Wesentliche liegt also nicht im Maximum oder Minimum, sondern in dem Wegfall der Arbeit von diesem Zustande aus, welche Arbeit eben das Bestimmende der Ver- änderung ist. Es klingt also viel weniger erhaben, ist aber dafür viel aufklärender, ist zugleich richtiger und allgemeiner, wenn man, statt von dem Ersparungs- bestreben der Natur zu sprechen, sagt: "Es geschieht immer nur so viel, als vermöge der Kräfte und Um- stände geschehen kann."
Man kann nun mit Recht die Frage aufwerfen: Wenn der theologische Standpunkt, welcher zur Auf- stellung der mechanischen Sätze geführt hat, ein ver- fehlter war, wie kommt es, dass gleichwol diese Sätze im Wesentlichen richtig sind? Darauf lässt sich leicht antworten. Erstens hat die theologische Anschauung nicht den Inhalt der Sätze geliefert, sondern nur die Färbung des Ausdrucks bestimmt, während der Inhalt sich durch Beobachtung ergeben hat. Aehnlich würde eine andere herrschende Anschauung, z. B. eine mer- cantile gewirkt haben, die muthmaasslich auch auf Stevin's Denkweise Einfluss geübt hat. Zweitens ver- dankt die theologische Auffassung der Natur selbst ihren Ursprung dem Streben, einen umfassendern Blick zu thun, also einem Streben, welches auch der Naturwissenschaft eigen ist, und welches sich ganz wohl mit den Zielen derselben verträgt. Ist also auch die theologische Naturphilosophie als eine verunglückte Unternehmung, als ein Rückfall auf eine niedere Cultur- stufe zu bezeichnen, so brauchen wir doch die gesunde Wurzel, aus welcher sie entsprossen ist, welche von jener der wahren Naturforschung nicht verschieden ist, nicht zu verwerfen.
In der That kann die Naturwissenschaft durch blosse Beachtung des Einzelnen nichts erreichen, wenn sie nicht zeitweilig auch den Blick ins Grosse richtet. Die Galilei'schen Fallgesetze, das Huyghens'sche Princip der lebendigen Kräfte, das Princip der virtuellen Ver- schiebungen, selbst der Massenbegriff, konnten, wie wir
Mach. 28
Die formelle Entwickelung der Mechanik.
Wesentliche liegt also nicht im Maximum oder Minimum, sondern in dem Wegfall der Arbeit von diesem Zustande aus, welche Arbeit eben das Bestimmende der Ver- änderung ist. Es klingt also viel weniger erhaben, ist aber dafür viel aufklärender, ist zugleich richtiger und allgemeiner, wenn man, statt von dem Ersparungs- bestreben der Natur zu sprechen, sagt: „Es geschieht immer nur so viel, als vermöge der Kräfte und Um- stände geschehen kann.‟
Man kann nun mit Recht die Frage aufwerfen: Wenn der theologische Standpunkt, welcher zur Auf- stellung der mechanischen Sätze geführt hat, ein ver- fehlter war, wie kommt es, dass gleichwol diese Sätze im Wesentlichen richtig sind? Darauf lässt sich leicht antworten. Erstens hat die theologische Anschauung nicht den Inhalt der Sätze geliefert, sondern nur die Färbung des Ausdrucks bestimmt, während der Inhalt sich durch Beobachtung ergeben hat. Aehnlich würde eine andere herrschende Anschauung, z. B. eine mer- cantile gewirkt haben, die muthmaasslich auch auf Stevin’s Denkweise Einfluss geübt hat. Zweitens ver- dankt die theologische Auffassung der Natur selbst ihren Ursprung dem Streben, einen umfassendern Blick zu thun, also einem Streben, welches auch der Naturwissenschaft eigen ist, und welches sich ganz wohl mit den Zielen derselben verträgt. Ist also auch die theologische Naturphilosophie als eine verunglückte Unternehmung, als ein Rückfall auf eine niedere Cultur- stufe zu bezeichnen, so brauchen wir doch die gesunde Wurzel, aus welcher sie entsprossen ist, welche von jener der wahren Naturforschung nicht verschieden ist, nicht zu verwerfen.
In der That kann die Naturwissenschaft durch blosse Beachtung des Einzelnen nichts erreichen, wenn sie nicht zeitweilig auch den Blick ins Grosse richtet. Die Galilei’schen Fallgesetze, das Huyghens’sche Princip der lebendigen Kräfte, das Princip der virtuellen Ver- schiebungen, selbst der Massenbegriff, konnten, wie wir
Mach. 28
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Die formelle Entwickelung der Mechanik.
Wesentliche liegt also nicht im Maximum oder Minimum,
sondern in dem Wegfall der Arbeit von diesem Zustande
aus, welche Arbeit eben das Bestimmende der Ver-
änderung ist. Es klingt also viel weniger erhaben, ist
aber dafür viel aufklärender, ist zugleich richtiger und
allgemeiner, wenn man, statt von dem Ersparungs-
bestreben der Natur zu sprechen, sagt: „Es geschieht
immer nur so viel, als vermöge der Kräfte und Um-
stände geschehen kann.‟
Man kann nun mit Recht die Frage aufwerfen:
Wenn der theologische Standpunkt, welcher zur Auf-
stellung der mechanischen Sätze geführt hat, ein ver-
fehlter war, wie kommt es, dass gleichwol diese Sätze
im Wesentlichen richtig sind? Darauf lässt sich leicht
antworten. Erstens hat die theologische Anschauung
nicht den Inhalt der Sätze geliefert, sondern nur die
Färbung des Ausdrucks bestimmt, während der Inhalt
sich durch Beobachtung ergeben hat. Aehnlich würde
eine andere herrschende Anschauung, z. B. eine mer-
cantile gewirkt haben, die muthmaasslich auch auf
Stevin’s Denkweise Einfluss geübt hat. Zweitens ver-
dankt die theologische Auffassung der Natur selbst
ihren Ursprung dem Streben, einen umfassendern
Blick zu thun, also einem Streben, welches auch der
Naturwissenschaft eigen ist, und welches sich ganz wohl
mit den Zielen derselben verträgt. Ist also auch die
theologische Naturphilosophie als eine verunglückte
Unternehmung, als ein Rückfall auf eine niedere Cultur-
stufe zu bezeichnen, so brauchen wir doch die gesunde
Wurzel, aus welcher sie entsprossen ist, welche von
jener der wahren Naturforschung nicht verschieden ist,
nicht zu verwerfen.
In der That kann die Naturwissenschaft durch blosse
Beachtung des Einzelnen nichts erreichen, wenn sie
nicht zeitweilig auch den Blick ins Grosse richtet. Die
Galilei’schen Fallgesetze, das Huyghens’sche Princip der
lebendigen Kräfte, das Princip der virtuellen Ver-
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/445>, abgerufen am 23.11.2024.
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