Erledigung ist nur der geübten mathematischen An- schauung möglich.
5. Das Ziel, welches Archimedes und seine Nach- folger in den angeführten Betrachtungen anstreben, be- steht darin, den complicirtern Hebelfall auf den ein- fachern, anscheinend selbstverständlichen, zurückzu- führen, in dem complicirtern den einfachem zu sehen oder auch umgekehrt. In der That halten wir einen Vorgang für erklärt, wenn es uns gelingt, in demselben bekannte einfachere Vorgänge zu erblicken.
So überraschend uns nun auf den ersten Blick die Leistung von Archimedes und seinen Nachfolgern er- scheint, so steigen uns bei längerer Betrachtung doch Zweifel an der Richtigkeit derselben auf. Aus der blossen Annahme des Gleichgewichts gleicher Gewichte in gleichen Abständen wird die verkehrte Proportion zwischen Gewicht und Hebelarm abgeleitet! Wie ist das möglich?
Wenn wir schon die blosse Abhängigkeit des Gleich- gewichts vom Gewicht und Abstand überhaupt nicht aus uns herausphilosophiren konnten, sondern aus der Erfahrung holen mussten, um wie viel weniger werden wir die Form dieser Abhängigkeit, die Proportionalität auf speculativem Wege finden können.
Wirklich wird von Archimedes und allen Nachfolgern die Voraussetzung, dass die (gleichgewichtstörende) Wirkung eines Gewichts P im Abstande L von der Axe durch das Product P. L (das sogenannte statische Moment) gemessen sei, mehr oder weniger versteckt oder still- schweigend eingeführt. Wenn nämlich Archimedes ein grosses Gewicht durch eine Reihe paarweise symmetrisch angebrachter kleiner Gewichte, welche über den Stütz- punkt hinausgehen, ersetzt, so verwendet er die Lehre vom Schwerpunkt schon in ihrer allgemeinern Form, welche keine andere ist als die Lehre vom Hebel in ihrer allgemeinern Form.
Niemand vermag ohne die obige Annahme über die Bedeutung des Productes P. L nachzuweisen, dass eine
Entwickelung der Principien der Statik.
Erledigung ist nur der geübten mathematischen An- schauung möglich.
5. Das Ziel, welches Archimedes und seine Nach- folger in den angeführten Betrachtungen anstreben, be- steht darin, den complicirtern Hebelfall auf den ein- fachern, anscheinend selbstverständlichen, zurückzu- führen, in dem complicirtern den einfachem zu sehen oder auch umgekehrt. In der That halten wir einen Vorgang für erklärt, wenn es uns gelingt, in demselben bekannte einfachere Vorgänge zu erblicken.
So überraschend uns nun auf den ersten Blick die Leistung von Archimedes und seinen Nachfolgern er- scheint, so steigen uns bei längerer Betrachtung doch Zweifel an der Richtigkeit derselben auf. Aus der blossen Annahme des Gleichgewichts gleicher Gewichte in gleichen Abständen wird die verkehrte Proportion zwischen Gewicht und Hebelarm abgeleitet! Wie ist das möglich?
Wenn wir schon die blosse Abhängigkeit des Gleich- gewichts vom Gewicht und Abstand überhaupt nicht aus uns herausphilosophiren konnten, sondern aus der Erfahrung holen mussten, um wie viel weniger werden wir die Form dieser Abhängigkeit, die Proportionalität auf speculativem Wege finden können.
Wirklich wird von Archimedes und allen Nachfolgern die Voraussetzung, dass die (gleichgewichtstörende) Wirkung eines Gewichts P im Abstande L von der Axe durch das Product P. L (das sogenannte statische Moment) gemessen sei, mehr oder weniger versteckt oder still- schweigend eingeführt. Wenn nämlich Archimedes ein grosses Gewicht durch eine Reihe paarweise symmetrisch angebrachter kleiner Gewichte, welche über den Stütz- punkt hinausgehen, ersetzt, so verwendet er die Lehre vom Schwerpunkt schon in ihrer allgemeinern Form, welche keine andere ist als die Lehre vom Hebel in ihrer allgemeinern Form.
Niemand vermag ohne die obige Annahme über die Bedeutung des Productes P. L nachzuweisen, dass eine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0025"n="13"/><fwplace="top"type="header">Entwickelung der Principien der Statik.</fw><lb/>
Erledigung ist nur der geübten mathematischen An-<lb/>
schauung möglich.</p><lb/><p>5. Das Ziel, welches Archimedes und seine Nach-<lb/>
folger in den angeführten Betrachtungen anstreben, be-<lb/>
steht darin, den complicirtern Hebelfall auf den ein-<lb/>
fachern, anscheinend selbstverständlichen, zurückzu-<lb/>
führen, in dem complicirtern den einfachem zu <hirendition="#g">sehen</hi><lb/>
oder auch umgekehrt. In der That halten wir einen<lb/>
Vorgang für erklärt, wenn es uns gelingt, in demselben<lb/>
bekannte einfachere Vorgänge zu erblicken.</p><lb/><p>So überraschend uns nun auf den ersten Blick die<lb/>
Leistung von Archimedes und seinen Nachfolgern er-<lb/>
scheint, so steigen uns bei längerer Betrachtung doch<lb/>
Zweifel an der Richtigkeit derselben auf. Aus der<lb/>
blossen Annahme des Gleichgewichts gleicher Gewichte<lb/>
in gleichen Abständen wird die verkehrte Proportion<lb/>
zwischen Gewicht und Hebelarm abgeleitet! Wie ist<lb/>
das möglich?</p><lb/><p>Wenn wir schon die blosse Abhängigkeit des Gleich-<lb/>
gewichts vom Gewicht und Abstand überhaupt nicht aus<lb/>
uns <hirendition="#g">herausphilosophiren</hi> konnten, sondern aus der<lb/>
Erfahrung holen mussten, um wie viel weniger werden<lb/>
wir die <hirendition="#g">Form</hi> dieser Abhängigkeit, die Proportionalität<lb/>
auf speculativem Wege finden können.</p><lb/><p>Wirklich wird von Archimedes und allen Nachfolgern<lb/>
die Voraussetzung, dass die (gleichgewichtstörende)<lb/>
Wirkung eines Gewichts <hirendition="#i">P</hi> im Abstande <hirendition="#i">L</hi> von der Axe<lb/>
durch das Product <hirendition="#i">P. L</hi> (das sogenannte statische Moment)<lb/>
gemessen sei, mehr oder weniger versteckt oder still-<lb/>
schweigend eingeführt. Wenn nämlich Archimedes ein<lb/>
grosses Gewicht durch eine Reihe paarweise symmetrisch<lb/>
angebrachter kleiner Gewichte, welche <hirendition="#g">über den Stütz-<lb/>
punkt hinausgehen</hi>, ersetzt, so verwendet er die<lb/>
Lehre vom Schwerpunkt schon in ihrer allgemeinern<lb/>
Form, welche keine andere ist als die Lehre vom<lb/>
Hebel in ihrer allgemeinern Form.</p><lb/><p>Niemand vermag ohne die obige Annahme über die<lb/>
Bedeutung des Productes <hirendition="#i">P. L</hi> nachzuweisen, dass eine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0025]
Entwickelung der Principien der Statik.
Erledigung ist nur der geübten mathematischen An-
schauung möglich.
5. Das Ziel, welches Archimedes und seine Nach-
folger in den angeführten Betrachtungen anstreben, be-
steht darin, den complicirtern Hebelfall auf den ein-
fachern, anscheinend selbstverständlichen, zurückzu-
führen, in dem complicirtern den einfachem zu sehen
oder auch umgekehrt. In der That halten wir einen
Vorgang für erklärt, wenn es uns gelingt, in demselben
bekannte einfachere Vorgänge zu erblicken.
So überraschend uns nun auf den ersten Blick die
Leistung von Archimedes und seinen Nachfolgern er-
scheint, so steigen uns bei längerer Betrachtung doch
Zweifel an der Richtigkeit derselben auf. Aus der
blossen Annahme des Gleichgewichts gleicher Gewichte
in gleichen Abständen wird die verkehrte Proportion
zwischen Gewicht und Hebelarm abgeleitet! Wie ist
das möglich?
Wenn wir schon die blosse Abhängigkeit des Gleich-
gewichts vom Gewicht und Abstand überhaupt nicht aus
uns herausphilosophiren konnten, sondern aus der
Erfahrung holen mussten, um wie viel weniger werden
wir die Form dieser Abhängigkeit, die Proportionalität
auf speculativem Wege finden können.
Wirklich wird von Archimedes und allen Nachfolgern
die Voraussetzung, dass die (gleichgewichtstörende)
Wirkung eines Gewichts P im Abstande L von der Axe
durch das Product P. L (das sogenannte statische Moment)
gemessen sei, mehr oder weniger versteckt oder still-
schweigend eingeführt. Wenn nämlich Archimedes ein
grosses Gewicht durch eine Reihe paarweise symmetrisch
angebrachter kleiner Gewichte, welche über den Stütz-
punkt hinausgehen, ersetzt, so verwendet er die
Lehre vom Schwerpunkt schon in ihrer allgemeinern
Form, welche keine andere ist als die Lehre vom
Hebel in ihrer allgemeinern Form.
Niemand vermag ohne die obige Annahme über die
Bedeutung des Productes P. L nachzuweisen, dass eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/25>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.