Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Kapitel.
scheinungen, ausreichen würde, hätten wir nur an die
Stelle der thatsächlichen Beziehung zwischen mechani-
schen und Wärmevorgängen die Hypothese gesetzt.
Die Zahl der Grundthatsachen wird durch eine ebenso
grosse Zahl von Hypothesen ersetzt, was sicherlich kein
Gewinn ist. Hat uns eine Hypothese die Erfassung neuer
Thatsachen durch Substitution geläufiger Gedanken nach
Möglichkeit erleichtert, so ist hiermit ihre Leistungs-
fähigkeit erschöpft. Man geräth auf Abwege, wenn man
von derselben mehr Aufklärung erwartet als von den
Thatsachen selbst.

3. Die Entwickelung der mechanischen Naturansicht
wurde durch mehrere Umstände begünstigt. Zunächst
ist ein Zusammenhang aller Naturvorgänge mit mecha-
nischen Vorgängen unverkennbar, wodurch das Bestreben
nahe gelegt wird, die noch weniger bekannten Vorgänge
durch die bekannteren mechanischen zu erklären.
Ausserdem wurden im Gebiete der Mechanik zuerst
grosse allgemeine Gesetze von weittragender Bedeutung
erkannt. Ein derartiges Gesetz ist der Satz der leben-
digen Kräfte [Formel 1] , welcher
sagt, dass der Zuwachs der lebendigen Kräfte eines
Systems bei dem Uebergang desselben aus einer Lage
in die andere dem Zuwachs der Kraftfunction (oder
der Arbeit) gleich ist, welcher sich als eine Function
der Anfangs- und Endlagen darstellt. Achtet man auf
die Arbeit, welche in dem System verrichtet werden
kann, und nennt dieselbe mit Helmholtz Spann-
kraft
S, so erscheint jede wirklich geleistete Ar-
heit U als eine Verminderung der anfänglich vor-
handenen Spannkraft K, dann ist S=K--U, und der
Satz der lebendigen Kräfte nimmt die Form an
[Formel 2] d. h. jede Verminderung der Spannkraft wird durch
eine Vermehrung der lebendigen Kraft ausgeglichen.
In dieser Form nennt man den Satz auch Gesetz der
Erhaltung der Energie, indem die Summe der

Fünftes Kapitel.
scheinungen, ausreichen würde, hätten wir nur an die
Stelle der thatsächlichen Beziehung zwischen mechani-
schen und Wärmevorgängen die Hypothese gesetzt.
Die Zahl der Grundthatsachen wird durch eine ebenso
grosse Zahl von Hypothesen ersetzt, was sicherlich kein
Gewinn ist. Hat uns eine Hypothese die Erfassung neuer
Thatsachen durch Substitution geläufiger Gedanken nach
Möglichkeit erleichtert, so ist hiermit ihre Leistungs-
fähigkeit erschöpft. Man geräth auf Abwege, wenn man
von derselben mehr Aufklärung erwartet als von den
Thatsachen selbst.

3. Die Entwickelung der mechanischen Naturansicht
wurde durch mehrere Umstände begünstigt. Zunächst
ist ein Zusammenhang aller Naturvorgänge mit mecha-
nischen Vorgängen unverkennbar, wodurch das Bestreben
nahe gelegt wird, die noch weniger bekannten Vorgänge
durch die bekannteren mechanischen zu erklären.
Ausserdem wurden im Gebiete der Mechanik zuerst
grosse allgemeine Gesetze von weittragender Bedeutung
erkannt. Ein derartiges Gesetz ist der Satz der leben-
digen Kräfte [Formel 1] , welcher
sagt, dass der Zuwachs der lebendigen Kräfte eines
Systems bei dem Uebergang desselben aus einer Lage
in die andere dem Zuwachs der Kraftfunction (oder
der Arbeit) gleich ist, welcher sich als eine Function
der Anfangs- und Endlagen darstellt. Achtet man auf
die Arbeit, welche in dem System verrichtet werden
kann, und nennt dieselbe mit Helmholtz Spann-
kraft
S, so erscheint jede wirklich geleistete Ar-
heit U als eine Verminderung der anfänglich vor-
handenen Spannkraft K, dann ist S=K—U, und der
Satz der lebendigen Kräfte nimmt die Form an
[Formel 2] d. h. jede Verminderung der Spannkraft wird durch
eine Vermehrung der lebendigen Kraft ausgeglichen.
In dieser Form nennt man den Satz auch Gesetz der
Erhaltung der Energie, indem die Summe der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0482" n="470"/><fw place="top" type="header">Fünftes Kapitel.</fw><lb/>
scheinungen, ausreichen würde, hätten wir nur an die<lb/>
Stelle der thatsächlichen Beziehung zwischen mechani-<lb/>
schen und Wärmevorgängen die Hypothese gesetzt.<lb/>
Die Zahl der Grundthatsachen wird durch eine ebenso<lb/>
grosse Zahl von Hypothesen ersetzt, was sicherlich kein<lb/>
Gewinn ist. Hat uns eine Hypothese die Erfassung neuer<lb/>
Thatsachen durch Substitution geläufiger Gedanken nach<lb/>
Möglichkeit erleichtert, so ist hiermit ihre Leistungs-<lb/>
fähigkeit erschöpft. Man geräth auf Abwege, wenn man<lb/>
von derselben <hi rendition="#g">mehr</hi> Aufklärung erwartet als von den<lb/>
Thatsachen <hi rendition="#g">selbst</hi>.</p><lb/>
          <p>3. Die Entwickelung der mechanischen Naturansicht<lb/>
wurde durch mehrere Umstände begünstigt. Zunächst<lb/>
ist ein Zusammenhang aller Naturvorgänge mit mecha-<lb/>
nischen Vorgängen unverkennbar, wodurch das Bestreben<lb/>
nahe gelegt wird, die noch weniger bekannten Vorgänge<lb/>
durch die bekannteren mechanischen zu erklären.<lb/>
Ausserdem wurden im Gebiete der Mechanik zuerst<lb/>
grosse allgemeine Gesetze von weittragender Bedeutung<lb/>
erkannt. Ein derartiges Gesetz ist der Satz der leben-<lb/>
digen Kräfte <formula/>, welcher<lb/>
sagt, dass der Zuwachs der lebendigen Kräfte eines<lb/>
Systems bei dem Uebergang desselben aus einer Lage<lb/>
in die andere dem Zuwachs der Kraftfunction (oder<lb/>
der Arbeit) gleich ist, welcher sich als eine Function<lb/>
der Anfangs- und Endlagen darstellt. Achtet man auf<lb/>
die Arbeit, welche in dem System verrichtet werden<lb/><hi rendition="#g">kann</hi>, und nennt dieselbe mit Helmholtz <hi rendition="#g">Spann-<lb/>
kraft</hi> <hi rendition="#i">S</hi>, so erscheint jede <hi rendition="#g">wirklich geleistete</hi> Ar-<lb/>
heit <hi rendition="#i">U</hi> als eine Verminderung der anfänglich vor-<lb/>
handenen Spannkraft <hi rendition="#i">K</hi>, dann ist <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">S=K&#x2014;U</hi></hi>, und der<lb/>
Satz der lebendigen Kräfte nimmt die Form an<lb/><formula/> d. h. jede Verminderung der Spannkraft wird durch<lb/>
eine Vermehrung der lebendigen Kraft ausgeglichen.<lb/>
In dieser Form nennt man den Satz auch Gesetz der<lb/><hi rendition="#g">Erhaltung der Energie</hi>, indem die Summe der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[470/0482] Fünftes Kapitel. scheinungen, ausreichen würde, hätten wir nur an die Stelle der thatsächlichen Beziehung zwischen mechani- schen und Wärmevorgängen die Hypothese gesetzt. Die Zahl der Grundthatsachen wird durch eine ebenso grosse Zahl von Hypothesen ersetzt, was sicherlich kein Gewinn ist. Hat uns eine Hypothese die Erfassung neuer Thatsachen durch Substitution geläufiger Gedanken nach Möglichkeit erleichtert, so ist hiermit ihre Leistungs- fähigkeit erschöpft. Man geräth auf Abwege, wenn man von derselben mehr Aufklärung erwartet als von den Thatsachen selbst. 3. Die Entwickelung der mechanischen Naturansicht wurde durch mehrere Umstände begünstigt. Zunächst ist ein Zusammenhang aller Naturvorgänge mit mecha- nischen Vorgängen unverkennbar, wodurch das Bestreben nahe gelegt wird, die noch weniger bekannten Vorgänge durch die bekannteren mechanischen zu erklären. Ausserdem wurden im Gebiete der Mechanik zuerst grosse allgemeine Gesetze von weittragender Bedeutung erkannt. Ein derartiges Gesetz ist der Satz der leben- digen Kräfte [FORMEL], welcher sagt, dass der Zuwachs der lebendigen Kräfte eines Systems bei dem Uebergang desselben aus einer Lage in die andere dem Zuwachs der Kraftfunction (oder der Arbeit) gleich ist, welcher sich als eine Function der Anfangs- und Endlagen darstellt. Achtet man auf die Arbeit, welche in dem System verrichtet werden kann, und nennt dieselbe mit Helmholtz Spann- kraft S, so erscheint jede wirklich geleistete Ar- heit U als eine Verminderung der anfänglich vor- handenen Spannkraft K, dann ist S=K—U, und der Satz der lebendigen Kräfte nimmt die Form an [FORMEL] d. h. jede Verminderung der Spannkraft wird durch eine Vermehrung der lebendigen Kraft ausgeglichen. In dieser Form nennt man den Satz auch Gesetz der Erhaltung der Energie, indem die Summe der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/482
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/482>, abgerufen am 23.11.2024.