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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Zweites Kapitel.

"I. Die absolute, wahre und mathematische
Zeit verfliesst an sich und vermöge ihrer Natur gleich-
förmig, und ohne Beziehung auf irgendeinen äussern
Gegenstand. Sie wird auch mit dem Namen Dauer
belegt.

"Die relative, scheinbare und gewöhnliche Zeit ist
ein fühlbares und äusserliches, entweder genaues oder
ungleiches Maass der Dauer, dessen man sich gewöhn-
lich statt der wahren Zeit bedient, wie Stunde, Tag,
Monat, Jahr.

-- -- -- "Die natürlichen Tage, welche gewöhnlich
als Zeitmaass für gleich gehalten werden, sind nämlich
eigentlich ungleich. Diese Ungleichheit verbessern die
Astronomen, indem sie die Bewegung der Himmelskörper
nach der richtigen Zeit messen. Es ist möglich, dass
keine gleichförmige Bewegung existire, durch welche
die Zeit genau gemessen werden kann, alle Bewegungen
können beschleunigt oder verzögert werden; allein der
Verlauf der absoluten Zeit kann nicht geändert wer-
den. Dieselbe Dauer und dasselbe Verharren findet
für die Existenz aller Dinge statt; mögen die Bewegungen
geschwind, langsam oder Null sein."

2. Es scheint, als ob Newton bei den eben ange-
führten Bemerkungen noch unter dem Einfluss der
mittelalterlichen Philosophie stünde, als ob er seiner Ab-
sicht, mir das Thatsächliche zu untersuchen, untreu
würde. Wenn ein Ding A sich mit der Zeit ändert,
so heisst dies nur, die Umstände eines Dinges A hängen
von den Umständen eines andern Dinges B ab. Die
Schwingungen eines Pendels gehen in der Zeit vor,
wenn dessen Excursion von der Lage der Erde ab-
hängt
. Da wir bei Beobachtung des Pendels nicht
auf die Abhängigkeit von der Lage der Erde zu achten
brauchen, sondern dasselbe mit irgendeinem andern
Ding vergleichen können (dessen Zustände freilich wie-
der von der Lage der Erde abhängen), so entsteht
leicht die Täuschung, dass alle diese Dinge unwesent-
lich seien. Ja, wir können auf das Pendel achtend,

Zweites Kapitel.

„I. Die absolute, wahre und mathematische
Zeit verfliesst an sich und vermöge ihrer Natur gleich-
förmig, und ohne Beziehung auf irgendeinen äussern
Gegenstand. Sie wird auch mit dem Namen Dauer
belegt.

„Die relative, scheinbare und gewöhnliche Zeit ist
ein fühlbares und äusserliches, entweder genaues oder
ungleiches Maass der Dauer, dessen man sich gewöhn-
lich statt der wahren Zeit bedient, wie Stunde, Tag,
Monat, Jahr.

— — — „Die natürlichen Tage, welche gewöhnlich
als Zeitmaass für gleich gehalten werden, sind nämlich
eigentlich ungleich. Diese Ungleichheit verbessern die
Astronomen, indem sie die Bewegung der Himmelskörper
nach der richtigen Zeit messen. Es ist möglich, dass
keine gleichförmige Bewegung existire, durch welche
die Zeit genau gemessen werden kann, alle Bewegungen
können beschleunigt oder verzögert werden; allein der
Verlauf der absoluten Zeit kann nicht geändert wer-
den. Dieselbe Dauer und dasselbe Verharren findet
für die Existenz aller Dinge statt; mögen die Bewegungen
geschwind, langsam oder Null sein.‟

2. Es scheint, als ob Newton bei den eben ange-
führten Bemerkungen noch unter dem Einfluss der
mittelalterlichen Philosophie stünde, als ob er seiner Ab-
sicht, mir das Thatsächliche zu untersuchen, untreu
würde. Wenn ein Ding A sich mit der Zeit ändert,
so heisst dies nur, die Umstände eines Dinges A hängen
von den Umständen eines andern Dinges B ab. Die
Schwingungen eines Pendels gehen in der Zeit vor,
wenn dessen Excursion von der Lage der Erde ab-
hängt
. Da wir bei Beobachtung des Pendels nicht
auf die Abhängigkeit von der Lage der Erde zu achten
brauchen, sondern dasselbe mit irgendeinem andern
Ding vergleichen können (dessen Zustände freilich wie-
der von der Lage der Erde abhängen), so entsteht
leicht die Täuschung, dass alle diese Dinge unwesent-
lich seien. Ja, wir können auf das Pendel achtend,

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[208/0220] Zweites Kapitel. „I. Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfliesst an sich und vermöge ihrer Natur gleich- förmig, und ohne Beziehung auf irgendeinen äussern Gegenstand. Sie wird auch mit dem Namen Dauer belegt. „Die relative, scheinbare und gewöhnliche Zeit ist ein fühlbares und äusserliches, entweder genaues oder ungleiches Maass der Dauer, dessen man sich gewöhn- lich statt der wahren Zeit bedient, wie Stunde, Tag, Monat, Jahr. — — — „Die natürlichen Tage, welche gewöhnlich als Zeitmaass für gleich gehalten werden, sind nämlich eigentlich ungleich. Diese Ungleichheit verbessern die Astronomen, indem sie die Bewegung der Himmelskörper nach der richtigen Zeit messen. Es ist möglich, dass keine gleichförmige Bewegung existire, durch welche die Zeit genau gemessen werden kann, alle Bewegungen können beschleunigt oder verzögert werden; allein der Verlauf der absoluten Zeit kann nicht geändert wer- den. Dieselbe Dauer und dasselbe Verharren findet für die Existenz aller Dinge statt; mögen die Bewegungen geschwind, langsam oder Null sein.‟ 2. Es scheint, als ob Newton bei den eben ange- führten Bemerkungen noch unter dem Einfluss der mittelalterlichen Philosophie stünde, als ob er seiner Ab- sicht, mir das Thatsächliche zu untersuchen, untreu würde. Wenn ein Ding A sich mit der Zeit ändert, so heisst dies nur, die Umstände eines Dinges A hängen von den Umständen eines andern Dinges B ab. Die Schwingungen eines Pendels gehen in der Zeit vor, wenn dessen Excursion von der Lage der Erde ab- hängt. Da wir bei Beobachtung des Pendels nicht auf die Abhängigkeit von der Lage der Erde zu achten brauchen, sondern dasselbe mit irgendeinem andern Ding vergleichen können (dessen Zustände freilich wie- der von der Lage der Erde abhängen), so entsteht leicht die Täuschung, dass alle diese Dinge unwesent- lich seien. Ja, wir können auf das Pendel achtend,

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/220>, abgerufen am 27.11.2024.