lichen Nachrichten zu einem falschen Urtheil über die alten Völker verleitet werden. Es finden sich nämlich bei den alten Autoren einzelne Stellen, aus welchen viel tiefere Kenntnisse hervorzublicken scheinen, als man den betreffenden Völkern zuzuschreiben pflegt. Betrachten wir des Beispiels wegen nur eine Stelle bei Vitruv, "De architectura", Lib. IV, Cap. III, 6. Dieselbe lautet:
"Die Stimme aber ist ein fliessender Hauch und in- folge der Luftbewegung durch das Gehör vernehmlich; sie bewegt sich in unendlichen kreisförmigen Rundungen fort, wie in einem stehenden Wasser, wenn man einen Stein hineinwirft, unzählige Wellenkreise entstehen, welche wachsend sich soweit als möglich vom Mittel- punkt ausbreiten, wenn nicht die beengte Stelle sie unterbricht, oder irgendeine Störung, welche nicht ge- stattet, dass jene kreislinienförmigen Wellen bis ans Ende gelangen; denn so bringen die ersten Wellen- kreise, wenn sie durch Störungen unterbrochen werden, zurückwogend die Kreislinien der nachfolgenden in Un- ordnung. Nach demselben Gesetz bringt auch die Stimme solche Kreisbewegungen hervor, aber im Wasser bewegen sich die Kreise auf der Fläche bleibend nur in der Breite fort; die Stimme aber schreitet einerseits in der Breite vor und steigt andererseits stufenweise in die Höhe empor."
Meint man hier nicht einen populären Schriftsteller zu hören, dessen unvollkommene Auseinandersetzung auf uns gekommen ist, während vielleicht gediegenere Werke, aus welchen er geschöpft hat, verloren gegangen sind? Würden nicht auch wir nach Jahrtausenden in einem sonderbaren Lichte erscheinen, wenn nur unsere populäre Literatur, die ja auch der Masse wegen schwerer zerstörbar ist, die wissenschaftliche überdauern sollte? Freilich wird diese günstige Auffassung durch die Menge der andern Stellen wieder erschüttert, welche so grobe und offenbare Irrthümer enthalten, wie wir sie bei höherer wissenschaftlicher Cultur nicht für möglich halten können.
4. Wann, wo und in welcher Art die Entwickelung
1*
Einleitung.
lichen Nachrichten zu einem falschen Urtheil über die alten Völker verleitet werden. Es finden sich nämlich bei den alten Autoren einzelne Stellen, aus welchen viel tiefere Kenntnisse hervorzublicken scheinen, als man den betreffenden Völkern zuzuschreiben pflegt. Betrachten wir des Beispiels wegen nur eine Stelle bei Vitruv, „De architectura‟, Lib. IV, Cap. III, 6. Dieselbe lautet:
„Die Stimme aber ist ein fliessender Hauch und in- folge der Luftbewegung durch das Gehör vernehmlich; sie bewegt sich in unendlichen kreisförmigen Rundungen fort, wie in einem stehenden Wasser, wenn man einen Stein hineinwirft, unzählige Wellenkreise entstehen, welche wachsend sich soweit als möglich vom Mittel- punkt ausbreiten, wenn nicht die beengte Stelle sie unterbricht, oder irgendeine Störung, welche nicht ge- stattet, dass jene kreislinienförmigen Wellen bis ans Ende gelangen; denn so bringen die ersten Wellen- kreise, wenn sie durch Störungen unterbrochen werden, zurückwogend die Kreislinien der nachfolgenden in Un- ordnung. Nach demselben Gesetz bringt auch die Stimme solche Kreisbewegungen hervor, aber im Wasser bewegen sich die Kreise auf der Fläche bleibend nur in der Breite fort; die Stimme aber schreitet einerseits in der Breite vor und steigt andererseits stufenweise in die Höhe empor.‟
Meint man hier nicht einen populären Schriftsteller zu hören, dessen unvollkommene Auseinandersetzung auf uns gekommen ist, während vielleicht gediegenere Werke, aus welchen er geschöpft hat, verloren gegangen sind? Würden nicht auch wir nach Jahrtausenden in einem sonderbaren Lichte erscheinen, wenn nur unsere populäre Literatur, die ja auch der Masse wegen schwerer zerstörbar ist, die wissenschaftliche überdauern sollte? Freilich wird diese günstige Auffassung durch die Menge der andern Stellen wieder erschüttert, welche so grobe und offenbare Irrthümer enthalten, wie wir sie bei höherer wissenschaftlicher Cultur nicht für möglich halten können.
4. Wann, wo und in welcher Art die Entwickelung
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Einleitung.
lichen Nachrichten zu einem falschen Urtheil über die
alten Völker verleitet werden. Es finden sich nämlich
bei den alten Autoren einzelne Stellen, aus welchen viel
tiefere Kenntnisse hervorzublicken scheinen, als man den
betreffenden Völkern zuzuschreiben pflegt. Betrachten
wir des Beispiels wegen nur eine Stelle bei Vitruv,
„De architectura‟, Lib. IV, Cap. III, 6. Dieselbe lautet:
„Die Stimme aber ist ein fliessender Hauch und in-
folge der Luftbewegung durch das Gehör vernehmlich;
sie bewegt sich in unendlichen kreisförmigen Rundungen
fort, wie in einem stehenden Wasser, wenn man einen
Stein hineinwirft, unzählige Wellenkreise entstehen,
welche wachsend sich soweit als möglich vom Mittel-
punkt ausbreiten, wenn nicht die beengte Stelle sie
unterbricht, oder irgendeine Störung, welche nicht ge-
stattet, dass jene kreislinienförmigen Wellen bis ans
Ende gelangen; denn so bringen die ersten Wellen-
kreise, wenn sie durch Störungen unterbrochen werden,
zurückwogend die Kreislinien der nachfolgenden in Un-
ordnung. Nach demselben Gesetz bringt auch die
Stimme solche Kreisbewegungen hervor, aber im Wasser
bewegen sich die Kreise auf der Fläche bleibend nur
in der Breite fort; die Stimme aber schreitet einerseits
in der Breite vor und steigt andererseits stufenweise
in die Höhe empor.‟
Meint man hier nicht einen populären Schriftsteller
zu hören, dessen unvollkommene Auseinandersetzung auf
uns gekommen ist, während vielleicht gediegenere
Werke, aus welchen er geschöpft hat, verloren gegangen
sind? Würden nicht auch wir nach Jahrtausenden in
einem sonderbaren Lichte erscheinen, wenn nur unsere
populäre Literatur, die ja auch der Masse wegen schwerer
zerstörbar ist, die wissenschaftliche überdauern sollte?
Freilich wird diese günstige Auffassung durch die Menge
der andern Stellen wieder erschüttert, welche so grobe und
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4. Wann, wo und in welcher Art die Entwickelung
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/15>, abgerufen am 03.12.2024.
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