was das beſte iſt. Die Noth entſchuldiget zwar viel/ aber nicht alles. Nach dem gemeinen Sprüchwort hat die Noth kein Geſetz. Ich aber halte dafür/ daß die Noth Thorheit lehre/ ſo offt ſie ſich nicht wil vom Geſetz regieren laſſen. Alſo läſſet ſich nicht alles damit entſchüldigen/ daß es auß Noth geſchehen. Doch bekenne ich dabey/ daß für Weißheit zu achten/ ſich zu rechter Zeit thöricht ſtellen. Wir wandeln hie/ als auff einem öffentlichen Schau- platz/ darauff wir mit all erhand Kleidung zu be- kleiden ſeyn. Ein kluger Mann iſts/ der in alle Zeit ſich recht zu ſchicken weiß. Dieſe Thorheit/ der wir hier unterworffen ſeyn/ ſoll die Heiligen bewegen/ auß dieſer Welt als auß dem Narren- Hauſe zu eilen/ und ſich nach der Freyheit zu ſehnen. Eins iſt hie inſonderheit zu mercken/ daß die Gläu-
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Die erſte Betrachtung.
wir auß einer Noth in die ander fallen/ ſtehen
wir als in der Kelter/ und werden wie die Trau-
ben gepreſſet/ daß Safft und Krafft ſich verlie-
ret. Hie/ ſage ich/ werden auch heilige Leute zu
Thoren/ und thun allezeit nicht was das beſte
iſt. Die Noth entſchuldiget zwar viel/ aber nicht
alles. Nach dem gemeinen Sprüchwort hat die
Noth kein Geſetz. Ich aber halte dafür/ daß die
Noth Thorheit lehre/ ſo offt ſie ſich nicht wil vom
Geſetz regieren laſſen. Alſo läſſet ſich nicht alles
damit entſchüldigen/ daß es auß Noth geſchehen.
Doch bekenne ich dabey/ daß für Weißheit zu
achten/ ſich zu rechter Zeit thöricht ſtellen. Wir
wandeln hie/ als auff einem öffentlichen Schau-
platz/ darauff wir mit all erhand Kleidung zu be-
kleiden ſeyn. Ein kluger Mann iſts/ der in alle
Zeit ſich recht zu ſchicken weiß. Dieſe Thorheit/
der wir hier unterworffen ſeyn/ ſoll die Heiligen
bewegen/ auß dieſer Welt als auß dem Narren-
Hauſe zu eilen/ und ſich nach der Freyheit zu
ſehnen.
Eins iſt hie inſonderheit zu mercken/ daß die
Gottsfürchtige bey ihrem Gebet und Glauben
zu GOtt/ ſich auch müſſen fürſichtig gegen die
Menſchen verhalten/ nach der Regel Chriſti:
Seyd klug wie die Schlangen/ und ohn
Falſch/ wie die Tauben/ Matth. 10. v. 16. Der
Gläu-
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