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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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der auf den Grundbaß erbaueten Methode etc.
der Dissonanzen können gekommen seyn, und es wird diese
Muthmassung in der That durch die Behandlung der Disso-
nanzen begünstiget. Die Sache redet von selbst, und ist nie-
mals ein Staatsgeheimniß der Tonkunst gewesen. Aber die
Frage ist, wie, wenn man durch den Proceß der Aufhaltung
alle nur mögliche zum Gebrauch tüchtige Accorde gefunden hat,
man solche, einer vernünftigen Lehrart gemäß, in dem natür-
lichsten Zusammenhang hinter einander, das ist systematisch,
darlegen könne. Hiezu möchte vielleicht die Lehre von der
Aufhaltung kein Mittel an die Hand geben, und der Grund-
baß würde wohl seine hülfreiche Hand darbieten müssen.

§. 281.

Allen unsern Tonlehrern voriger Zeit war die Lehre von
der Aufhaltung bekannt, und sie war ihnen desto bekannter,
je näher sie den Zeiten waren, da die Dissonanzen eingeführet
worden sind. Aber in was für einer Ordnung haben uns
einige derselben die Accorde erkläret. Bey einem vor mir lie-
genden Scribenten erscheinen sie folgendergestalt:

1) Der harmonische Dreyklang. (Die dreyfachen Ge-
stalten desselben, vermöge welcher entweder die Octave,
Terz oder Quinte den obersten Platz im Anschlag ein-
nimmt, nennet der Auctor die drey Hauptaccorde der
Musik, und machet also aus einem einzigen Accord drey
verschiedne Accorde.)
2) Der Sextenaccord. (Der Auctor füget nicht hinzu,
daß dieser Accord aus der Umkehrung des Dreyklangs
hervorgeht, und war gleichwohl ein Doppelcontrapunctist.)
3) Nun sollte der Quartsextenaccord folgen. Anstatt
dessen aber kömmt der Secundenaccord. (Es wird
nicht gesaget, ob der höchste oder tiefste Terminus der
Secunde dissoniret, auch nicht, was es mit der Quarte
im Secundenaccord für eine Beschaffenheit hat.)
4) Der Quartquintenaccord. (Es wird nicht gesaget,
daß dieser Accord seiner Natur nach nur dreystimmig ist,
so wie der Dreyklang, und daß er mit der Octave des
Baß-
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der auf den Grundbaß erbaueten Methode ꝛc.
der Diſſonanzen koͤnnen gekommen ſeyn, und es wird dieſe
Muthmaſſung in der That durch die Behandlung der Diſſo-
nanzen beguͤnſtiget. Die Sache redet von ſelbſt, und iſt nie-
mals ein Staatsgeheimniß der Tonkunſt geweſen. Aber die
Frage iſt, wie, wenn man durch den Proceß der Aufhaltung
alle nur moͤgliche zum Gebrauch tuͤchtige Accorde gefunden hat,
man ſolche, einer vernuͤnftigen Lehrart gemaͤß, in dem natuͤr-
lichſten Zuſammenhang hinter einander, das iſt ſyſtematiſch,
darlegen koͤnne. Hiezu moͤchte vielleicht die Lehre von der
Aufhaltung kein Mittel an die Hand geben, und der Grund-
baß wuͤrde wohl ſeine huͤlfreiche Hand darbieten muͤſſen.

§. 281.

Allen unſern Tonlehrern voriger Zeit war die Lehre von
der Aufhaltung bekannt, und ſie war ihnen deſto bekannter,
je naͤher ſie den Zeiten waren, da die Diſſonanzen eingefuͤhret
worden ſind. Aber in was fuͤr einer Ordnung haben uns
einige derſelben die Accorde erklaͤret. Bey einem vor mir lie-
genden Scribenten erſcheinen ſie folgendergeſtalt:

1) Der harmoniſche Dreyklang. (Die dreyfachen Ge-
ſtalten deſſelben, vermoͤge welcher entweder die Octave,
Terz oder Quinte den oberſten Platz im Anſchlag ein-
nimmt, nennet der Auctor die drey Hauptaccorde der
Muſik, und machet alſo aus einem einzigen Accord drey
verſchiedne Accorde.)
2) Der Sextenaccord. (Der Auctor fuͤget nicht hinzu,
daß dieſer Accord aus der Umkehrung des Dreyklangs
hervorgeht, und war gleichwohl ein Doppelcontrapunctiſt.)
3) Nun ſollte der Quartſextenaccord folgen. Anſtatt
deſſen aber koͤmmt der Secundenaccord. (Es wird
nicht geſaget, ob der hoͤchſte oder tiefſte Terminus der
Secunde diſſoniret, auch nicht, was es mit der Quarte
im Secundenaccord fuͤr eine Beſchaffenheit hat.)
4) Der Quartquintenaccord. (Es wird nicht geſaget,
daß dieſer Accord ſeiner Natur nach nur dreyſtimmig iſt,
ſo wie der Dreyklang, und daß er mit der Octave des
Baß-
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[261/0281] der auf den Grundbaß erbaueten Methode ꝛc. der Diſſonanzen koͤnnen gekommen ſeyn, und es wird dieſe Muthmaſſung in der That durch die Behandlung der Diſſo- nanzen beguͤnſtiget. Die Sache redet von ſelbſt, und iſt nie- mals ein Staatsgeheimniß der Tonkunſt geweſen. Aber die Frage iſt, wie, wenn man durch den Proceß der Aufhaltung alle nur moͤgliche zum Gebrauch tuͤchtige Accorde gefunden hat, man ſolche, einer vernuͤnftigen Lehrart gemaͤß, in dem natuͤr- lichſten Zuſammenhang hinter einander, das iſt ſyſtematiſch, darlegen koͤnne. Hiezu moͤchte vielleicht die Lehre von der Aufhaltung kein Mittel an die Hand geben, und der Grund- baß wuͤrde wohl ſeine huͤlfreiche Hand darbieten muͤſſen. §. 281. Allen unſern Tonlehrern voriger Zeit war die Lehre von der Aufhaltung bekannt, und ſie war ihnen deſto bekannter, je naͤher ſie den Zeiten waren, da die Diſſonanzen eingefuͤhret worden ſind. Aber in was fuͤr einer Ordnung haben uns einige derſelben die Accorde erklaͤret. Bey einem vor mir lie- genden Scribenten erſcheinen ſie folgendergeſtalt: 1) Der harmoniſche Dreyklang. (Die dreyfachen Ge- ſtalten deſſelben, vermoͤge welcher entweder die Octave, Terz oder Quinte den oberſten Platz im Anſchlag ein- nimmt, nennet der Auctor die drey Hauptaccorde der Muſik, und machet alſo aus einem einzigen Accord drey verſchiedne Accorde.) 2) Der Sextenaccord. (Der Auctor fuͤget nicht hinzu, daß dieſer Accord aus der Umkehrung des Dreyklangs hervorgeht, und war gleichwohl ein Doppelcontrapunctiſt.) 3) Nun ſollte der Quartſextenaccord folgen. Anſtatt deſſen aber koͤmmt der Secundenaccord. (Es wird nicht geſaget, ob der hoͤchſte oder tiefſte Terminus der Secunde diſſoniret, auch nicht, was es mit der Quarte im Secundenaccord fuͤr eine Beſchaffenheit hat.) 4) Der Quartquintenaccord. (Es wird nicht geſaget, daß dieſer Accord ſeiner Natur nach nur dreyſtimmig iſt, ſo wie der Dreyklang, und daß er mit der Octave des Baß- R 3

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/281>, abgerufen am 22.11.2024.