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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Die weitere Verwendung der Principien u. s. w.
welche nur die Erfahrung entscheiden kann. So wird
z. B. in den beiden folgenden Paragraphen (37, 39)
auch als selbstverständlich hingestellt, dass ein Körper
seine Geschwindigkeit und Richtung beibehält. Die in
§. 38 angeführten Erfahrungen hätten nicht als Be-
stätigungen des a priori einleuchtenden Trägheitsgesetzes,
sondern vielmehr als Grundlagen desselben dienen sollen.

Die Descartes'sche Auffassung wurde (1686) von Leib-
nitz in den Actis eruditorum bekämpft, in einer kleinen
Schrift, welche den Titel führt: "Kurzer Beweis eines
merkwürdigen Fehlers des Descartes und Anderer, in
Beziehung auf das Naturgesetz, nach welchem, wie jene
glauben, der Schöpfer immer dieselbe Quantität der
Bewegung in der Natur zu erhalten sucht, durch welches
aber die Wissenschaft der Mechanik ganz verdorben
wird."

Bei im Gleichgewicht befindlichen Maschinen, bemerkt
Leibnitz, seien die Lasten den Verschiebungsgeschwin-
digkeiten umgekehrt proportionirt, und dadurch sei man
auf den Gedanken gekommen, das Product aus dem
Körper ("corpus", "moles") und der Geschwindigkeit
als Kraftmaass zu betrachten. Descartes betrachte dieses
Product als eine unveränderliche Grösse. Leibnitz meint
aber, dass das erwähnte Kraftmaass an den Maschinen
nur zufällig zutreffe. Das wahre Kraftmaass sei viel-
mehr ein anderes, und auf dem Wege zu bestimmen,
den Galilei und Huyghens eingeschlagen haben. Jeder
Körper steigt vermöge seiner erlangten Fallgeschwindig-
keit so hoch, als er herabgefallen ist. Nimmt man nun
an, dass dieselbe "Kraft" erforderlich sei, um einen Kör-
per m auf die Höhe 4h und einen Körper 4m auf die
Höhe h zu erheben, so muss, weil im erstern Fall die
erlangte Fallgeschwindigkeit nur doppelt so gross ist
als in letzterm, das Product aus dem "Körper" und dem
Quadrate der Geschwindigkeit als Kraftmaass ange-
sehen werden.

In einer spätern Abhandlung (1695) kommt Leibnitz
auf denselben Gegenstand zurück, er unterscheidet

Mach. 17

Die weitere Verwendung der Principien u. s. w.
welche nur die Erfahrung entscheiden kann. So wird
z. B. in den beiden folgenden Paragraphen (37, 39)
auch als selbstverständlich hingestellt, dass ein Körper
seine Geschwindigkeit und Richtung beibehält. Die in
§. 38 angeführten Erfahrungen hätten nicht als Be-
stätigungen des a priori einleuchtenden Trägheitsgesetzes,
sondern vielmehr als Grundlagen desselben dienen sollen.

Die Descartes’sche Auffassung wurde (1686) von Leib-
nitz in den Actis eruditorum bekämpft, in einer kleinen
Schrift, welche den Titel führt: „Kurzer Beweis eines
merkwürdigen Fehlers des Descartes und Anderer, in
Beziehung auf das Naturgesetz, nach welchem, wie jene
glauben, der Schöpfer immer dieselbe Quantität der
Bewegung in der Natur zu erhalten sucht, durch welches
aber die Wissenschaft der Mechanik ganz verdorben
wird.‟

Bei im Gleichgewicht befindlichen Maschinen, bemerkt
Leibnitz, seien die Lasten den Verschiebungsgeschwin-
digkeiten umgekehrt proportionirt, und dadurch sei man
auf den Gedanken gekommen, das Product aus dem
Körper („corpus‟, „moles‟) und der Geschwindigkeit
als Kraftmaass zu betrachten. Descartes betrachte dieses
Product als eine unveränderliche Grösse. Leibnitz meint
aber, dass das erwähnte Kraftmaass an den Maschinen
nur zufällig zutreffe. Das wahre Kraftmaass sei viel-
mehr ein anderes, und auf dem Wege zu bestimmen,
den Galilei und Huyghens eingeschlagen haben. Jeder
Körper steigt vermöge seiner erlangten Fallgeschwindig-
keit so hoch, als er herabgefallen ist. Nimmt man nun
an, dass dieselbe „Kraft‟ erforderlich sei, um einen Kör-
per m auf die Höhe 4h und einen Körper 4m auf die
Höhe h zu erheben, so muss, weil im erstern Fall die
erlangte Fallgeschwindigkeit nur doppelt so gross ist
als in letzterm, das Product aus dem „Körper‟ und dem
Quadrate der Geschwindigkeit als Kraftmaass ange-
sehen werden.

In einer spätern Abhandlung (1695) kommt Leibnitz
auf denselben Gegenstand zurück, er unterscheidet

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[257/0269] Die weitere Verwendung der Principien u. s. w. welche nur die Erfahrung entscheiden kann. So wird z. B. in den beiden folgenden Paragraphen (37, 39) auch als selbstverständlich hingestellt, dass ein Körper seine Geschwindigkeit und Richtung beibehält. Die in §. 38 angeführten Erfahrungen hätten nicht als Be- stätigungen des a priori einleuchtenden Trägheitsgesetzes, sondern vielmehr als Grundlagen desselben dienen sollen. Die Descartes’sche Auffassung wurde (1686) von Leib- nitz in den Actis eruditorum bekämpft, in einer kleinen Schrift, welche den Titel führt: „Kurzer Beweis eines merkwürdigen Fehlers des Descartes und Anderer, in Beziehung auf das Naturgesetz, nach welchem, wie jene glauben, der Schöpfer immer dieselbe Quantität der Bewegung in der Natur zu erhalten sucht, durch welches aber die Wissenschaft der Mechanik ganz verdorben wird.‟ Bei im Gleichgewicht befindlichen Maschinen, bemerkt Leibnitz, seien die Lasten den Verschiebungsgeschwin- digkeiten umgekehrt proportionirt, und dadurch sei man auf den Gedanken gekommen, das Product aus dem Körper („corpus‟, „moles‟) und der Geschwindigkeit als Kraftmaass zu betrachten. Descartes betrachte dieses Product als eine unveränderliche Grösse. Leibnitz meint aber, dass das erwähnte Kraftmaass an den Maschinen nur zufällig zutreffe. Das wahre Kraftmaass sei viel- mehr ein anderes, und auf dem Wege zu bestimmen, den Galilei und Huyghens eingeschlagen haben. Jeder Körper steigt vermöge seiner erlangten Fallgeschwindig- keit so hoch, als er herabgefallen ist. Nimmt man nun an, dass dieselbe „Kraft‟ erforderlich sei, um einen Kör- per m auf die Höhe 4h und einen Körper 4m auf die Höhe h zu erheben, so muss, weil im erstern Fall die erlangte Fallgeschwindigkeit nur doppelt so gross ist als in letzterm, das Product aus dem „Körper‟ und dem Quadrate der Geschwindigkeit als Kraftmaass ange- sehen werden. In einer spätern Abhandlung (1695) kommt Leibnitz auf denselben Gegenstand zurück, er unterscheidet Mach. 17

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/269>, abgerufen am 25.11.2024.