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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Einleitung.
der Wissenschaft wirklich begonnen hat, ist jetzt histo-
risch schwer zu ermitteln. Es scheint aber trotzdem
natürlich, anzunehmen, dass die instinctive Sammlung
von Erfahrungen der wissenschaftlichen Ordnung der-
selben vorausgegangen sei. Die Spuren dieses Pro-
cesses lassen sich an der heutigen Wissenschaft noch
nachweisen, ja wir können den Vorgang an uns selbst
gelegentlich beobachten. Die Erfahrungen, welche der
auf Befriedigung seiner Bedürfnisse ausgehende Mensch
unwillkürlich und instinctiv macht, verwendet er ebenso
gedankenlos und unbewusst. Hierher gehören z. B. die
ersten Erfahrungen, welche die Anwendung der Hebel
in den verschiedensten Formen betreffen. Was man
aber so gedankenlos und instinctiv findet, kann nie als
etwas Besonderes, nie als etwas Auffallendes erscheinen,
gibt in der Regel auch zu keinen weitern Gedanken
Anlass.

Der Uebergang zur geordneten, wissenschaftlichen
Erkenntniss und Auffassung der Thatsachen ist erst
dann möglich, wenn sich besondere Stände herausgebildet
haben, die sich die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse
der Gesellschaft zur Lebensaufgabe machen. Ein s[ol]cher
Stand beschäftigt sich mit besondern Klassen von
Naturvorgängen. Die Personen dieses Standes wechseln
aber; alte Mitglieder scheiden aus, neue treten ein.
Es ergibt sich nun die Nothwendigkeit, den neu Ein-
tretenden die vorhandenen Erfahrungen mitzutheilen,
die Nothwendigkeit, ihnen zu sagen, auf welche Um-
stände es bei der Erreichung eines gewissen Zieles eigent-
lich ankommt, um den Erfolg im voraus zu bestimmen.
Erst bei dieser Mittheilung wird man zu scharfer Ueber-
legung genöthigt, wie dies jeder heute noch an sich
selbst beobachten kann. Andererseits fällt dem neu ein-
tretenden Mitgliede eines Standes dasjenige, was die
übrigen gewohnheitsmässig treiben, als etwas Ungewöhn-
liches auf, und wird so ein Anlass zum Nachdenken
und zur Untersuchung.

Will man einem Andern gewisse Naturerscheinungen

Einleitung.
der Wissenschaft wirklich begonnen hat, ist jetzt histo-
risch schwer zu ermitteln. Es scheint aber trotzdem
natürlich, anzunehmen, dass die instinctive Sammlung
von Erfahrungen der wissenschaftlichen Ordnung der-
selben vorausgegangen sei. Die Spuren dieses Pro-
cesses lassen sich an der heutigen Wissenschaft noch
nachweisen, ja wir können den Vorgang an uns selbst
gelegentlich beobachten. Die Erfahrungen, welche der
auf Befriedigung seiner Bedürfnisse ausgehende Mensch
unwillkürlich und instinctiv macht, verwendet er ebenso
gedankenlos und unbewusst. Hierher gehören z. B. die
ersten Erfahrungen, welche die Anwendung der Hebel
in den verschiedensten Formen betreffen. Was man
aber so gedankenlos und instinctiv findet, kann nie als
etwas Besonderes, nie als etwas Auffallendes erscheinen,
gibt in der Regel auch zu keinen weitern Gedanken
Anlass.

Der Uebergang zur geordneten, wissenschaftlichen
Erkenntniss und Auffassung der Thatsachen ist erst
dann möglich, wenn sich besondere Stände herausgebildet
haben, die sich die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse
der Gesellschaft zur Lebensaufgabe machen. Ein s[ol]cher
Stand beschäftigt sich mit besondern Klassen von
Naturvorgängen. Die Personen dieses Standes wechseln
aber; alte Mitglieder scheiden aus, neue treten ein.
Es ergibt sich nun die Nothwendigkeit, den neu Ein-
tretenden die vorhandenen Erfahrungen mitzutheilen,
die Nothwendigkeit, ihnen zu sagen, auf welche Um-
stände es bei der Erreichung eines gewissen Zieles eigent-
lich ankommt, um den Erfolg im voraus zu bestimmen.
Erst bei dieser Mittheilung wird man zu scharfer Ueber-
legung genöthigt, wie dies jeder heute noch an sich
selbst beobachten kann. Andererseits fällt dem neu ein-
tretenden Mitgliede eines Standes dasjenige, was die
übrigen gewohnheitsmässig treiben, als etwas Ungewöhn-
liches auf, und wird so ein Anlass zum Nachdenken
und zur Untersuchung.

Will man einem Andern gewisse Naturerscheinungen

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[4/0016] Einleitung. der Wissenschaft wirklich begonnen hat, ist jetzt histo- risch schwer zu ermitteln. Es scheint aber trotzdem natürlich, anzunehmen, dass die instinctive Sammlung von Erfahrungen der wissenschaftlichen Ordnung der- selben vorausgegangen sei. Die Spuren dieses Pro- cesses lassen sich an der heutigen Wissenschaft noch nachweisen, ja wir können den Vorgang an uns selbst gelegentlich beobachten. Die Erfahrungen, welche der auf Befriedigung seiner Bedürfnisse ausgehende Mensch unwillkürlich und instinctiv macht, verwendet er ebenso gedankenlos und unbewusst. Hierher gehören z. B. die ersten Erfahrungen, welche die Anwendung der Hebel in den verschiedensten Formen betreffen. Was man aber so gedankenlos und instinctiv findet, kann nie als etwas Besonderes, nie als etwas Auffallendes erscheinen, gibt in der Regel auch zu keinen weitern Gedanken Anlass. Der Uebergang zur geordneten, wissenschaftlichen Erkenntniss und Auffassung der Thatsachen ist erst dann möglich, wenn sich besondere Stände herausgebildet haben, die sich die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse der Gesellschaft zur Lebensaufgabe machen. Ein solcher Stand beschäftigt sich mit besondern Klassen von Naturvorgängen. Die Personen dieses Standes wechseln aber; alte Mitglieder scheiden aus, neue treten ein. Es ergibt sich nun die Nothwendigkeit, den neu Ein- tretenden die vorhandenen Erfahrungen mitzutheilen, die Nothwendigkeit, ihnen zu sagen, auf welche Um- stände es bei der Erreichung eines gewissen Zieles eigent- lich ankommt, um den Erfolg im voraus zu bestimmen. Erst bei dieser Mittheilung wird man zu scharfer Ueber- legung genöthigt, wie dies jeder heute noch an sich selbst beobachten kann. Andererseits fällt dem neu ein- tretenden Mitgliede eines Standes dasjenige, was die übrigen gewohnheitsmässig treiben, als etwas Ungewöhn- liches auf, und wird so ein Anlass zum Nachdenken und zur Untersuchung. Will man einem Andern gewisse Naturerscheinungen

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/16>, abgerufen am 21.11.2024.