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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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der Anmerk. über die Kirnberg. Grundsätze, nach etc.
möglich ist, von dem Hrn. Rameau abzuweichen bemüht ist.
Man wird also kaum glauben, daß derselbe im Punkt des
verminderten Septimenaccords
eine ehemals vom Ra-
meau angenommne, und hernach von ebendemselben wieder
verworfne Hypothese adoptiret, und solche auf den andern be-
wußten Septimenaccord mit angewendet hat. Gleichwohl ist
nichts wahrer als dieses, und der Hr. Kirnberger hat, um dem
Hrn. Rameau nicht ganz ähnlich werden zu wollen, die Entleh-
nung dieser Hypothese durch das Kunststück der vorhin dargeleg-
ten vier- oder fünffachen Zeugungsoperationen zu verstecken ge-
suchet. -- Wie hat denn der Hr. Rameau die Erzeugung
des verminderten Septimenaccords gelehret? Auf zweyer-
ley Art. Jn seinem Traite de l'Harmonie, Livre III. chap.
33. pag. 282 sqq.
wird derselbe von dem Accord der über-
mäßigen Secunde, und dieser von dem Septimenaccorde der
Dominante eines Moltons hergeleitet. Die Erklärung ist:
daß der Septimenaccord auf der Dominante eines
Moltons seinen Grundton der sechsten Seyte des
Moltons abtritt,
wodurch denn z. E. der Septimenaccord
e gis h d in f gis h d umgeformet, und also in einen Accord der
übermäßigen Secunde abgeändert wird. Von diesem lezten
Accorde werden alsdenn, vermittelst der Umkehrung, die drey
folgenden Sätze hergeleitet, als 1) der verminderte Septimen-
accord gis h d f; 2) der Quintsextenaccord h d f gis und 3) der
Terzquartenaccord d f gis h. -- Da aber der Hr. Rameau in
der Folgezeit den Ungrund dieser erborgten Herleitung einzu-
sehen anfieng, so ließ er in seinem Code &c. Seite 65. den
verminderten Septimenaccord wie alle andere Septimenac-
corde entspringen, und nahm den Baßton desselben zum Grund-
baß an. Dieses war auch sehr billig. -- Was thut nun der
Hr. Kirnberger? Anstatt daß der Hr. Rameau den Septi-
menaccord e gis h d als vermeinten Stammaccord in den Se-
cundenaccord f gis h d umschuf, so verwandelt ihn der Hr.
Kirnberger in den Nonenaccord e gis h d f, und bringet also
den Ton
f, den Rameau unten angebracht hatte,
oben an.
"Wie unnöthig *) aber ist es doch, das System
"der Harmonie, das auf den simpelsten Stützen ruht, durch

"so
*) Grundsätze etc. Seite 43.
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der Anmerk. uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze, nach ꝛc.
moͤglich iſt, von dem Hrn. Rameau abzuweichen bemuͤht iſt.
Man wird alſo kaum glauben, daß derſelbe im Punkt des
verminderten Septimenaccords
eine ehemals vom Ra-
meau angenommne, und hernach von ebendemſelben wieder
verworfne Hypotheſe adoptiret, und ſolche auf den andern be-
wußten Septimenaccord mit angewendet hat. Gleichwohl iſt
nichts wahrer als dieſes, und der Hr. Kirnberger hat, um dem
Hrn. Rameau nicht ganz aͤhnlich werden zu wollen, die Entleh-
nung dieſer Hypotheſe durch das Kunſtſtuͤck der vorhin dargeleg-
ten vier- oder fuͤnffachen Zeugungsoperationen zu verſtecken ge-
ſuchet. — Wie hat denn der Hr. Rameau die Erzeugung
des verminderten Septimenaccords gelehret? Auf zweyer-
ley Art. Jn ſeinem Traité de l’Harmonie, Livre III. chap.
33. pag. 282 ſqq.
wird derſelbe von dem Accord der uͤber-
maͤßigen Secunde, und dieſer von dem Septimenaccorde der
Dominante eines Moltons hergeleitet. Die Erklaͤrung iſt:
daß der Septimenaccord auf der Dominante eines
Moltons ſeinen Grundton der ſechſten Seyte des
Moltons abtritt,
wodurch denn z. E. der Septimenaccord
e gis h d in f gis h d umgeformet, und alſo in einen Accord der
uͤbermaͤßigen Secunde abgeaͤndert wird. Von dieſem lezten
Accorde werden alsdenn, vermittelſt der Umkehrung, die drey
folgenden Saͤtze hergeleitet, als 1) der verminderte Septimen-
accord gis h d f; 2) der Quintſextenaccord h d f gis und 3) der
Terzquartenaccord d f gis h. — Da aber der Hr. Rameau in
der Folgezeit den Ungrund dieſer erborgten Herleitung einzu-
ſehen anfieng, ſo ließ er in ſeinem Code &c. Seite 65. den
verminderten Septimenaccord wie alle andere Septimenac-
corde entſpringen, und nahm den Baßton deſſelben zum Grund-
baß an. Dieſes war auch ſehr billig. — Was thut nun der
Hr. Kirnberger? Anſtatt daß der Hr. Rameau den Septi-
menaccord e gis h d als vermeinten Stammaccord in den Se-
cundenaccord f gis h d umſchuf, ſo verwandelt ihn der Hr.
Kirnberger in den Nonenaccord e gis h d f, und bringet alſo
den Ton
f, den Rameau unten angebracht hatte,
oben an.
„Wie unnoͤthig *) aber iſt es doch, das Syſtem
„der Harmonie, das auf den ſimpelſten Stuͤtzen ruht, durch

„ſo
*) Grundſaͤtze ꝛc. Seite 43.
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[313/0333] der Anmerk. uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze, nach ꝛc. moͤglich iſt, von dem Hrn. Rameau abzuweichen bemuͤht iſt. Man wird alſo kaum glauben, daß derſelbe im Punkt des verminderten Septimenaccords eine ehemals vom Ra- meau angenommne, und hernach von ebendemſelben wieder verworfne Hypotheſe adoptiret, und ſolche auf den andern be- wußten Septimenaccord mit angewendet hat. Gleichwohl iſt nichts wahrer als dieſes, und der Hr. Kirnberger hat, um dem Hrn. Rameau nicht ganz aͤhnlich werden zu wollen, die Entleh- nung dieſer Hypotheſe durch das Kunſtſtuͤck der vorhin dargeleg- ten vier- oder fuͤnffachen Zeugungsoperationen zu verſtecken ge- ſuchet. — Wie hat denn der Hr. Rameau die Erzeugung des verminderten Septimenaccords gelehret? Auf zweyer- ley Art. Jn ſeinem Traité de l’Harmonie, Livre III. chap. 33. pag. 282 ſqq. wird derſelbe von dem Accord der uͤber- maͤßigen Secunde, und dieſer von dem Septimenaccorde der Dominante eines Moltons hergeleitet. Die Erklaͤrung iſt: daß der Septimenaccord auf der Dominante eines Moltons ſeinen Grundton der ſechſten Seyte des Moltons abtritt, wodurch denn z. E. der Septimenaccord e gis h d in f gis h d umgeformet, und alſo in einen Accord der uͤbermaͤßigen Secunde abgeaͤndert wird. Von dieſem lezten Accorde werden alsdenn, vermittelſt der Umkehrung, die drey folgenden Saͤtze hergeleitet, als 1) der verminderte Septimen- accord gis h d f; 2) der Quintſextenaccord h d f gis und 3) der Terzquartenaccord d f gis h. — Da aber der Hr. Rameau in der Folgezeit den Ungrund dieſer erborgten Herleitung einzu- ſehen anfieng, ſo ließ er in ſeinem Code &c. Seite 65. den verminderten Septimenaccord wie alle andere Septimenac- corde entſpringen, und nahm den Baßton deſſelben zum Grund- baß an. Dieſes war auch ſehr billig. — Was thut nun der Hr. Kirnberger? Anſtatt daß der Hr. Rameau den Septi- menaccord e gis h d als vermeinten Stammaccord in den Se- cundenaccord f gis h d umſchuf, ſo verwandelt ihn der Hr. Kirnberger in den Nonenaccord e gis h d f, und bringet alſo den Ton f, den Rameau unten angebracht hatte, oben an. „Wie unnoͤthig *) aber iſt es doch, das Syſtem „der Harmonie, das auf den ſimpelſten Stuͤtzen ruht, durch „ſo *) Grundſaͤtze ꝛc. Seite 43. U 5

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/333>, abgerufen am 26.11.2024.