sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was er versteht.
2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir niemals die Thatsachen überhaupt nach, sondern nur nach jener Seite, welche für uns wichtig ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor- gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab- stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer Zug aus.
Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge- gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her- aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten Worte sind Namen für "Dinge". Hierin liegt schon ein Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort- währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com- plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver- änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der Name ein Symbol für einen Complex von Elementen, von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den ganzen Complex durch ein Wort, durch ein Symbol bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben, alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu- gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht zum "Ding an sich" und ähnlichen widerspruchsvollen Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind auch keine "Symbole der Dinge". Vielmehr ist das "Ding" ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn- lich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente der Welt.
Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen
Viertes Kapitel.
sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was er versteht.
2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir niemals die Thatsachen überhaupt nach, sondern nur nach jener Seite, welche für uns wichtig ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor- gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab- stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer Zug aus.
Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge- gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her- aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten Worte sind Namen für „Dinge‟. Hierin liegt schon ein Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort- währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com- plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver- änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der Name ein Symbol für einen Complex von Elementen, von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den ganzen Complex durch ein Wort, durch ein Symbol bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben, alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu- gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht zum „Ding an sich‟ und ähnlichen widerspruchsvollen Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind auch keine „Symbole der Dinge‟. Vielmehr ist das „Ding‟ ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn- lich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente der Welt.
Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0466"n="454"/><fwplace="top"type="header">Viertes Kapitel.</fw><lb/>
sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was<lb/>
er versteht.</p><lb/><p>2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so<lb/>
bilden wir niemals die Thatsachen <hirendition="#g">überhaupt</hi> nach,<lb/>
sondern nur nach jener Seite, welche für uns <hirendition="#g">wichtig</hi><lb/>
ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar<lb/>
oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor-<lb/>
gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab-<lb/>
stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer<lb/>
Zug aus.</p><lb/><p>Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge-<lb/>
gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst<lb/>
aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her-<lb/>
aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und<lb/>
die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten<lb/>
Worte sind Namen für „Dinge‟. Hierin liegt schon ein<lb/>
Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort-<lb/>
währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com-<lb/>
plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht<lb/>
beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver-<lb/>
änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der<lb/>
Name ein Symbol für einen <hirendition="#g">Complex</hi> von Elementen,<lb/>
von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den<lb/>
ganzen Complex durch <hirendition="#g">ein</hi> Wort, durch <hirendition="#g">ein</hi> Symbol<lb/>
bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben,<lb/>
alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu<lb/>
rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese<lb/>
Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu-<lb/>
gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht<lb/>
zum „Ding an sich‟ und ähnlichen widerspruchsvollen<lb/>
Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind<lb/>
auch keine „Symbole der Dinge‟. Vielmehr ist das „Ding‟<lb/>
ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von<lb/>
relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern<lb/>
Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn-<lb/>
lich Empfindungen nennen) sind eigentliche <hirendition="#g">Elemente</hi><lb/>
der Welt.</p><lb/><p>Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[454/0466]
Viertes Kapitel.
sie nicht verstehen. Der Chinese kann nur lesen, was
er versteht.
2. Wenn wir Thatsachen in Gedanken nachbilden, so
bilden wir niemals die Thatsachen überhaupt nach,
sondern nur nach jener Seite, welche für uns wichtig
ist, wir haben hierbei ein Ziel, welches unmittelbar
oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervor-
gewachsen ist. Unsere Nachbildungen sind immer Ab-
stractionen. Auch hierin spricht sich ein ökonomischer
Zug aus.
Die Natur setzt sich aus den durch die Sinne ge-
gebenen Elementen zusammen. Der Naturmensch fasst
aber zunächst gewisse Complexe dieser Elemente her-
aus, die mit einer relativen Stabilität auftreten, und
die für ihn wichtiger sind. Die ersten und ältesten
Worte sind Namen für „Dinge‟. Hierin liegt schon ein
Absehen von der Umgebung der Dinge, von den fort-
währenden kleinen Veränderungen, welche diese Com-
plexe erfahren, und welche als weniger wichtig nicht
beachtet werden. Es gibt in der Natur kein unver-
änderliches Ding. Das Ding ist eine Abstraction, der
Name ein Symbol für einen Complex von Elementen,
von deren Veränderung wir absehen. Dass wir den
ganzen Complex durch ein Wort, durch ein Symbol
bezeichnen, geschieht, weil wir ein Bedürfniss haben,
alle zusammengehörigen Eindrücke auf einmal wach zu
rufen. Sobald wir auf einer höhern Stufe auf diese
Veränderungen achten, können wir natürlich nicht zu-
gleich die Unveränderlichkeit festhalten, wenn wir nicht
zum „Ding an sich‟ und ähnlichen widerspruchsvollen
Vorstellungen gelangen wollen. Die Empfindungen sind
auch keine „Symbole der Dinge‟. Vielmehr ist das „Ding‟
ein Gedankensymbol für einen Empfindungscomplex von
relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern
Farben, Töne, Drucke, Räume, Zeiten (was wir gewöhn-
lich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente
der Welt.
Der ganze Vorgang hat lediglich einen ökonomischen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/466>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.